Berlin/Istanbul. Bei Ausgrabungen werden in der Regel antike Stätten entdeckt. Im anatolischen Hattusa war es eine unbekannte Sprache. Wie kam es dazu?
Seit etwa 100 Jahren werden im zentralanatolischen Boğazköy-Hattusa in der Türkei Ausgrabungen durchgeführt. Vor 3500 Jahren lag hier die Hauptstadt des wohl unbekanntesten Großreichs der vorchristlichen Zeit: Hattusa, Machtzentrum der Hethiter. Mit einer kriegsbedingten Unterbrechung sind seit 1932 auch Wissenschaftler des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) an den Grabungen beteiligt. Und immer wieder machen die Archäologen erstaunliche Entdeckungen.
Der jüngste Fund elektrisiert nicht nur Archäologen, sondern vor allem Sprachforscher, genauer gesagt: die Zunft der Indogermanisten. Das Hethitische gilt als die älteste bekannte indogermanische Sprache überhaupt. Ausgrabungen in diesem Jahr brachten eine gewaltige Überraschung zutage. In einem Ritualtext, der in hethitischer Sprache verfasst wurde, ist eine Rezitation in einer bisher unbekannten Sprache versteckt. Professor Daniel Schwemmer von der Universität Würzburg, der die keilschriftlichen Funde der Grabung bearbeitet, fand heraus, dass das bisher unbekannte Idiom in dem Ritualtext als Sprache des Landes Kalasma im äußersten Nordwesten des Hethiterreichs bezeichnet wird.
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Hethiter integrierten fremdsprachige Passagen in eigenen Texten
Obwohl die Rezitation in der Sprache Kalasmas bisher weitgend unverständlich ist, konnte Schwemmers Kollegin, Professorin Elisabeth Rieken von der Universität Marburg, bestätigen, dass das Idiom zur Familie der anatolisch-indoeuropäischen Sprachen gehört. Rieken ist Spezialistin für altanatolische Sprachen und fand in dem Text sprachliche Parallelen zu einer anderen indogermanischen Sprache, dem Luwischen.
Dass die Hethiter eine fremdsprachige Passage in einen ihrer eigenen Texte übernahmen, kommt für Professor Schwemmer nicht überraschend. "Die Hethiter waren in einzigartiger Weise daran interessiert, Rituale in fremden Sprachen aufzuzeichnen. Ritualtexte, die von Schreibern des hethitischen Königs verfasst wurden, spiegeln verschiedene anatolische, syrische und mesopotamische Traditionen und sprachliche Milieus wider", erklärt Schwemmer.
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Proto-indogermanische Ursprache entwickelte sich vor 8100 Jahren
30.000 Tontafeln in Keilschrift sind seit Beginn der Ausgrabungen in Hattusa gefunden worden. Sie gehören seit 2001 zum UNESCO-Weltdokumentenerbe und liefern wichtige Informationen zur Kultur der Hethiter. Über das Volk, das bereits in der Bibel erwähnt wird und sich immer wieder Kämpfe mit dem ägyptischen Pharonenreich lieferte, war bis zum Ende des 19. Jahrhunderts so gut wie nichts bekannt. Bereits in der klassischen Antike waren die Hethiter vergessen. Erst 1905 begannen erste Augrabungen in Boğazköy-Hattusa. Anhand von Tafeln in Keilschrift konnte der tschechische Linguist Bedřich Hrozný das Hethitische entschlüsseln und nachweisen, dass es zu den indogermanischen Sprachen zählt und ihre älteste schriftlich fixierte Vertreterin ist.
Laut aktuellem Forschungsstand entwickelten sich die verschiedenen indogermanischen Sprachen nach und nach aus einer proto-indogermanischen Ursprache, die etwa 8100 Jahre alt ist und sich später weiter verzweigte. Wissenschaftler streiten bis heute darüber, wo die Urheimat der Indogermanen lag. Genannt werden die südrussische Steppe, das Gebiet südlich des Kaukasus oder auch Anatolien. Durch mehrere Migrationswellen erreichte das Indogermanische über die Jahrhunderte den Westen Europas sowie Persien und Indien im Osten.
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Heute sprechen etwa drei Milliarden Menschen eine von ungefähr 300 indogermanischen Sprachen auf der Welt. Auch Deutsch gehört dazu. Zur indogermanischen Sprachfamilie zählen daneben fast alle wichtigen Sprachen bis auf das Arabische und Chinesische.
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