Berlin. Smarte Ringe können wie die Smartwatch den Schlaf tracken. Die Lösung im Kampf gegen Schlafprobleme? Es kommt darauf an, sagt ein Experte.

Nach dem Aufwachen aufs Smartphone blicken und sofort Klarheit haben: Wie erholsam war mein Schlaf? Bin ich voller Energie für Arbeit und Sport? Oder sollte ich meinem Körper etwas Ruhe gönnen, um nicht krank zu werden? So einen bequemen Schlaf-Check wünschen sich viele. Hilfe versprechen zahlreiche Smartwatch-Modelle mit Sensoren und Schlaftipps. Wer nachts lieber keine Uhr trägt, kann auf smarte Ringe am Finger zurückgreifen. Nach Vorreiter Oura und Nachzüglern wie RingConn oder Ultrahuman hat kürzlich Samsung als erster großer Hersteller seinen Galaxy Ring vorgestellt.

Doch sind Smart Ring oder Smartwatch sinnvolle Hilfsmittel für Menschen, die ihre Nachtruhe verbessern, Schnarchen erkennen oder gar Schlafstörungen loswerden wollen? Es kommt auf den Einzelfall an, warnt Christoph Schöbel. Der Professor für Schlaf- und Telemedizin leitet das Schlafmedizinische Zentrum am Universitätsklinikum Essen und ist Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM).

Er und sein Team untersuchen und behandeln seit zwei Jahren Patienten in einer Sprechstunde („Smart Sensor Ambulanz“) mit dem Fokus auf Schlaf und Gesundheitsmessgeräte.

Herr Schöbel, begegnen Ihnen Patienten mit einem smarten Ring am Finger inzwischen häufiger in der Sprechstunde?

Prof. Christoph Schöbel: Ja. Zu uns kommen Leute mit Smartwatches, andere mit smarten Ringen genauso wie Leute mit Sensormatten, die man unter die Matratze legt. Häufig ist genau das der Startpunkt für weitergehende Untersuchungen. Es ist zwar wichtig, was der Patient damit gemessen hat. Viel wichtiger für uns Schlafmediziner ist aber: Wie muss das eingeordnet werden?

Was meinen Sie damit?

Schöbel: Das eine ist die objektive Schlafqualität, die solche Sensoren abbilden. Das andere und Wichtigere ist: Was merkt der Patient, wie ist die subjektive Schlafqualität? Auch im Schlaflabor können wir nur objektive Schlafwerte messen, diese müssen aber nicht immer mit der subjektiven Schlafempfindung übereinstimmen.

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Smarte Ringe messen am Finger Vitaldaten mit ähnlichen Sensoren wie Smartwatches. Was wird dabei ermittelt, was für gesunden Schlaf eine Rolle spielt?

Schöbel: Es soll nicht nur geguckt werden, wie der Schlaf ist, sondern auch, ob eine Schlafstörung vorliegt. Die Ringe und Uhren nutzen zum einen Bewegungs- und Beschleunigungssensoren. Wir bewegen wir uns im Schlaf weniger, und in einigen Schlafstadien zum Teil kaum oder gar nicht, weil die Muskelspannung niedrig ist. Das versuchen viele Ringe und Smartwatches zur Schlaferkennung zu nutzen. Dieses Prinzip nutzen wir übrigens auch in der Schlafmedizin, als sogenannte Aktigraphie, die wir manchmal Patienten für mehrere Wochen mit nach Hause geben, um Schlaf-Wach-Störungen besser einordnen zu können.

Schlaftracking: Ab diesem Wert sollten Sie hellhörig werden

Wozu wird die Hauttemperatur am Finger oder Handgelenk gemessen?

Schöbel: Die Körpertemperatur sinkt im Schlaf. Die Messung von Temperaturschwankungen auf der Hautoberfläche könnten helfen, Schlaf besser zu bestimmen. Allerdings ist die Temperatur auf der Haut auch von Umgebungsbedingungen abhängig und spiegelt daher nicht exakt die Körperkerntemperatur. Darüber hinaus kann ich auch den Pulsschlag am Finger messen. Die Lichtsensoren erkennen, wie das Blut mit jedem Herzschlag in den Finger fließt. Im Schlaf sind die niedrigsten Pulsraten zu messen, weil wir uns im Schlaf entspannen.

Smarte Ringe am Finger tragen sich unauffälliger als eine Smartwatch.
Smarte Ringe am Finger tragen sich unauffälliger als eine Smartwatch. © IMTEST | IMTEST

Was ist für den Schlaf noch wichtig?

Schöbel: Die Sauerstoffsättigung im Blut. Allerdings messen die Sensoren in den meisten Smartwatches und smarten Ringen die Sauerstoffsättigung nur alle paar Minuten über integrierte Lichtsensoren. Hier haben wir im Schlaflabor deutlich bessere Sensoren, die viel hochfrequenter messen. So etwas kann genutzt werden, um zum Beispiel auf Sauerstoffabfälle im Blut aufgrund von nächtlichen Atemmaussetzern, also auf eine Schlafapnoe, zurückzuschließen.

Was steckt hinter Blutsauerstoffsättigung – und ab welchen Werten morgens auf meinem Bildschirm sollte ich hellhörig werden?

Schöbel: Die Sättigung zeigt mir an, wie viel Prozent von unserem roten Blutfarbstoff mit Sauerstoff beladen ist. Normalerweise sollten das über 90 Prozent sein. Gemessen wird dies häufig über einen Fingersensor, der Licht durch die Haut schickt und damit auf die Sauerstoffsättigung im Blut schließt. Misst man mit einem solchen Sensor mal unter 90 Prozent, dann sollte man  mit weiteren Methoden abklären, ob das wirklich stimmt oder ein medizinisches Problem vorliegt. Die Sauerstoffsättigungsmessung über einen Lichtsensor ist also ein ganz grober Parameter, der allerdings einfach zu erheben ist. 

Morgens sehe ich auf meinem Handy einen „Score“-Wert für die Schlafqualität und die einzelnen Schlafphasen. Wie sehr sollten sich Nutzer auf die Ergebnisse so einer Schlafanalyse ihres Smart Rings oder der Smartwatch verlassen?

Schöbel: Ihnen wird ein Punktewert ausgespuckt, sie wissen aber überhaupt nicht, wie der sich zusammensetzt. Die einzelnen Schlafphasen – Wach-, Leicht-, Tief- und Traumschlaf – können wir im Schlaflabor über Hirnströme, Muskelspannung und Augenbewegungen wirklich differenzieren. Wie die einzelnen Messungen der Sensoren am Finger gewichtet werden, welche von der künstlichen Intelligenz (KI) genutzt werden, um auf den Schlaf zurückzuschließen, das bleibt für den die Nutzer eine Blackbox. Dafür müsste der Hersteller Studien offenlegen, wo er das verglichen hat mit dem Gold-Standard, der Untersuchung im Schlaflabor. Aber das bleibt bisher deren Marktgeheimnis.

Bei Schlafstörung auf Tracker hören: „Kann sogar nachteilig sein“

Ist es trotzdem hilfreich, wenn sich Menschen über solche Ringe oder Uhren mit ihrem Schlaf beschäftigen?

Schöbel: Ja. Aber die wichtige Frage ist: Mache ich das, weil ich einfach mal eine Rückmeldung bekommen möchte, wie ich schlafe, zum Beispiel um meine Gesundheit einzuschätzen oder meine Fitness zu verbessern? Dann finde ich solche Sensoren erstmal gut. Wenn ich aber glaube, eine Schlafstörung zu haben und mir so einen Ring anschaffe, um das zu messen, dann ist das ein riesengroßer Unterschied.

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Inwiefern?

Schöbel: Das kann sogar nachteilig sein. Denn ich verlasse mich dann auf eine Sache, die medizinisch gar nicht validiert ist. In dem Fall würde ich lieber der etablierten Sensorik trauen, die als „Medizinprodukt“ zertifiziert ist.

Haben diese Geräte auch Vorteile gegenüber dem Schlaflabor?

Schöbel: Nur weil eines vielleicht kein Medizinprodukt ist, sollte man es nicht einfach wegwischen. Der große Vorteil ist: Ich bin zu Hause in meiner gewohnten Umgebung und kann über längere Zeit messen. Wir können mit unserer etablierten Sensorik immer nur ein paar Nächte abbilden, die zum Teil im Schlaflabor, also in einer fremden Umgebung, stattfinden.

Prof. Dr. Christoph Schöbel, Schlafmediziner
Schlafmediziner Prof. Dr. Christoph Schöbel hält smarte Ringe und Smartwatches für einen guten Ansatz, sich mit dem eigenen Schlaf auseinanderzusetzen. © ZRB | Privat

Für eine exakte Messung soll man laut der Ring-Hersteller die richtige Größe wählen, damit er nah an der Haut sitzt und ihn bevorzugt am Zeigefinger tragen. Warum ist das so wichtig?

Schöbel: So ein Ring muss eng anliegen. Denn im Gegensatz zur invasiven Messung stecke ich hier keine Sensoren in die Haut oder den Körper hinein. Und nur so kann ich von außen zum Beispiel Licht ins Gewebe schicken, ohne dass es streut. Gleichzeitig wird die Hauttemperatur durch engen Kontakt gemessen. Auch für die Pulsmessung muss erkannt werden, wie viel Blut in den Finger fließt. Da bietet die Ausrichtung der Sensoren zur Handinnenfläche eine gute Durchlässigkeit. Am Zeigefinger hat man wahrscheinlich die wenigsten Artefakte. Das sind Fehlmessungen, die immer dann auftreten können, wenn zu viel Bewegung da ist oder der Sensor nicht richtig da sitzt, wo er aufzeichnen soll. Außerdem sollte der Ring nicht mit einem anderen Ring zusammenschlagen, den man vielleicht am Ringfinger trägt.

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Millionen Deutsche schnarchen, Männer besonders häufig. Solche smarten Ringe versprechen auch eine Schnarch-Erkennung, sofern man das Handy mit seinem Mikrofon auf Kopfhöhe in die Nähe legt. Ist das wirklich ein Mittel gegen Schnarchprobleme?

Schöbel: Alleiniges Schnarchen hat erstmal keinen Krankheitswert. Es sind erstmal nur Geräusche, die jemand im Schlaf von sich gibt, welche die daneben schlafende Person nerven. Das Handy kann analysieren, wie laut das Geräusch und in welcher Frequenz es zu hören war. Nützlich ist das zum Beispiel für Singles, die alleine schlafen und überhaupt mal wissen wollen, ob sie schnarchen oder nicht.

Ring und Uhr zur Vorbeugung sinnvoll – ein Problem bleibt

Was erkennen Sie als Arzt aus einer Schnarchaufzeichnung?

Schöbel: Für uns Mediziner ist bei so einer Aufzeichnung die Frage: Handelt es sich dabei um ein einfaches oder krankhaftes Schnarchen? Bei Letzterem werden die Atemwege so eng, dass zu wenig Luft in die Lunge geht und der Patient Atempausen hat. Dieses krankhafte Schnarchen, die Schlafapnoe, müsste man dann abklären und gegebenenfalls eine Therapie einleiten.

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Wo könnten die smarten Geräten und Apps noch Vorteile für den Schlaf haben?

Schöbel: Wir Schlafmediziner sind schlecht darin, Schlafstörungen vorzubeugen – denn wir sehen die Patienten häufig erst, wenn sich eine Schlafstörung etabliert hat. Es geht aber darum, mehr für die Prävention zu tun. Und da können diese Sensoren für zu Hause einen guten Stellenwert einnehmen. Das müssen dann auch nicht zwangsweise Medizinprodukte sein, denn es liegt ja noch gar keine Erkrankung vor. Das Problem ist, dass sich aktuell jeder diese Geräte  selbst kaufen muss.

Können smarte Ringe und Uhren in Zukunft auch medizinisch eine ernsthafte Rolle spielen?

Schöbel: Die Hersteller dieser Produkte, Samsung, Garmin, Withings, Fitbit und Co., haben durch ihre Nutzer wahrscheinlich so viele Daten, dass sie wahrscheinlich ihre künstliche Intelligenz sehr gut programmieren können. Irgendwann werden die Sensoren so weit entwickelt sein, dass man auch mit weniger Sensoren und mithilfe von KI wahrscheinlich ähnlich gute Sachen herausfindet, wie wir aktuell in unserem Schlaflabor mit vielen Sensorkabeln. Aber derzeit ersetzt es eine Untersuchung im Schlaflabor noch nicht.