Berlin. Ärztin Claudia Ellert ist selbst von Long Covid betroffen. Im Interview spricht sie über ihre eigene Erkrankung und unseriöse Heilmethoden.

  • Long Covid, also die Langzeitschäden nach einer Corona-Infektion, sind der Wissenschaft noch immer ein Rätsel
  • Die ARD widmet dem Thema aktuell eine neue Reihe mit Eckart von Hirschhausen, der Betroffene zu Wort kommen lässt
  • Hier berichtet die Ärztin und Long-Covid-Betroffene Claudia Ellert vom Leben mit der geheimnisvollen Krankheit

Über Jahre hat die Corona-Pandemie unser Leben beherrscht. Geschlossene Restaurants, Kinos und Geschäfte, die Maskenpflicht und regelmäßige krankheitsbedingte Ausfälle im Job, die irgendwie aufgefangen werden mussten. Doch während die Normalität wieder Einzug in den Alltag gefunden hat, leiden viele Menschen noch heute unter den Folgen einer Covid-19-Erkrankung. Das Stichwort: Long Covid. Die Betroffenen leiden unter physischen oder kognitiven Einschränkungen, die auch Monate oder Jahre nach der Infektion noch anhalten. Die schwerste Form des Long-Covid-Syndroms ist die Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS), das mit der Schwächung einer Vielzahl von Organfunktionen einhergeht und die Alltagsfähigkeit stark einschränkt.

Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt Claudia Ellert, Fachärztin für Chirurgie und Gefäßchirurgie und selbst Betroffene von Long Covid, wie die schwersten Formen der Erkrankung aussehen, welche Therapieformen es gibt und warum Heilversprechen zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich sind.

Wie genau äußert sich Long Covid in der Regel?

Claudia Ellert: Letztendlich kann man das mit dem Überbegriff eines Energiemangelsyndroms beschreiben. Dabei sind verschiedene Organ- und Muskelfunktionen und somit die körperliche Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Häufig kommt es zudem zu kognitiven Einschränkungen, wie Störungen des Gedächtnisses, der Aufmerksamkeit wie auch der Denkleistung und Schmerzen.

Welche Erkrankungen verstecken sich dahinter?

Ellert: Unter dem Begriff Long Covid versammeln sich ganz verschiedene Einschränkungen. Beschwerden, die länger als drei Monate nach der Covid-19-Erkrankung fortbestehen, bezeichnet man als Post-Covid-Syndrom. ME/CFS gilt dabei als schwerste Form. Dieses Syndrom an sich ist allerdings nichts Neues, man kennt das Krankheitsbild bereits seit mehreren Jahrzehnten, insbesondere nach dem Pfeifferschen Drüsenfieber oder nach der Influenza. Im Zuge von Covid-19 gab es jetzt allerdings so viele Patienten in kürzester Zeit wie wohl noch nie zuvor.

„Es gab Phasen, in denen ich das Haus nicht verlassen habe.“

Sie selbst waren betroffen. Wie hat sich die Krankheit bei Ihnen geäußert?

Ellert: Bei mir verlief die Erkrankung vergleichsweise mild. Dennoch gab es in den Monaten nach der Akuterkrankung Phasen, in denen ich das Haus nicht mehr verlassen habe. Es hat mehrere Monate gedauert, bis ich es gelernt hatte, innerhalb meiner neuen Grenzen zu agieren und somit das Auslösen von Symptomen zu vermeiden. Man bezeichnet dies als Pacing. Damit ist das Erkennen der individuellen Leistungsgrenze und das Vermeiden des Überschreitens dieser Grenze gemeint. Dies ist keine Heilung im eigentlichen Sinne, sondern der Umgang mit der Erkrankung.

Mithilfe des Pacings lernt man, sich innerhalb seiner Ressourcen zu bewegen, ohne auf Bewegung oder soziale Kontakte komplett verzichten zu müssen. Bei schwer Betroffenen von ME/CFS können aber selbst ganz alltägliche Dinge wie Duschen oder Essen bereits eine Überlastung bedeuten. Ich habe das Glück, dass sich meine Situation mittlerweile deutlich gebessert hat und ich wieder Vollzeit arbeiten kann, auch wenn sportliche Tätigkeiten weiterhin nur in ganz kleinem Umfang möglich sind.

Claudia Ellert Long Covid
Das Buch „Long Covid – Wege zu neuer Stärke“ von Claudia Ellert ist im ZS Verlag erschienen (224 Seiten, 24,99 Euro). © ZS Verlag GmbH | ZS Verlag

Long Covid: Viele Betroffene können das Bett nicht mehr verlassen

Sind manche Menschen „kranker“ als andere?

Ellert: Die Ausprägung und die Schwere der Einschränkungen der Betroffenen sind sehr unterschiedlich. Es gibt Long-Covid-Patienten, die ausschließlich kognitiv eingeschränkt und schnell erschöpft sind und Pausen brauchen. Auf der anderen Seite gibt es Patienten, bei denen die Erkrankung den gesamten Körper betrifft und einen normalen Alltag unmöglich macht. Etwa jeder 4. ME/CFS-Patient kann nicht einmal das Haus oder gar das Bett verlassen. Heilung ist dabei aktuell nicht in Sicht, es stehen uns im Moment lediglich symptomatische Behandlungen zur Verfügung, die die Beschwerden lindern können.

Das Kardinalsymptom von Long Covid und ME/CFS ist die sogenannte Post-Exertionelle Malaise (PEM). Die Betroffenen gehen zum Beispiel 30 Minuten spazieren, haben ein längeres Meeting auf der Arbeit und können danach tagelang nichts mehr unternehmen, weil sie durch Symptome, die zeitverzögert auftreten, beeinträchtigt sind. Es ist anfangs oft schwierig, den Zusammenhang zwischen der Belastung und den Symptomen herzustellen, da die Verzögerung Stunden bis Tage betragen kann. Das erschwert auch die Diagnosestellung.

Haben sich die Erkrankungen im Verlauf der Pandemie verstärkt und auch in der Zahl zugenommen?

Ellert: Man kann erkennen, dass Long Covid durch die zunehmende Immunität, sei es durch Impfungen oder durchgestandene Infekte, seltener auftritt. Die meisten Fälle gab es bei den Patienten, die 2020 noch am Wildtypus erkrankt sind und noch nicht durch eine Impfung geschützt waren.

Auch spannend: Haarausfall kann eine Folge von Corona sein

Kann Long Covid denn geheilt werden?

Ellert: Vor allem bei ME/CFS ist die Anzahl derer, die gesund werden, sehr gering. Natürlich hat sich jetzt einiges getan in der öffentlichen Wahrnehmung und im Wissen zum Krankheitsbild. Die Hoffnung liegt jetzt in einer frühzeitigen Erkennung und entsprechender Beratung, um so schwere Verläufe zu verhindern. Durch symptomatische Therapien lassen sich die Krankheitssymptome teilweise zumindest graduell bessern. Für den einzelnen Betroffenen kann es bereits ein großer Unterschied sein, ob er selbst mobil ist und das Haus verlassen kann oder beispielsweise in vermindertem Umfang arbeitsfähig ist.

Long Covid: Diagnose wird häufig gar nicht erst gestellt

Welche Probleme gibt es bei der Anerkennung und Diagnose von Long Covid?

Ellert: Bei den meisten Menschen, die an Covid-19 erkranken, bessert sich eine vorübergehende Erschöpfungssymptomatik glücklicherweise innerhalb von Wochen oder Monaten. Für die langfristig Betroffenen gibt es in der Forschung zwar mittlerweile unglaublich viel Wissen, dies fehlt in der breiten Versorgung jedoch weiterhin zu häufig. Die betroffenen Patienten werden nach wie vor nicht sicher diagnostiziert. Zu oft wird dann ein psychosomatisches Krankheitsbild festgestellt.

Dadurch wird verhindert, dass die Patienten entsprechend beraten und symptomatisch behandelt werden. Ratschläge, dass man einfach mehr Sport machen solle und die Probleme dann weggehen würden, sind keine Seltenheit. Die Betroffenen fühlen sich dann nicht ernst genommen und stellen sich selbst infrage. Das ist oft schlimmer als die Tatsache, dass es oft keine geeignete Therapieform gibt.

Im Internet werden häufig vielversprechende Heilmethoden angeboten. Was ist davon zu halten?

Ellert: Das ist wie bei vielen anderen Krankheiten. Es ist ein großer Unterschied, ob ich sage, dass ich Patienten mit einem Medikament oder einer Therapie unterstützen kann oder ob ich von Heilung spreche. Dann ist für mich im Fall von Long Covid oder ME/CFS die Grenze überschritten. Heilversprechen für Long-Covid-Patienten sind unseriös.