Berlin. Die Gesundheit überwachen, Arzttermine ergattern, vorsorgen: Wie uns das Smartphone gesund macht und fit hält, erklärt dieser Experte.
Wochenlang auf den Arzttermin warten, Zeitdruck in Sprechstunden und ein Bürokratie-Chaos, das immer noch von Formularen und Rezepten auf Papier beherrscht wird: All das nervt seit Jahren Ärztinnen und Patienten. Deutschland war bei der Gesundheitsversorgung lange Zeit Weltspitze – in der analogen Zeit. Die Digitalisierung hat das deutsche Gesundheitswesen aber aus Sicht vieler Experten verschlafen und hinkt heute fahrlässig hinterher.
Auswege aus der Misere schildert das kürzlich erschienene Ratgeberbuch „Der smarte Patient – Digitalisierung macht gesund“. In kurzen Kapiteln und leichter Sprache schildern der Gesundheitsökonom David Matusiewicz und sein Co-Autor, der Arzt und Krankenhausmanager Jochen A. Werner, wie wir uns dank digitaler Helfer besser um unsere Gesundheit kümmern können. Im Interview erklärt Autor David Matusiewicz, wie die Sprechstunde der Zukunft aussieht, warum gerade Ältere von digitaler Medizin profitieren und wie jeder Einzelne schon morgen zum „smarten Patienten“ werden kann.
Herr Matusiewicz, warum sind Ärzte, Praxen, Kliniken und Apotheken aus Ihrer Sicht so schlecht auf den digitalen Wandel vorbereitet?
Schaut man sich einen durchschnittlichen Hausarzt oder Hausärztin an, sind diese um die 60 Jahre alt, haben viel zu tun und haben laut Erhebungen fünf Minuten Zeit für den Patienten. Der Hausarzt ist genervt von den schlechten digitalen Entwicklungen in seiner Praxis, wie der Verwaltungssoftware. Wir haben uns bei der Digitalisierung bisher nicht mit Ruhm bekleckert. Das hat zu Ängsten, Hürden und Demotivation geführt. Auf der anderen Seite sind ältere Patienten bislang auch nicht mit Digitalisierung aufgewachsen. Beides führte dazu, dass das Gesundheitssystem von Arzt- und Patientenseite aus träge war.
Wo herrscht besonders viel Nachholbedarf?
Überall. Wenn man sich vorstellt, wie lange man herumtelefonieren muss, um einen Arzttermin zu bekommen und dann beim Arzt noch eine CD-Rom mit Bildern seiner Lunge bekommt und den Befund drei Wochen später per Post: Da gibt es von A bis Z richtig viel zu tun. Von der Prävention über Terminfindung und Nachsorge bis hin zum Stellen der Befunde.
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Digitale Medizin: „Wir werden mit Gentests viel tiefer in den Körper reingucken können“
Sie sagen, durch die Digitalisierung wird man den Begriff Gesundheit ganz neu definieren müssen. Das heißt?
Wir werden durch das, was heute möglich ist, viel tiefer in den Körper reingucken können. Was damals das Stethoskop beim Arzt zum Auflegen und Abhören von Herztönen war, ist morgen der Gentest. Mit diesem Gentest werden wir viel tiefer reingehen und zum Beispiel Erkrankungen viel früher sehen können, obwohl der Patient noch gar keine Symptome hat. Wenn wir außerdem bei allen Babys und Kleinkindern in den U-Untersuchungen Gentests machen, werden wir sehr viele – nach heutigem Verständnis – ‚Kranke‘ darunter haben. Die haben vielleicht eine Prädisposition (Anfälligkeit; d. Red.) für eine Erkrankung, die sich aber vielleicht einmal mittels einer Genschere heilen lässt. Wir werden über die Definition von ‚krank‘ und ‚gesund‘ ganz neu sprechen müssen.
Was kennzeichnet denn den „smarten Patienten“ außer sein Smartphone?
Einen ‚smarten Patienten‘ definieren wir als einen aufgeklärten, informierten Patienten. Das bedeutet, dass man das Thema Gesundheit nicht bei der Sprechstundenhilfe abgibt und sagt ‚der Arzt macht das schon‘, sondern sich selbst informiert. Das fängt damit an, dass man sich nicht unnötig Sorgen macht, zum Beispiel sein Muttermal bei Google sucht, gleich an Hautkrebs denkt und in die Notaufnahme fährt. Ein gutes Beispiel sind stattdessen digitale Selbsthilfegruppen für bestimmte Erkrankungen. Dort kann ich mich mit anderen zusammen informieren und austauschen, mithilfe von Ärzten und Moderatoren.
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Was bedeutet „smart“ noch?
Dass ich, um gesund zu bleiben, das nutze, was heute an technischen Möglichkeiten da ist. Das fängt bei Prävention an. Es gibt zum Beispiel Apps auf Rezept. Wenn ich das weiß, kann ich meinen Arzt auch darauf ansprechen, dass ich zum Beispiel bei Schlafproblemen nicht unbedingt Chemie schlucken muss, sondern erstmal eine App ausprobiere, die mir vielleicht schon hilft. Smarte Patienten nehmen das Projekt Gesundheit selbst in die Hand, informieren sich und reden mit dem Arzt auf Augenhöhe.
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Welche weiteren Dinge lassen sich im Alltag einfach umsetzen?
Bewegung hat einen der größten Effekte auf Gesundheit. Die meisten Smartphones haben Schrittzähler. Das kann ich nutzen, um zum Beispiel meine Ziele wie 10.000 Schritte am Tag zu erreichen. Wenn es heute regnet, dann gehe ich vielleicht trotzdem raus, um in der App als Belohnung meinen goldenen Pokal zu bekommen. Das Prinzip nennt man Nudging, zu Deutsch ‚Anstupsen‘. Dann gibt es Apps, mit denen ich ganz einfach meine Schlafqualität messen kann. Oder Apps rund um Ernährung, wo ich sehe, wie viele Kalorien ich heute schon zu mir genommen habe. In der Therapie werden sogar Bilder der kranken Lunge oder des Herzens als Bildschirmhintergrund verwendet, um Patienten immer wieder in Erinnerung zu rufen, ich muss etwas für meine Gesundheit tun.
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Warum sollten sich auch ältere Menschen noch mit der digitalen Medizin beschäftigen?
Gerade Ältere profitieren sehr davon, weil sie heute ganz einfach an qualitätsgesicherte Informationen kommen. Oder das Problem Terminfindung: Schon heute kann ich mir zum Beispiel sonntags in einem Online-Terminportal einen Arzttermin für den nächsten Tag buchen – sofern ich flexibel bin. Indem ich dort einstelle, dass ich den nächstmöglichen Termin bei meinem Arzt haben will. Sagt ein anderer Patient am selben Tag seinen Termin ab, kann ich diesen Termin ergattern. Über Bewertungen im Internet kann ich sehr schnell nachsehen, ob das Krankenhaus, in das ich kommen soll, denn gut ist. Die sogenannte ‚weiße Liste‘ zeigt mir dort an, ob ein Krankenhaus bei meiner Erkrankung auch viel Routine vorweisen kann. All das hilft mir, aufgeklärter zu entscheiden.
Wie können Ältere noch profitieren?
Egal wie alt ich bin oder welche Vorerkrankungen ich habe: Ich kann immer noch etwas herausholen. Entweder mehr Lebenszeit oder eine bessere Lebensqualität, indem ich mich mit anderen digital vernetze und austausche. Und zwar mithilfe von Apps in den Bereichen, die mich betreffen, sei es Herz, Psyche oder andere Erkrankungen. Das geht selbst, wenn ich chronisch krank bin: durch eine bessere Steuerung meiner Erkrankung, bessere Medikamenteneinstellung, bessere Transparenz.
Wenn künftig Patienten viel informierter als bisher in die Sprechstunde kommen: Kann das nicht zu Konflikten mit dem Arzt führen?
Nein, das behaupten nur rückständige Ärzte. Alle Ärzte, die ich kenne, die wirklich für den Patienten da sind und das ernst nehmen, wollen eine Kommunikation auf Augenhöhe. Die freuen sich, wenn der Patient mitdiskutiert und sich Gedanken macht. Denn genau das sind auch die motivierten Patienten. Es spart am Ende unheimlich viel Zeit, wenn zum Beispiel die elektronische Patientenakte bereits da ist und der Patient seine ganze Historie kennt. Dann fängt man bei einem Arztwechsel oder Umzug auch nicht immer wieder bei null an.
Datenschutz: „Der Deutsche nimmt seine Gesundheitsdaten lieber mit ins Grab“
Wie sollte dann ein Arztbesuch zukünftig aussehen?
Der Arzt kann in Zukunft einfach in die digitale Akte gucken und sieht auf einen Blick alle Arzneimittel oder Erkrankungen. Und der Patient bringt künftig seinen eingeordneten Datensatz auch noch mit. Als Diabetiker zum Beispiel habe ich über meinen Sensor am Arm in meiner App alle meine Werte, wann der Diabetes hoch- oder runterging und wann Insulin gespritzt wurde. Das gibt dem Arzt einen sehr schönen Überblick. Der Arzt der Zukunft wird sich auch nicht hinter dem Rechner verstecken, sondern er oder sie wird mit mir ein Gespräch führen. Er hat sich vorher über mich informiert und ich mich über die Erkrankung. Er wird mich auf ein Video mit den häufigsten Fragen zu meiner Erkrankung hinweisen, das ich mir vor dem Folgetermin in Ruhe zu Hause angucken kann. Die Patienten sind zufriedener und für die wichtigen Fälle bleibt mehr Zeit.
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Gesundheitsdaten sind für viele das höchste Gut: Worauf sollte ich achten, damit meine sensiblen Daten nicht missbraucht werden können?
Ich habe das Gefühl, der Deutsche nimmt seine Gesundheitsdaten lieber mit ins Grab. Was bringt es mir, wenn ich tot bin, weil ich meinen Herzinfarkt vorher nicht entdeckt habe, aber meine Daten geschützt im Aktenordner im Keller liegen? Je kränker die Menschen sind, desto eher sind die auch bereit, ihre Gesundheitsdaten zu teilen. Aber es hilft eben auch schon in der Prävention, um gar nicht erst krank zu werden. Das sind alles ein Stück weit Mythen, die von der Gesundheitsindustrie selbst gestreut werden, weil sie gut daran verdient. Wir haben in der Studie namens ‚Die Faxen dicke‘ für unser Buch inzwischen über 1000 Menschen befragt. Zwischen 85 und über 90 Prozent davon wollen einen digitalen Impfausweis, eine elektronische Patientenakte und Arzttermine online machen.
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Und wer da lieber vorsichtig ist?
Wir haben ja in Zukunft das sogenannte Opt-out-System. Damit kann ich zum Beispiel sagen, ich will nicht, dass mein Zahnarzt weiß, dass ich beim Psychotherapeuten war, dann kann ich mich dort austragen. Aber ich glaube, wer schlau ist, lässt das drin. Denn auch der Zahnarzt hat etwas von der Information, weil die Zähne manchmal auch mit meiner Psyche zusammenhängen. Wieso sollte der eine nicht wissen, was der andere tut? Die ärztliche Schweigepflicht bleibt ohnehin bestehen. Ich bin sicher, die Menschen wollen vieles, wenn sie damit schneller und besser versorgt sind und länger leben.
Zum Buch
„Der Smarte Patient - Digitalisierung macht dich gesund“ mit Prof. Dr. Jochen A. Werner, Klartext Verlag.