Washington. Die gefährlichsten sechs Wochen beginnen nach der US-Wahl. Was kommt, könnte den Sturm auf das Kapitol verblassen lassen.
2020, als Donald Trump seine Niederlage gegen Joe Biden leugnete, unterlagen er und seine Helfershelfer – auch mangels Sachverstand – in 60 Prozessen. Aber man habe gelernt, sagt Georgetown-Professor Neal Katyal. „Die Schurken sind keine Amateure mehr. Sie haben die letzten vier Jahre damit verbracht, sich zu Profis zu entwickeln, und akribisch eine Strategie an mehreren Fronten ausgearbeitet, um jede knappe Wahl zu kippen.“ Zwei Wochen vor dem Urnengang in den USA wächst die Angst vor Turbulenzen, gegen die der „Sturm aufs Kapitol“ 2021 verblassen könnte:
Warum die sechs Wochen nach der Wahl am gefährlichsten sind
Nach Schließung der Wahllokale am 5. November beginnt in rund 10.000 Wahlbezirken die Auszählung der Stimmen. Nach Bundesgesetz müssen die 50 Bundesstaaten ihre Ergebnisse sechs Wochen später bis zum 11. Dezember offiziell zertifiziert haben. Am 17. Dezember kommen die 538 Mitglieder des „Electoral College“ dezentral zusammen und wählen auf Basis der „Popular Vote“-Ergebnisse den/die 47. Präsidenten/-in. Bis zum 25. Dezember muss das Resultat beim Kongress sein, genauer: bei der amtierenden Vorsitzenden des Senats, Vizepräsidentin Kamala Harris, und dem Leiter des Nationalarchivs. Am 3. Januar kommt der neu gewählte Kongress zusammen. Am 6. Januar wird er unter der Aufsicht von Harris das Ergebnis offiziell zertifizieren. Der letzte Schritt der Übergangsphase („Transition“) ist die Amtseinführung des neuen Präsidenten in Washington am 20. Januar. In dieser Zeitspanne – es sei denn, es gibt einen über jeden Zweifel erhabenen Sieg für einen der beiden Kandidaten – ist die US-Wahl nach Angaben des Brennan Center in hohem Maße „störanfällig“.
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Warum ein Klima der Angst herrscht
Team Trump will laut republikanischer Parteizentrale 200.000 Wahlbeobachter schulen. Sie sollen bei der Stimmenauszählung der staatlichen Wahlbürokratie auf die Finger schauen. Experten des Center for Media and Democracy (CMD) vermuten, dass noch in der Wahlnacht über die sozialen Medien Videoclips, Fotos und Posts in Umlauf kommen, die konstruierte Unregelmäßigkeiten aufzeigen, um die Wahl zu diskreditieren und den Weg für eine juristische Anfechtung zu bereiten. Mit einem öffentlichen Aufschrei wäre rechts der politischen Mitte nicht zu rechnen. Fast 70 Prozent der republikanischen Wähler glauben bis heute, dass Trump die Wahl vor vier Jahren gestohlen wurde – auch wenn es dafür keinen gerichtsfesten Beleg gibt.
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Warum die Systematik Verschwörern in die Hände spielt
Durch unterschiedliche Auszählungsmodalitäten ist fast programmiert, dass es in der Nacht nach der Wahl bei knappem Ausgang kein belastbares Ergebnis geben wird. In den mutmaßlich wahlentscheidenden Bundesstaaten Pennsylvania und Wisconsin zum Beispiel dürfen Hunderttausende Briefwahlzettel erst am Wahltag geöffnet und ausgewertet werden. Das dauert. Und führte 2020 dazu, dass erst vier Tage nach der Wahl Joe Biden als Sieger feststand. Bei einer Hängepartie steigt die Frequenz von Falschinformationen und Verschwörungstheorien. Donald Trump könnte sich im Verein mit seinem Hauptunterstützer Elon Musk (200 Millionen Follower auf seinem Portal X) an die Speerspitze setzen und massives Misstrauen gegen staatliche Institutionen säen.
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Warum es mehr als ein Schreckensszenario gibt
Bewaffnete Milizen, die an Wahllokalen Wache schieben, um angeblich Betrug auszuschließen, könnten Wähler einschüchtern und so die Wahlbeteiligung drücken.
Nach Schließung der Wahllokale könnten Wahlbeamte bedroht werden, weil etwa Briefwahlunterlagen zuletzt ausgezählt werden. Das führte 2020 dazu, dass in einigen Bundesstaaten republikanische Kandidaten inklusive Trump erst kurzfristig in Führung gingen, später aber gegen die Demokraten das Nachsehen hatten.
Trump & Co. haben bereits über 120 Klagen eingereicht. Sie formulieren vorab Zweifel an der Lauterkeit der Wahlergebnisse. Im Mittelpunkt steht die Behauptung, in den Wählerregistern seien Hunderttausende Nichtwahlberechtigte verzeichnet, etwa illegale Einwanderer. Das ist nach Angaben aus den Bundesstaaten haltlos, wird aber etliche Gerichte intensiv beschäftigen.
Weil in mehreren Bundesstaaten anerkannte „Wahlleugner“, also Trumpianer, in die Gremien gewählt wurden, wird damit gerechnet, dass sie im Falle einer sich abzeichnenden Niederlage ihres Idols die Auszählung verzögern oder blockieren und die Zertifizierung der Ergebnisse verweigern. Gerichte könnten das unterbinden, aber es würde hektisch. Und wertvolle Zeit ginge verloren.
Befürchtet wird, dass Trump dafür sorgen will, dass umkämpfte „Swing States“ ihre Bescheinigungsfrist (11. Dezember) verpassen und das „Electoral College“ handlungsunfähig wird.
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Es wird auch nicht ausgeschlossen, dass Trump-Anhänger auf Zuruf versuchen könnten, am 17. Dezember in brisanten Bundesstaaten die Teilnehmer am „Electoral College“ von der Stimmabgabe abzuhalten. Mit dem Ziel, die Amtseinführung Mitte Januar zu hintertreiben.
Warum Trumps „Endgame“ eine Verfassungskrise und Gewalt auslösen kann
Wenn Trump und Harris am Ende jeweils 269 Stimmen im Wahlleutegremium haben sollten – also eine zu wenig zum Sieg –, dann überträgt die Verfassung die letzte Entscheidung dem Kongress. Jede Delegation eines Bundesstaats hat dann eine Stimme. Weil die Republikaner zahlenmäßig im Vorteil sind, würde Trump mit 270 Stimmen die Wahl wahrscheinlich für sich entscheiden. Massiver Protest weiter Teile der Öffentlichkeit sei dann denkbar, heißt es im Heimatschutzministerium. Samt Gegengewalt rechtsextremer Gruppen, die schon 2020 im Sinne Trumps agiert haben.
Warum der Staat trotz gesetzlicher Vorsichtsmaßnahmen Neuland betritt und überrumpelt werden könnte
Der 2022 parteiübergreifend reformierte „Electoral Count Reform Act“ unterbindet auf dem Papier diverse Bauerntricks, mit denen Trump 2020 falsche Wahlleutelisten für das „Electoral College“ platzieren lassen wollte. Auch kann der Kongress nur Einspruch gegen das Wahlergebnis eines Bundesstaates einlegen, wenn vorher in beiden Kammern des Kongresses jeweils mindestens 20 Prozent der Abgeordneten zustimmen. Ob das reicht, weiß heute niemand. Auf der anderen Seite steht ein Ex-Präsident, der die Wahl bereits im Voraus als „manipuliert“ bezeichnet und die Beglaubigung einer für ihn ungünstigen Wahlauszählung anfechten will, um letztlich von dem mit Trump-Anhängern besetzten Obersten Gerichtshof recht zu bekommen.
Nur eine „blaue Welle“ und ein überwältigender Sieg von Kamala Harris im Wahlkollegium sowie ein Doppelsieg der Demokraten im Kongress könnten das Risiko eines instabilen Übergangs abwenden. Aber dafür spricht im Moment nicht viel. Vier der sechs Präsidentschaftswahlen seit 2000 wurden in einigen wenigen Bundesstaaten mit weniger als 120.000 Stimmen entschieden. 2020 waren es 44.000 Stimmen in drei Bundesstaaten. Die Wahl am 5. November wird nach letzten Umfragen diesem Muster folgen.
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