Berlin. Viele Kinder sind beim Essen wählerisch. Was sollen Eltern tun, wenn der Nachwuchs kein Gemüse isst? Wovon ein Arzt dringend abrät.
- Wie kann ich meinem Kind gesunde Ernährung beibringen?
- Viele Eltern wundern sich, warum ihre Kinder eine Ablehnung gegenüber gesundem Essen hegen
- Ein Kinderarzt erklärt, welche häufigen Fehler Eltern bei der Ernährung ihrer Kinder machen und wie sie ein besseres Vorbild für ihre Schützlinge sein können
Gesunde Ernährung beginnt bereits im frühen Kindesalter. Diesen gut gemeinten Ansporn gibt die Kinderärztin den jungen Eltern mit nach Hause – und die scheitern dann an der Realität und dem zugekniffenen Mund des Kindes. Was können Eltern tun, wenn der Sohn Gemüse sortenübergreifend ablehnt, es für die Tochter neben Nudeln kein akzeptables Lebensmittel gibt? Der Kinderarzt und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), Burkhard Rodeck, verrät, wie Kinder zu genussvollen Essern werden.
Wenn ich Eltern mit einer Brotbox voller Gemüsesticks für ihr Kind sehe, werde ich ehrlich gesagt ein bisschen neidisch. Nichts davon würde mein fast zweijähriger Sohn essen. Habe ich was falsch gemacht?
Burkhard Rodeck: Das kann ich natürlich nicht beurteilen. Aber zu Ihrer Beruhigung: Ungefähr 25 Prozent der Kleinkinder sind sogenannte Picky Eater. Sie möchten im Rahmen ihrer Autonomiebestrebungen selbst definieren, was sie gerne essen und was nicht. Das zeigen sie auch sehr deutlich. Das Thema betrifft also viele junge Familien.
Und was hilft?
Rodeck: Geduld. Grundsätzlich sollte ein neues Nahrungsmittel einem Kind mindestens achtmal, manchmal sogar zehn- bis 15-mal angeboten werden, bevor man aufgibt. Wenn das Kind die Möhre nicht mag, machen Sie mal drei, vier Tage Pause, und dann kommt die Möhre wieder auf den Tisch. Wenn dann wieder Ablehnung kommt, wieder ein paar Tage Pause. Also: Am Ball bleiben, ein bisschen penetrant sein, immer wieder anbieten. Und auch das zur Beruhigung: In den allermeisten Fällen löst sich diese Picky-Eater-Situation nach einigen Wochen oder mal auch Monaten, spätestens mit vier bis sechs Jahren auf.
In vielen Familien kommen mehrmals die Woche Nudeln auf den Tisch. Müssen Eltern ein schlechtes Gewissen deswegen haben?
Rodeck: Nein, das ist vollkommen okay. Nudeln sind lecker, als Studenten haben wir jeden Tag Nudeln gegessen. Und wenn ich Eltern höre, die sagen: ‚Oh Gott, mein Kind hat jetzt schon drei Wochen kein Gemüse gegessen – braucht es jetzt Nahrungsergänzungsmittel?‘, antworte ich ganz klar: Nein!
Nahrungsergänzungsmittel sind bei Kindern ein Thema?
Rodeck: Ja klar. Was meinen Sie, wie viele Eltern zu mir kommen und sagen, sie bräuchten was zum Stärken des Immunsystems? Denen sage ich: Lass das Kind doch einfach normal essen. Und was viele nicht wissen: Der kindliche Organismus hat sehr viele Reserven und kann auch mal drei, vier Wochen ohne zusätzliche Vitamine auskommen. Der Körper meldet sich, wenn er was braucht.
Was können Eltern tun, um ihrem Kind einen gesunden Umgang mit dem Thema Essen zu vermitteln?
Rodeck: Eltern sind Vorbilder. Man muss sich selbst eben auch mit der rohen Möhre und dem Apfelstückchen in genau derselben Form, wie es das Kind angeboten bekommt, beschäftigen. Das dann auch mit Genuss essen und den Genuss erkennen lassen. Wenn ich einen Döner esse und meinem Kind rohes Gemüse vor die Nase setze, bin ich natürlich kein echtes Vorbild. Und ich rate: Fangen Sie sehr früh an, mit dem Kind gemeinsam Nahrung zuzubereiten. Das wird auf einen Hocker gestellt und kann Mama oder Papa zugucken – natürlich gut aufpassen in der Nähe des Herdes. Kinder erfahren selbst damit Essenszubereitung und bekommen Lust mitzumachen und nachzumachen. Kaufen Sie die kleine Spielzeugküche für zu Hause, mit Töpfen, Pfannen, Kochlöffeln – was eben dazugehört. Und dann kommt die wichtigste Frage: Was ist eigentlich eine Mahlzeit?
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Was ist eine Mahlzeit?
Rodeck: Eine Mahlzeit ist nicht, den Quetschie in den Mund des Kindes zu geben. Eine Mahlzeit ist ein gemeinsames soziales Erlebnis. Am besten mit Eventcharakter, wenn es irgendwie geht mit Zeit – das steckt schon im Namen – und bitte ohne Stress. Häufig ist es doch so: Das Kind sitzt da, will die Möhre nicht essen, die Eltern sind genervt und sagen so was wie: ‚Das muss aber sein, das ist gesund‘. Je mehr Druck sie aufbauen, umso größer wird der Gegendruck.
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Sie haben Quetschies erwähnt, Brei in bunten Verpackungen, die sich ausdrücken lassen. Teufelszeug?
Rodeck: Das ist natürlich kein Gift und ich bekomme ein Kind auch erst mal satt. Aber ein Quetschie widerspricht all dem, was ich gerade gesagt habe. Es ist für das Erfahren von Mahlzeiten ein völlig falsches Signal. Ich quetsche in das Kind einen Brei, der in seiner Zusammensetzung nicht unbedingt seinen Bedürfnissen entspricht, oft völlig überzuckert ist und den das Kind auch nicht kauen muss. Es dient im Grunde nur dazu, das Kind eben schnell ruhigzustellen, weil es Hunger hat und man keine Zeit hat.
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Wie steht es mit Süßigkeiten?
Rodeck: Eltern sollten Süßigkeiten nur in Maßen zulassen. Ganz verbieten kann man sie nicht, und das sollte man auch nicht tun. Was Eltern auch nicht tun sollten: ‚Wenn du das jetzt nicht isst, bekommst du danach auch kein Dessert‘. Das verleiht der Süßigkeit einen besonderen Nimbus. Wenn die ganze Familie ein Dessert bekommt, dann auch das Kind – auch wenn es vorher das Hauptgericht vielleicht nicht gegessen hat. Wenn es ein Dessert gibt, gehört es ganz normal zur Mahlzeit wie auch das Hauptgericht.
Viele Kinder verbringen viel Zeit in einer Betreuungseinrichtung. Welchen Einfluss hat die Ernährung in der Kita auf das Essverhalten?
Rodeck: Einen sehr, sehr großen! Gesunde Ernährung muss in der Kita gelehrt und auch gelebt, das heißt praktiziert werden. Das ist deswegen besonders wichtig, weil in vielen Familien Essen gar nicht die Rolle spielt, wie wir uns das in diesem Gespräch als Idealbild vorstellen. Es gibt Studien dazu, dass das Essverhalten in der Familie über das beeinflusst werden kann, was Kinder in Einrichtungen erfahren und lernen. Aber das ist eine Frage von Personal und finanzieller Ausstattung.
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Wenn wir mal vom Optimum ausgehen: Wie sollte ein Kleinkind ernährt werden?
Rodeck: Man beginnt im Säuglingsalter frühestens mit dem abgeschlossenen vierten Lebensmonat, spätestens mit dem siebten Lebensmonat mit der sogenannten Beikost. Das geht als Erstes los mit der Breikost, zuerst die Gemüse-, Kartoffel- und Fleischbreie, dann Milch-, Getreidebreie. Zum Schluss kommen Getreide-, Obstbreie mit jeweils wenigen Wochen Abstand. Ab dem elften Monat kommt der Übergang zur Familienkost – also das, was ich esse am Mittagstisch, isst mein Kind auch. Eltern müssen da auch keine besondere Rücksicht nehmen, es muss nur altersgerecht dargeboten werden. Und wie gesagt: Essen ist Gemeinschaftsgefühl, jeder ist dabei.