Berlin. Zwei Olympioniken brauchten nach dem Wettkampf einen Rollstuhl. Sie starteten trotz Corona oder Spätfolgen. Ein Experte: „Hoch riskant.“
Es geschieht vor einem Millionenpublikum am Fernseher. Die Silbermedaillen-Gewinnerin im olympischen Weitsprung-Wettbewerb, Malaika Mihambo, spricht mit Trainer und Familie. Die 30-Jährige weint und wedelt mit der Hand. An ihren Lippen ist ablesbar, was sie sagt: Ich kriege keine Luft. Später wird Mihambo von Sanitätern auf einem Rollstuhl sitzend aus dem Olympiastadion in Paris gebracht.
Den Grund für ihre Not erklärt die Sportlerin später in einer Pressekonferenz. Sie hatte etwa acht Wochen vor dem Wettkampf eine Corona-Infektion und leide an den Spätfolgen. „Während des Wettkampfs war es okay, aber während der Ehrenrunde habe ich wenig Luft bekommen. Das war einfach zu viel. Ich habe dann um Hilfe gebeten“, sagt sie. Angesichts der Umstände sei die als Goldfavoritin gestartete Weltmeisterin von 2019 und 2022 mit ihrer Leistung sehr zufrieden.
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Mihambo ist nicht die einzige Sportlerin, die nach oder mit einer Corona-Infektion an Olympia teilnimmt. Und sie ist nicht die Einzige, die Probleme bekommt. Auch dem US-Sprinter Noah Lyles ergeht es so. Auch er sitzt in einem Rollstuhl, als er aus dem Stadion gefahren wird. Weltmeister und Goldfavorit Lyles hatte gerade die Bronze-Medaille über 200 Meter geholt, trotz Infektion.
Malaika Mihambo: Spätfolgen können Monate dauern
Für Prof. Wilhelm Bloch, Kreislaufforscher und Sportmediziner von der Deutschen Sporthochschule in Köln, sind die Fälle Mihambo und Lyles nicht unbedingt vergleichbar. „Aus ärztlicher Sicht aber hätten beide bei den Wettkämpfen nicht starten sollen“, sagt er. Sie seien in dieser Hinsicht keine guten Vorbilder gewesen, „auch wenn ich verstehen kann, dass Sportler Olympia nicht verpassen wollen“, so Bloch.
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Bei Malaika Mihambo geht Bloch davon aus, dass die Sportlerin während und nach ihrer Corona-Infektion wie empfohlen eine Trainingspause eingelegt habe. „Vieles ist hier natürlich Spekulation, aber ich denke, dass bei der Weitspringerin eine Folge der Corona-Infektion eingetreten ist, die bei vielen Menschen eintritt. Bei Leistungssportlern haben einer aktuellen Studie zufolge etwa sechs Prozent nach Covid-19 über längere Zeit eine substanzielle Leistungsreduktion.“
Bloch meint konkret eine durch die Infektion ausgelöste Veränderung des Lungengewebes. Durch sie werde der Sauerstofftransport behindert. Er kenne diese Probleme auch von anderen Sportlern nach Covid-19. Es könne Wochen oder Monate lang dauern, diese Corona-Folgen zu überwinden. Mitunter brauche es dafür auch spezielles Lungentraining.
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„Ich gehe davon aus, dass Malaika Mihambo auch im Training zuletzt schon belastet gewesen ist. Die Hochbelastung des Wettkampfs hat das dann noch einmal verstärkt“, so Bloch. Noah Lyles Körper hingegen sei angesichts der akuten Infektion von der Anstrengung des Sprints völlig überfordert gewesen. „Die Bilder, wie er da herausgefahren worden ist, waren schon dramatisch“, sagt Bloch.
Corona: Bei akuter Infektion klare Regeln für Sportler
Dem Sportmediziner zufolge steht in den Olympia-Statuten nicht geschrieben, dass Menschen nach oder mit Covid-19 nicht teilnehmen dürfen. „Gleichwohl hat zumindest der US-Sprinter nicht nur sich, sondern auch andere gefährdet, als er an den Start ging.“ Im schlimmsten Fall drohe bei einer extremen Belastung trotz Infektion der plötzliche Herztod, so Bloch. Doch auch ohne Lebensgefahr sei Lyles‘ Verhalten hochriskant. „Es kann zu Herzmuskelentzündungen, -rhythmusstörungen oder auch langfristigen Schädigungen kommen.“
Im Falle einer Infektion, egal ob mit Corona oder Grippe, gibt es laut Bloch aus sportmedizinischer Sicht klare Regeln, die für Leistungs- wie für Hobbysportler gälten: keine Belastung, Trainings- und Wettkampfpause einlegen, und das nicht nur bis zum Ende der Symptome. „Eigentlich sollte man zehn Tage warten, bis man wieder richtig ins Training einsteigt“, sagt der Experte.
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Sport trotz Spätfolgen - es droht chronisch zu werden
Sportlern mit Langzeitproblemen nach Covid-19 rät Bloch, die Belastung zu steuern, Pausen einzulegen, die Reaktionen auf Bewegung und Training zu beobachten. „Sie müssen das Training nach und nach steigern und auf jeden Fall den Körper checken.“ Wer einfach so weitermache, riskiere, dass die Probleme chronisch werden.
Trotz aller Dramatik haben die Bilder von erschöpften Sportlerinnen und Sportlern im Rollstuhl für Wilhelm Bloch auch einen guten Aspekt: Sie lenkten die Aufmerksamkeit auf ein Problem, das viele Menschen mittlerweile verdrängt hätten. „Es gibt eine sehr große Zahl von Menschen, die durch Corona in ihrer Leistung eingeschränkt sind.“ Allein 300.000 bis 400.000 Menschen in Deutschland seien erwerbsgemindert. Wilhelm Bloch: „Die Gefährdung durch das Virus ist noch nicht vorbei.“