Berlin. Wie entstand die älteste Schrift der Welt? In der antiken Stadt Uruk haben Archäologen jetzt entscheidende Hinweise darauf gefunden.

Die Erfindung der Schrift zählt zu den großen Meilensteinen der Menschheit. Doch die Anfänge des geschriebenen Wortes lagen lange Zeit im Dunkeln. Eine Studie, die in der Fachzeitschrift „Antiquity“ veröffentlicht wurde, hat nun über 6000 Jahre alte Schriftzeichen entschlüsselt, die mit zylindrischen Siegeln in Ton gerollt wurden. Diese Entdeckung stellt erstmals eine direkte Verbindung zur Proto-Keilschrift her, dem Vorläufer der Keilschrift, dem ältesten bekannten Schriftsystem der Welt.

Ursprung der Schrift: Archaische Zeichen bestätigen historische Vermutung

Die Keilschrift, das älteste bekannte Schriftsystem, entstand um 3400 v. Chr. in Mesopotamien, dem heutigen Irak. Historiker gehen davon aus, dass die Menschen damals begannen, Zeichen in Tontafeln zu ritzen, um ihr Wissen für künftige Generationen zu bewahren. Eine Vorstufe, die so genannte Proto-Keilschrift mit abstrakten Bildzeichen, entstand zwischen 3350 und 3000 v. Chr. in Uruk im heutigen Südirak.

Trotz unklarer Ursprünge und zum Teil noch nicht entzifferter Symbole vermuteten Fachleute lange, dass die Proto-Keilschrift aus der Buchhaltung hervorgegangen ist. Aufzeichnungen über Warenbewegungen und Lagerbestände schienen der Ausgangspunkt für die Entwicklung einer komplexeren Schriftsprache zu sein – doch bisher fehlte der Beweis.

Forscherteam entschlüsselt 6.000 Jahre alte Siegel

Forscher der Universität Bologna haben diese Lücke nun geschlossen. Bei der Analyse von Zylindersiegeln aus Uruk, die auf das Jahr 4400 v. Chr. datiert werden, entdeckte das Team erstmals direkte Verbindungen zwischen den Darstellungen auf den Siegeln und späteren Keilschriftzeichen. Die Leiterin der Studie, die Altphilologin Prof. Silvia Ferrara, sagte gegenüber dem amerikanischen TV-Sender CNN, sie habe nur mit indirekten Hinweisen gerechnet und sei überrascht gewesen, als sich eine eindeutige Verbindung zur Proto-Keilschrift zeigten.

Ferraras Team verglich die Motive der antiken Siegel mit rund 800 Proto-Keilschriftzeichen. „Wir haben uns auf die Symbole konzentriert, die vor der Erfindung der Schrift existierten“, erklärt Ferrara. Um die oft mehrdeutigen Bilder zu interpretieren, zogen die Forscher zudem den Kontext der Symbole heran.

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Die Ergebnisse waren beeindruckend: Einige Siegelmotive stimmten nicht nur mit den Proto-Keilschriftzeichen überein, sondern hatten im Zusammenhang mit Handelsgeschäften auch die gleiche Bedeutung. Ein Beispiel ist ein fächerförmiges Symbol, das sowohl auf den Siegeln als auch in der Proto-Keilschrift in Verbindung mit Viehabbildungen vorkommt und den Viehhandel symbolisiert. Ein weiteres Beispiel ist das Motiv eines Tuches, das später zum Keilschriftzeichen für „Leinen“ wurde, sowie ein netzartiges Gefäß, das als Vorläufer des Symbols für Ölbehälter gilt.

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Durchbruch in der Schriftgeschichte: Forscher entschlüsseln Verbindung zwischen Siegeln und Proto-Keilschrift

Die Übereinstimmungen zwischen den Zylindersiegeln und den Proto-Keilschriftzeichen belegen erstmals einen direkten Zusammenhang mit der Entwicklung der Schrift. „Unsere Entdeckungen zeigen, dass die auf den Siegelzylindern eingravierten Motive eng mit der Entstehung der Proto-Keilschrift im Südirak zusammenhängen“, erklärt Studienleiterin Prof. Silvia Ferrara. Die gefundenen Parallelen geben auch Aufschluss darüber, wie sich die Bedeutung der Motive mit dem Übergang zur Schriftsprache verändert hat.

Uruk, heute als Warka bekannt, war eine der ersten Metropolen Mesopotamiens und ein kulturelles Zentrum mit Einfluss bis in den Südwesten Irans und die Südosttürkei. Nach Angaben des Forscherteams wurden hier Zylindersiegel erfunden und für die Verwaltung eingesetzt. Die auf den Zylindern eingeritzten Muster wurden durch Walzen auf feuchten Ton übertragen und dienten in einer schriftlosen Gesellschaft als Teil eines frühen Buchhaltungssystems, um die Produktion, Lagerung und den Transport von Gütern wie Getreide und Textilien zu dokumentieren.

„Der konzeptuelle Sprung von der präskriptiven Symbolik zur Schrift ist eine bedeutende Entwicklung in den kognitiven Technologien der Menschheit“, schlussfolgert Ferrara. „Die Erfindung der Schrift markiert den Übergang von der Vorgeschichte zur Geschichte – und die Ergebnisse unserer Studie zeigen, wie dieser Übergang stattfand.“