Berlin. Der Kanzler ist beschädigt, viele Sozialdemokraten wollen mit dem Verteidigungsminister in den Wahlkampf ziehen. Der Showdown ist nah.
Knapp drei Monate sind es noch bis zur geplanten Bundestagswahl am 23. Februar. Doch bei der SPD ist immer noch nicht klar, mit welchem Kanzlerkandidaten die Partei ins Rennen gehen wird. Die Berliner Parteiführung steht bisher fest zu Noch-Kanzler Olaf Scholz – und der will auch nicht weichen. Die Kritik an ihm ist in den vergangenen Tagen aber lauter geworden, immer mehr Sozialdemokraten aus Bund, Ländern und Kommunen trauen sich aus der Deckung. Viele halten Verteidigungsminister Boris Pistorius, den populärsten Politiker des Landes, für den besseren Kandidaten.
Zuletzt nahmen in der SPD die Forderungen zu, den Schwebezustand rasch zu beenden. Zwar sind am Montag Sitzungen der Parteigremien geplant, in denen die Kandidatenfrage beantwortet werden könnte. Mehrere Sozialdemokraten machten gegenüber dieser Redaktion aber deutlich, dass die Debatte früher beendet werden müsse, der Schaden sei bereits jetzt groß. Im Gespräch war eine Entscheidung der K-Frage an diesem Freitag. Scholz spricht am Freitagmorgen auf einer Konferenz sozialdemokratischer Kommunalpolitiker in Berlin und könnte dort um Unterstützung für seine Kampagne werben. Damit wäre die Streitfrage auch vor dem Bundeskongress der Jusos geklärt, die SPD-Nachwuchsorganisation tagt am Wochenende in Halle. Drei Szenarien, wie es weiter gehen könnte.
1 – Scholz zieht die Sache durch
Olaf Scholz ist der größte Fan von Olaf Scholz. Er kann sehr dickköpfig sein und einmal getroffene Entscheidungen auch gegen immense Widerstände durchsetzen, wie etwa sein kategorisches Nein zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine zeigt.
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Scholz ist sich sicher, dass er trotz des Scheiterns der Ampel-Koalition der beste Kanzlerkandidat für die SPD ist und den Rückstand auf CDU-Chef Friedrich Merz bis zum Wahltag noch aufholen kann. In den vergangenen Tagen war der Kanzler beim G20-Gipfel in Brasilien, seit Mittwoch ist er wieder in Deutschland. Während seiner Auslandsreise musste er immer wieder Stellung zur K-Frage nehmen. Seine Linie: „Die SPD und ich wollen gemeinsam gewinnen.“ Die Parteiführung stehe hinter ihm.
Es kann sein, dass Scholz damit durchkommt. Denn würden die Basis und mächtige Landesverbände den Kanzlerkandidaten Scholz stürzen, wäre auch die SPD-Führung um die beiden Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil sowie den neuen Generalsekretär Matthias Miersch nachhaltig beschädigt. Die sind für Scholz, ließen die Debatte um einen Kandidatenwechsel aber viel zu lange laufen und versäumten es, rechtzeitig Fakten zu schaffen.
Nach bisheriger Planung soll der Parteivorstand in den kommenden Tagen den Kanzlerkandidaten bestimmen. Der Beschluss soll rechtzeitig vor der so genannten „Wahlsiegkonferenz“ fallen, die für den 30. November anberaumt ist und bei der der Bewerber seinen ersten großen Auftritt haben wird. Für den Januar ist noch ein Parteitagsvotum vorgesehen.
Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios: hoch
2 – Scholz wirft entnervt hin
Wie auch immer das Ringen in der Partei ausgehen wird: Olaf Scholz ist schon jetzt schwer beschädigt. Ein Kanzler, der keine Mehrheit mehr im Parlament hat und im anstehenden Wahlkampf seine eigenen Truppen nicht geschlossen hinter sich weiß, befindet sich im Grunde in einer ausweglosen Situation. Was es für einen Kanzlerkandidaten bedeutet, von Teilen der eigenen Basis nur widerwillig getragen zu werden, konnte man 2021 beim damaligen Unions-Bewerber Armin Laschet beobachten. Der stolperte durch die Kampagne und ging anschießend als Verlierer vom Platz. Scholz und seiner SPD allerdings droht bei den vorgezogenen Neuwahlen im Februar ein Massaker: Laut aktuellen Umfragen könnten sie nur mit etwas 15 Prozent der Stimmen rechnen, wenn bereits am kommenden Sonntag Bundestagswahlen wären. Etliche Abgeordnete müssen um ihre Mandate fürchten – zumal der neue Bundestag aufgrund des reformierten Wahlrechts auch um 100 Abgeordnete schrumpfen wird.
Theoretisch denkbar ist, dass Scholz von sich aus die Notbremse zieht und den Weg für Pistorius freimacht. Das wäre dann vergleichbar mit dem Verhalten von US-Präsident Joe Biden, der sich eigentlich noch einmal zur Wahl stellen wollte, im Sommer wenige Monate vor dem Urnengang angesichts miserabler Umfragewerte aber seiner Vizepräsidentin Kamala Harris den Vortritt ließ. Das Ergebnis ist allerdings bekannt – Harris verlor Anfang November gegen den republikanischen Bewerber Donald Trump.
Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios: niedrig
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3 – Pistorius beendet die Debatte
Der Verteidigungsminister befindet sich gerade in einer unmöglichen Situation: Er muss loyal zum Kanzler sein. Aber natürlich weiß auch er, dass er für viele Sozialdemokraten die letzte Hoffnung ist. Der 64-Jährige betonte in den vergangenen Tagen öffentlich immer wieder, dass der Kanzler auch den Zugriff auf die Kanzlerkandidatur habe. Zuletzt sagte der Verteidigungsminister mit Blick auf seine eigene Person aber auch: „In der Politik sollte man nie irgendetwas ausschließen, ganz egal, worum es geht.“
Pistorius könnte, wenn er wollte, die Debatte um sich selbst und Scholz ganz leicht beenden. Und zwar indem er klar sagt: „Ich stehe nicht für die SPD-Kanzlerkandidatur zur Verfügung und werde in den kommenden Monaten alles dafür tun, damit auch der nächste Bundeskanzler Olaf Scholz heißt.“ Pistorius‘ Anhänger wären dann zwar enttäuscht. Seiner Partei hätte der Verteidigungsminister aber eine Zerreißprobe erspart.
Dass es dazu kommt, ist derzeit nicht abzusehen. Vielleicht erkennt Pistorius ja auch, dass er in der Wählerschaft derzeit zwar ausgesprochen populär ist, ein SPD-Wahlkampf mit ihm an der Spitze aber beträchtliche Risiken bergen würde: Pistorius war Innenminister in Niedersachsen und ist seit Anfang 2023 Verteidigungsminister. Er ist ein Sicherheits-Experte. Als Generalist mit vertieften Kenntnissen in Themen wie Finanzen, Wirtschaft und Sozialpolitik ist er bisher nicht in Erscheinung getreten. Die dürften im heraufziehenden Wahlkampf aber die zentrale Rolle spielen. Hinzu kommt, dass es insbesondere unter linken Sozialdemokraten – gerade auch in der Bundestagsfraktion – erhebliche Vorbehalte gegen den Mann gibt, der mehr Geld für die Bundeswehr haben will und sagt, dass Deutschland angesichts der Bedrohung aus Russland binnen weniger Jahre wieder „kriegstüchtig“ werden müsse.
Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios: mittel
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