Berlin. Brave Ehefrauen? Eine Autorin hat das Sexualverhalten von Frauen in der Antike durchleuchtet – und stieß auf schlüpfrige Überraschungen.
- Ausschweifendes Sexverhalten, Affären und wilde Gerüchte gab es schon in der Antike
- Eine Philologin hat das Liebesleben der adeligen Frauen von damals untersucht
- Neben Machtgewinn konnte der Sex aber auch zum Tod führen
Dildos, Sexarbeit und allerlei verruchtes Treiben: Im alten Rom soll es in Liebesdingen ordentlich zur Sache gegangen sein. Die Patrizierin Clodia, eine verheiratete Adelige, soll Dutzende von Affären gehabt haben – eine davon sogar mit ihrem eigenen Bruder Publius Clodius Pulcher, einem bekannten Politiker der römischen Republik. Das jedenfalls behaupteten seine politischen Gegner wie der Philosoph und Staatsmann Marcus Tullius Cicero.
Cicero schrieb in einer seiner Reden, dass sich Clodia „kopfüber in die größte Wollust stürzt, dass sie nicht nur keine Einsamkeit sucht und Dunkelheit und die sonst übliche Verschleierung der Verruchtheit, sondern vor versammelter Menge und am helllichten Tage frohlockt, während sie der größten Schamlosigkeit frönt.“
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Clodias Schönheit, ihr Status als prominentes Mitglied der Familie der Claudier und ihr angeblich skandalöses Verhalten machten sie zu einem It-Girl des antiken Roms. Das einfache Volk war begierig darauf, die neuesten Gerüchte über das ausschweifende Liebesleben der römischen Prominenz zu erfahren.
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Forscherin: „Die Rolle der Frauen wird in der Geschichte häufig übersehen“
Während es zahlreiche Quellen männlicher Autoren gibt, die über Clodia und ihre sexuellen Eskapaden berichten, ist über Clodias eigene Ansichten zum Thema Sexualität nichts bekannt. Die Berichte über die angeblich so frivole Patrizierin stammen ausschließlich aus der Feder von Männern, die damit ihre eigene politische oder persönliche Agenda zu stärken versuchten.
„Die Rolle der Frauen wird nicht nur in der Sexualität, sondern auch in anderen Kontexten der Geschichte häufig übersehen“, sagt Dr. Daisy Dunn, mehrfach ausgezeichnete Altphilologin und Autorin. In ihrem neuen Buch „The Missing Thread: A New History of the Ancient World Through the Women Who Shaped It“ zeichnet sie eine neue Geschichte der antiken Welt, in der sie die Frauen in den Mittelpunkt der Erzählung stellt.
„Was taten Frauen während der Graeco-Persischen Kriege? Wie unterstützten sie den Aufbau des Reiches von Alexander dem Großen? Waren sie die Macht hinter dem Thron im frühen Römischen Reich? Das waren die Fragen, die mir dabei durch den Kopf gingen“, sagt Dunn im Interview mit unserer Redaktion.
Daisy Dunn: „Frauen waren auch an Sex zum Vergnügen interessiert“
Eines der Themen, mit denen sich Dunn in ihrem Buch beschäftigt, ist die Sexualität: „Die gängige Vorstellung von den meisten Frauen der antiken Welt ist, dass sie nur innerhalb der Ehe Sex hatten und das vor allem zu Fortpflanzungszwecken. Interessanterweise gibt es aber Hinweise darauf, dass Frauen auch an Sex zum Vergnügen interessiert waren“, so Dunn.
Um die Einstellungen der Frauen in der Antike zum Thema Sex zu rekonstruieren, nutzte die Autorin ein breites Spektrum an Quellen – von der Poesie der griechischen Dichterin Sappho bis hin zu etruskischen Grabskulpturen und Grabfunden, die Aufschluss über die Zärtlichkeit und Offenheit der Beziehungen zwischen Männern und Frauen in dieser Zeit geben.
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„Sappho dokumentierte sehr einfühlsam die emotionalen Folgen der Lust, vom Herzrasen bis zur irrationalen Eifersucht. Auch in der griechischen Tragödie gibt es Anzeichen dafür, dass der Übergang von der Jungfräulichkeit zu einer sexuellen Beziehung für Frauen emotional schwierig sein kann“, so Dunn.
Besonders frei konnten in der Antike die Etruskerinnen ihre Sexualität ausleben. Das belegen Gemälde, die Frauen und Männer bei erotischen Handlungen zeigen. Die Etrusker lebten in Mittelitalien, die Blütezeit ihrer Kultur verlief vom 8. bis zum 3. Jahrhundert v. Chr.
Forscherin über Affären im alten Rom: „Waren durchaus üblich“
„Schriftliche Quellen, die nicht unvoreingenommen sind, berichten auch von der sexuellen Befreiung der etruskischen Frauen und ihrer Tradition, beim Abendessen mit den Männern ‚unter Decken‘ zu liegen, was in Griechenland damals nicht üblich war“, sagt Dunn. „Im klassischen Griechenland, insbesondere um das 5. Jahrhundert v. Chr., gab es für Frauen dagegen praktisch keine sexuelle Befreiung. Es sei denn, sie waren Sexarbeiterinnen wie Pornae (Prostituierte) oder Hetären (Kurtisanen).“
Die Kultur der Etrusker wurde ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. allmählich von der römischen Kultur überlagert, als Rom zur herrschenden Macht in Italien aufstieg. Die etruskischen Städte wurden in das expandierende Römische Reich eingegliedert. Auch in dieser Zeit des Umbruchs und in den folgenden Jahrhunderten spielte Sexualität für die römischen Frauen eine Rolle im Alltag, die über die Fortpflanzung hinausging. In der lateinischen Literatur der späten römischen Republik (133 v. Chr. bis 27 v. Chr.) und des frühen Römischen Reiches (27 v. Chr. bis 284/285 n. Chr.) werden Frauen etwa als begehrenswerte Geliebte oder Mätressen gefeiert.
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„Die Dichter Catull und Ovid beschreiben sich beispielsweise selbst als sexuell von Frauen besessen. Sie ließen ihrer Fantasie freien Lauf, so dass wir ihre Gedichte nicht immer als Beweis für das wirkliche Leben heranziehen können. Aber diese Werke erinnern uns daran, dass die Liebe schon damals Spaß machen konnte. Affären zwischen aristokratischen römischen Frauen und Männern waren durchaus üblich“, so Dunn.
Deshalb konnte Sex auch gefährlich sein
Durch Affären oder Sexarbeit konnten Frauen in der Antike aber auch zu Macht kommen. Einige Prostituierte wurden sehr wohlhabend und kauften sich ein eigenes Anwesen. „Eine Hetäre aus Ägypten namens Doricha wurde sogar so reich, dass sie berühmt wurde. Es ging das Gerücht um, sie habe den Bau einer Pyramide finanziert“, so Dunn. Gleichzeitig war der Glaube weit verbreitet, dass Sex und der damit verbundene Verlust der Jungfräulichkeit Frauen schaden könnte. „Sappho beklagte wehmütig in ihren Gedichten, dass die einmal verlorene Jungfräulichkeit nie wiedergewonnen werden könne“, so Dunn.
Altertumsforscherin Daisy Dunn
Dr. Daisy Dunn ist eine mehrfach ausgezeichnete Klassizistin und Autorin von sieben Büchern, darunter Biografien über römische Persönlichkeiten sowie Werke, die das Leben und die Kultur der Antike aus der Perspektive der Frauen beleuchten.
Dunn studierte an der Universität Oxford Klassische Altertumswissenschaften. 2013 erhielt sie ihren Doktortitel in Klassischer Altertumswissenschaft am University College London, wo sie den AHRC-Doktorandenpreis, den Gay Clifford Award für herausragende Wissenschaftlerinnen und ein Stipendium der Italian Cultural Society erhielt.
Gibt es für Daisy Dunn Parallelen zwischen den sexuellen Einstellungen von Frauen in der Antike und heute? „Ich denke ja. Die gleiche Vielfalt an Ansichten, die wir in der Vergangenheit gefunden haben, gibt es auch heute noch. Sex konnte etwas sein, das man feierte, aber auch etwas, das man beklagte. Und er konnte gefährlich sein, da Krankheiten dabei leicht übertragen werden konnten und es bei der Geburt von Kindern häufig zu Todesfällen kam.“
Daisy Dunn zeigt in ihrer Analyse der Frauen der Antike, dass deren Umgang mit Sexualität vielfältig und komplex war, geprägt von Macht, Verlangen, gesellschaftlichem Status und gängigen Normen. Diese Faktoren beeinflussten maßgeblich, wie Frauen ihre Sexualität aktiv und selbstbestimmt gestalten konnten – eine Thematik, die bis heute nichts an Relevanz verloren hat.
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