Berlin. Ludwig Morenz hat als Archäologe den mystischen Ort entdeckt, wo unsere Alphabetschrift herstammt – und „Gott“ seinen Namen erhielt.
- Der Vorläufer des Begriffs für „Gott“ und die Alphabetschrift entstanden in derselben Region
- Ein deutscher Archäologe macht den historisch bedeutsamen Ort in Ägypten ausfindig
- Im Interview spricht Ludwig Morenz über seine Ausgrabungen und zwei wichtige Rohstoffe
Der Ägyptologe Ludwig Morenz ist in den 1990er-Jahren das erste Mal als Tourist auf den Sinai in Ägypten gereist. Seitdem fasziniert die Region den heute 59-jährigen Wissenschaftler von der Universität Bonn. 2011 begannen seine Ausgrabungen auf dem Hochplateau von Serabit el Chadim im Südwesten der Halbinsel.
Es stellte sich heraus: Er arbeitet an dem Entstehungsort der Alphabetschrift, an dem das Volk der Kanaanäer Anfang des 2. Jahrtausends v. Chr. auch einen Vorläufer des heutigen Begriffs für „Gott“ schuf. Im Interview spricht der deutsche Ägyptologe über spannende Ausgrabungen, mächtige Götterpaare und die Anfänge unserer heutigen Schriftsprache. „Normalerweise sind die Anfänge kultureller Errungenschaften fast immer verloren“, sagt Morenz. „Aber hier kommen wir ganz dicht heran.“
Herr Morenz, haben Sie bei Ihren Ausgrabungen auf dem Sinai in Ägypten den Ursprung Gottes gefunden?
Ludwig Morenz: Gewiss nicht, aber wir sehen in der Schrift und Sprache der Kanaanäer durchaus Vorläufer des späteren hebräischen und damit christlichen und muslimischen Gottes. In den Bildern und Inschriften, die wir in Serabit el Chadim im Südwesten der Halbinsel gefunden haben, gibt es eine eindeutige Namensnennung und eine klare bildliche Darstellung des kanaanäischen Gottes „El“. Und diesen Namen finden wir dann auch in der Hebräischen Bibel. Auf dem Sinai ist „El“ jedoch im Stil des ägyptischen Gottes „Ptah“ dargestellt und wurde mit ihm gleichgesetzt. Die Ägypter, die dort 1900 vor Christus gemeinsam mit dem Volk der Kanaanäer lebten, verehrten aber nicht nur „Ptah“, sondern auch die Göttin „Hathor“, die die Kanaanäer ebenfalls abwandelten und „Baalat“ nannten.
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Welche Bedeutung hatte dieses Götterpaar für die Kanaanäer?
Morenz: Die Mythologie selbst bieten die Inschriften aus dem 19. und 18. Jh. v. Chr. nicht. Aber wir erfahren, dass „El“ offenbar eine Vaterfigur darstellte und „Baalat“ eine Mutterfigur. Damit bekommen wir zumindest eine Vorstellung davon, in welche Richtung die Mythologie gehen dürfte. Man kann mit der Idee spielen, dass dieses Götterpaar durchaus ein Vorläufer unserer heutigen Gottesvorstellung ist. Die Bezeichnung „Vater“ (El) und „Mutter“ (Baalat) lässt vermuten, dass es bei den Kanaanäern eine Mythologie mit mehreren Göttern gegeben hat, die in einem familiären Zusammenhang mit den beiden standen – oder die Menschen selbst dachten sich als Kinder dieses Götterpaares.
Archäologe Morenz: „Rückblickend ist da etwas Sensationelles passiert“
Das bedeutet, die Geburt des Monotheismus, in dem es nur einen Gott gibt, ist es nicht.
Morenz: Nein, definitiv nicht, aber die Geburt des Monotheismus hat sich, würde ich sowieso erwarten, über Jahrhunderte hingezogen.
Welchen Einfluss hatten „El“ und „Baalat“ auf das Alte Testament der Bibel?
Morenz: Es geht dabei vor allem um „El“. Die Hebräische Bibel entwickelte sich Anfang des erstens Jahrtausend vor Christus. In ihr wird der allmächtig gedachte jüdische Gott angesprochen mit dem bekannten Tetragramm „JHWH“ – also Jahweh. Oder eben mit dem Namen „El“. Das läuft zwar nicht ganz gleichwertig, aber so ungefähr meinen beide Bezeichnungen dasselbe. Und auf der anderen Seite steckt „El“ auch sprachgeschichtlich in dem Wort Allah. Dieser muslimische Gott Allah, also der Name, bildet sich aus dem arabischen Artikel „al“ und dem Gottesnamen „El“ zu al-El, also Allah.
Und bei seinem weiblichen Gegenpart?
Morenz: Für die ägyptische Göttin Hathor haben die Kanaanäer aus ihrer allgemeinen Bezeichnung für „Herrin“ als „Baalat“ die neue Göttin „Baalat“ gemacht und dafür eine allgemeine Bezeichnung zum konkreten Gottesnamen umgewandelt. Analog wählten sie für Ptah den Begriff „el“, der ganz allgemein Gott bedeutete, und spezifizierten beziehungsweise personalisierten diesen Begriff dann zu „El“, was in den Inschriften mehrfach mit der Bezeichnung „Vater“ verbunden wurde und somit an „Gott-Vater“ erinnert.
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Warum entwickelten sich gleichzeitig die Schrift und das Alphabet?
Morenz: Diesen Vorgang nenne ich auf Englisch die „Evolution of Simplicity“ – also die „Entwicklung von Einfachheit“. Die ägyptische Hieroglyphenschrift ist aufgebaut aus Hunderten Zeichen, während die Kanaanäer daraus eine Alphabetschrift entwickelten, die mit weniger als 30 Zeichen auskommt. Mit dieser „Evolution of Simplicity“ schufen die Kanaanäer zunächst eine „Billigversion“ der Hieroglyphenschrift. Um sie zu gebrauchen, musste man nicht zunächst über Wochen und Monate die Zeichen erlernen. Mit diesem Potenzial der Einfachheit wurde das Alphabet schließlich zu einem weltweit gebrauchten Wunderwerkzeug der Kommunikation. Vor vier Jahrtausenden war den Kanaanäern allerdings kaum bewusst, etwas Neuartiges zu schaffen. Rückblickend ist da aber etwas Sensationelles passiert.
Deutsche Alphabetschrift entstand in der bedeutenden Gegend
Gibt es denn Vorläufer dieser Schrift innerhalb der kanaanäischen Gesellschaft?
Morenz: Nein, eben nicht, und das ist das Sensationelle: Man kann auf Grundlage der Inschriften in Serabit argumentieren, dass alle Alphabetschriften, die heute weltweit benutzt werden, dort um 1900 vor Christus ihren Ursprung haben.
Das kanaanäische Alphabet ist der Ursprung der heutigen Schrift?
Morenz: Aller Schriften – außer etwa Chinesisch und Japanisch, die nun mal kein Alphabet verwenden. Jede Alphabetschrift auf der Welt – Griechisch, Latein, Arabisch, Kyrillisch, Deutsch – hat ihren Ursprung in dieser damals scheinbar „finsteren“ kulturellen Peripherie von Serabit el Chardim zwischen Ägypten und den Hochkulturen an Euphrat und Tigris im heutigen Irak.
Warum gerade auf dem Sinai? Wie muss man sich das Leben zu der Zeit in Serabit el Chadim vorstellen?
Morenz: An sich ist die Gegend ein Hochplateau, auf dem kaum jemand im strengeren Sinn wirklich lebt. Die Menschen sind dort für die Bergarbeit gezielt hingekommen, und zwar bauten sie Türkis und Kupfer ab. Es gab aber keine permanenten Siedlungen, jedenfalls wissen wir davon bisher nichts.
Wer waren diese Menschen?
Morenz: Wir gehen davon aus, dass es eine halbwegs nomadische lokale Gruppierung der Kanaanäer gegeben hat, die in der weiteren Region lebte. Aber wir können damit rechnen – und das habe ich auch erst in den letzten Jahren mühsam herausgepuzzelt –, dass es zusätzlich zu den Nomaden in Sinai auch noch Kanaanäer gegeben hat, die auch aus den levantinischen Stadtstaaten – also etwa heutiges Israel bis ins heutige südliche Syrien – in den Sinai gereist sind.
Und ägyptologisch wird es dadurch interessant, dass die Ägypter aus dem Niltal mit relativ großen Expeditionen – zwischen 50 und 500 Menschen – dorthin gezogen sind und über Jahrhunderte Rohstoffe abbauten. Zum Teil taten sie es selbst und zum Teil gemeinsam mit den lokalen Kanaanäern.
Was macht diese Zusammenstellung so besonders?
Morenz: Hier fand eine ganz besondere Kulturentwicklung statt, mit Folgewirkung bis in unsere Gegenwart. Und von zentraler Bedeutung dafür waren die Kulturkontakte. Das halte ich für etwas ganz Spannendes. Zudem wirkte nicht einfach nur die Zweierkonstellation zwischen den Ägyptern und den Kanaanäern. Vielmehr gabeln sich die Kanaanäer im mittelbronzezeitlichen Südwesten des Sinai noch einmal auf, in Nomaden auf dem Sinai und in eine Gruppe von aus dem Norden angereisten Stadtstaatlern.
Was hat die Menschen aus den Stadtstaaten dazu bewegt, auf den Sinai zu reisen?
Morenz: Primär das Geschäftliche, und zwar die Attraktion der Rohstoffe Kupfer und Türkis. Es ging darum, Handel zu betreiben. Aber die Ökonomie hatte dann eben auch eine Sakralisierung der Landschaft im Gefolge.
Archäologe sicher: Wichtiger Rohstoff führte Alphabet zum Welterfolg
Was meinen Sie mit der Sakralisierung der Landschaft?
Morenz: Das bedeutet, dass die Menschen ihre Religionen in die Landschaft einschrieben und zum Beispiel Tempel bauten. Die erste Sakralisierung, die wir fassen können, geht auf die Ägypter zurück. Sie wollten das für sie eher fremde Gebiet mit ihren Tempeln quasi verheimaten. Es geht also um die – bis heute relevante – Frage: Wie verschafft man sich in der Ferne Heimat? Und da haben die Ägypter in Serabit el Chadim für das im Niltal sehr populäre und längst vertraute Götterpaar Ptah und Hathor Tempel gebaut – insbesondere den Hathor-Tempel mit einer Baugeschichte von immerhin 1000 Jahren.
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Das ist umso wichtiger, weil die Ägypter für Hathor in Serabit den speziellen Zusatz „Hathor, Herrin des Türkises“ prägten. Da wird der Ursprung des Religiösen aus dem Ökonomischen auf dem Sinai klar, denn der südwestliche Sinai war damals der wichtigste Ort, an dem Türkis in Minen abgebaut wurde. Und Ptah war Hauptgott der ägyptischen Königsresidenz Memphis. Darüber hinaus dürfte aber auch seine Rolle als sogenannter Handwerkergott gewirkt haben.
Wie gingen die Kanaanäer damit um?
Morenz: Das ist die zweite Etappe dieser Entwicklung, und die geht ungefähr am Anfang des zweiten Jahrtausends los. Die Kanaanäer sehen die ägyptischen Tempel und sind von den Monumenten sowie von den Bildern der beiden Götter beeindruckt. Genauso davon, dass die Ägypter schreiben und dadurch sogar die Namen ihrer Götter lesen konnten. Daraufhin wirkte vermutlich dieses so naheliegende menschliche Bedürfnis: So etwas wollen wir auch haben. Deshalb setzten die Kanaanäer ihre Götter mit Ptah und Hathor gleich und entwickelten zum Ausdruck dieser sakralen Identität ihre Schrift.
Die Ägypter waren für die Kanaanäer also so was wie ein Vorbild?
Morenz: Also im Bereich der Schrift und Religion und monumentalen Kultur auf jeden Fall, und eben mit der Einschränkung, dass die Kanaanäer sich nicht nur die Kultur aneignen wollten, sondern – wie man gerade auch an der Schrift sieht – auch ihr Eigenes draus machen wollten. Sonst hätten sie den ägyptischen Gott Ptah einfach weiter so benennen können. Aber man wollte diese Darstellung von eigener kultureller Identität. Dieses Interesse war offenbar ein starker Kulturmotivator.
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