Berlin. Einmal Olympische Spiele: davon träumt jeder Profisportler. Unsere Autorin war zweimal fast am Ziel – und spricht über Druck und Tränen.
- Die Olympischen Spiele sind für Spitzensportler der große Traum
- Doch der Weg dorthin bedeutet Druck, extrem hartes Training und Verzicht im Privatleben
- Unsere Autorin war als Leichtathletin kurz davor und gibt Einblick, welche Opfer sie gebracht hat
„I run for a living“ (zu Deutsch in etwa: Ich laufe, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen) – das stand lange Zeit in meiner selbstgewählten Profilbeschreibung auf meinen Social-Media-Kanälen. Das klingt so schön simpel. Möglichst schnell im Kreis laufen. In Wahrheit ist daran auf Leistungssportniveau überhaupt nichts einfach.
Es ist eine wahnsinnig akribische Arbeit, perfektionistisch wird an kleinsten Details gearbeitet und in Trainingseinheiten regelmäßig an die eigenen mentalen und körperlichen Grenzen gegangen – um im Wettkampf zwei Zehntelsekunden schneller zu laufen.
Harte Arbeit für den einen großen Traum: Olympia. Das Ziel, auf das ich Tag und Nacht hingearbeitet habe. Und trotzdem nie wusste, ob es am Ende reichen wird. Denn neben der eigenen Disziplin und natürlich auch dem Talent, muss man für seinen Traum von Olympia ein individuell passendes Team aus Trainerinnen- oder Trainern, Therapeuten oder Therapeutinnen finden, ist abhängig von Funktionären und deren Entscheidungen, benötigt finanzielle Unterstützung – und nicht zuletzt auch Glück.
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Traum von Olympia: Training bis an die Schmerzgrenze
Sehr häufig werde ich gefragt, was meine Motivation ist. Geld kann es nicht sein, Leichtathletinnen und -athleten werden in Deutschland nach wie vor nicht gut bezahlt. Meistens liegt der Verdacht nahe, dass die Eltern einen in diese Bahnen gelenkt haben. Das ist bei mir auch nicht der Fall. Ich glaube, meine Mutter dachte sich insgeheim manchmal sogar, dass das Training zu anstrengend sei.
Meine Motivation ist intrinsisch. Sie kommt tief aus meinem Inneren. Ich will gut sein, unbedingt. Woher das genau kommt, kann ich nicht sagen. Aber ich bin schon immer sehr ehrgeizig in allem, was ich tue. Und das Laufen ist meine Leidenschaft: Mich komplett auszupowern und meine Grenzen auszutesten, meinen eigenen Fortschritt zu beobachten, das macht mir Spaß.
Titel und Bestzeiten: Erfolge im Sport machen süchtig
Wenn ich mich gemeinsam mit meiner Trainingsgruppe durch ein fieses Tempolauf-Programm quäle, ist es keine Seltenheit, dass mindestens eine Person aus der Gruppe sich vor Anstrengung übergeben muss oder nach dem Programm vor lauter Schmerzen minutenlang auf dem Tartanboden liegen bleibt. Wenn du so eine Trainingseinheit schaffst, dann ist das Gefühl danach unbeschreiblich. Du bist voller Stolz.
Dann gibt es natürlich noch die Erfolge, die man schwarz auf weiß nach einem erfolgreichen Wettkampf hat: Wenn du bei den Deutschen Meisterschaften als Erste die Ziellinie überquerst oder auf der Uhr eine neue persönliche Bestzeit leuchtet – da gibt es kein vergleichbares Gefühl. Und das macht süchtig. Diesen Endorphinschub willst du unbedingt wieder erleben.
Olympia dramatisch verpasst – kein Training mehr ohne Tränen
Kurz gesagt: Wenn es gut läuft, dann ist es der beste Job der Welt. Aber wenn es schlecht läuft, dann ist es so richtig beschissen. Denn genau wie die unglaublichen Hochs geht das Ganze auch in die entgegengesetzte Richtung. Wenn du dein ganzes Leben darauf ausrichtest, eine bestimmte Leistung an Tag X abzurufen und der Plan zum Schluss nicht aufgeht, dann ist das ein Schmerz, der durch Mark und Knochen geht.
Eines meiner einschneidendsten Erlebnisse: Nach der Corona-Impfung hatte ich mit solchen gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, dass ich die sicher geglaubte Qualifikation für die Olympischen Spiele in Tokio verpasst habe. Danach konnte ich keinen Trainingsplatz mehr betreten, ohne in Tränen auszubrechen. Was da geholfen hat? Ein kompletter Tapetenwechsel – ich habe meine Wohnung gekündigt und bin in die USA gezogen.
Olympische Spiele in Paris: im zweiten Anlauf zur ersehnten Qualifikation?
Jetzt dann also Olympische Spiele in Paris. Die Ausgangslage sah für mich in diesem Jahr deutlich schlechter aus als noch vor Tokio. Ich wusste, es wird eine knappe Kiste. Gleichzeitig hatte ich aber auch einen tiefen Glauben an mich selbst. In meiner Karriere habe ich oft gesehen, dass bei Athletinnen und Athleten an Tag X der Knoten geplatzt ist und die bisherigen Leistungen pulverisiert wurden. Wieso sollte in diesem Jahr nicht auch ich mal dieses Glück haben?
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Ich habe vor Jahren einmal das bemerkenswerte Zitat einer Sportlerin gelesen „When all pain and doubts turn into dust“ (zu Deutsch etwa: Wenn alle Schmerzen und Zweifel sich in Nebel auflösen). Das Zitat ist in meinem Kopf hängen geblieben, beschreibt es doch das Leben als Leichtathletin so gut. Denn natürlich ist der Trainingsprozess auch von Zweifeln geprägt. Bin ich spritzig genug? Stimmen meine Kraftwerte? Habe ich genug trainiert?
Wenn du alleine an der Startlinie stehst, hast du nur eine Chance zu bestehen, wenn du all diese Zweifel ausblendest und mit jeder Faser deines Körpers von dir und deinem Können überzeugt bist.
Trainingsalltag als Athletin: extrem spannend – für Außenstehende
Der Alltag eines Athleten oder einer Athletin sieht für Außenstehende oft sehr spannend aus, ist aber tatsächlich recht eintönig. Mein gesamter Tagesablauf war durch meinen Job geprägt, die Woche strukturiert durch die Trainingseinheiten:
- Montags Schnelligkeit,
- Dienstags Tempoläufe,
- Sonntags war in der Regel der trainingsfreie Tag der Woche.
Eine Trainingseinheit kann dann gerne schonmal bis zu fünf Stunden dauern. Und die anderen 19 Stunden des Tages? Physio, Sauna, Kühlbecken, da hat jeder Athlet und jede Athletin unterschiedliche Präferenzen. Das Beste ist es, den Rest des Tages die Beine hochzulegen und auf das nächste Training zu warten.
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Das Leben als Sportlerin bedeutet häufig auch, Meilensteine im Leben der Familie und im Freundeskreis zu verpassen. Oder auch einfach nur den Ausflug ins Freibad abzusagen. Denn Hitze zieht sehr viel Energie – das bedeutet, das Training am Nachmittag wäre dann nicht mehr gut zu schaffen. Das sind tatsächlich die Seiten des Sports, die mir immer am schwersten gefallen sind.
Insbesondere in meiner Disziplin, den 400 Meter Hürden, ist die Belastung im Training so hoch, dass eine ganze Trainingswoche nur mit einer derartigen Konsequenz zu schaffen ist. Die Trainingseinheiten sind extrem hart.
Würden sich die Strapazen auszahlen? Der Qualifikationszeitraum für die Spiele in Paris hatte bereits 2023 begonnen. Da ich damals kaum Rennen absolvieren konnte und bei den 400 Meter Hürden keine Hallenzeiten zählen, gab es für mich nur eine Möglichkeit: in extrem kurzer Zeit fünf sehr gute Wettkampfergebnisse für das sogenannte World Ranking erzielen. Etwa drei Wochen vor den Deutschen Meisterschaften – gleichzeitig auch das Ende des Qualifikationszeitraums – wusste ich: Es wird nicht reichen. „Du hast wirklich alles versucht nach der Corona-Impfung wieder zurückzukommen“, tröstete mich meine Mutter. Und das stimmt. Ihre Worte haben mich traurig gestimmt und gleichzeitig extrem beruhigt.
Druck, Verzicht, Familie: Warum ich meine Sportkarriere beende
Nicht nur die eigenen stetig steigenden Ansprüche, sondern auch die Finanzierung des Sports üben unterschwellig stetig Druck aus. Verträge werden häufig nur für ein Jahr geschlossen oder sind mit drastischen Kürzungen verbunden, wenn die vorgegebene Leistung in einer Saison nicht erfüllt wird. Viele Leistungssportlerinnen und -sportler, die sich nicht den Sportklassen bei der Polizei oder Bundeswehr anschließen, haben daher Schwierigkeiten ihren Lebensunterhalt nur mit dem Sport zu bestreiten.
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Nach 16 Jahren Leistungssport ist für mich jetzt Schluss. Weil ich nicht mehr bereit bin, für den Sport auf so vieles zu verzichten. Im Juni wurde ich bei den Deutschen Meisterschaften noch einmal Deutsche Vizemeisterin über 400 Meter Hürden. Meine Familie war da, die mich von Anfang an begleitet hat – ich hatte damit einen versöhnlichen Abschluss meiner Leistungssportkarriere.
Das Laufen hat mir viel gegeben, ich habe viele Orte bereist und internationale Freundschaften geschlossen. Ich hätte mir keinen besseren ersten Job vorstellen können.