Tel Aviv. Drei Israelis gelang es, sich aus den Fängen der Hamas zu befreien. Sie hofften auf ihre Armee. Doch dann geriet ein Soldat in Panik.
70 Tage waren sie in der Gewalt der Hamas, lebten in Angst und Ungewissheit. Dann gelant es Yotam Chaim, Alon Schamriz und Samer Al-Talalka, sich zu befreien. Als die drei jungen Männer am Freitag dann die israelischen Truppen in Shejaiya im Norden des Gazastreifens herannahen sagen, schwenkten sie eine weiße Stoffbahn und riefen auf Hebräisch: „Rettet uns!“
Womit sie offenbar nicht gerechnet hatten war offenbar die große Angst, die israelische Soldaten vor den Hamas-Kämpfern haben. Ein Soldat geriet in Panik. Er befürchtete, von der Hamas in eine Falle gelockt worden zu sein – und schoss auf die eigenen Landsleute, die er eigentlich befreien sollte. Als die Armee erkannte, dass es sich um Geiseln handelte, war es schon zu spät. Die Geiseln waren tot.
Krieg in Gaza: „Es ist verboten, auf jemanden zu schießen, der die weiße Flagge zeigt“
Entsetzen war die Folge, als die Armee Freitagabend die Öffentlichkeit informierte und umfassende Aufklärung versprach. Das Feuer, hieß es schnell, habe der Soldat befehlswidrig eröffnet. Der Kommandant habe angeordnet, die Operation gegen die vermeintlichen Terroristen einzustellen. Er wurde nicht gehört. Dass auf die Geiseln geschossen wurde, habe den Einsatzregeln wiedersprochen, betonte Generalstabschef Herzi HaLevi am Samstag. „Es ist verboten, auf jemanden zu schießen, der eine weiße Flagge zeigt“. Der Vorfall sei jedoch „inmitten des Nahkampfs und unter Druck“ passiert. Man werde daraus die nötigen Lehren ziehen.
Den Angehörigen der Geiseln reicht das nicht. Ihre Plattform ist in den zweieinhalb Monaten seit dem 7. Oktober zu einer lautstarken politischen Bewegung herangewachsen, sie erfährt auch in der israelischen Gesellschaft immer mehr Unterstützung. Am Samstag demonstrierten rund Hunderttausend Menschen nahe dem Verteidigungsministerium in Tel Aviv, um das Kriegskabinett zu neuen Verhandlungen mit der Hamas zu bewegen.
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Mehrere der vor drei Wochen freigelassenen 105 Geiseln traten auf die Bühne. „Jeden Morgen, wenn ich aufwache, wachen die Geiseln in der Dunkelheit auf“, sagte Danielle Aloni, die nach 49 Tagen in Hamas-Gewalt gemeinsam mit ihrer Tochter Emilia freigelassen wurde. „Wenn ich esse, denke ich darüber nach, was sie essen, und ob sie überhaupt etwas zu essen haben. Ich rufe das Kriegskabinett auf: Initiiert einen Deal, macht ein Angebot. Bringt sie zurück nachhause – jetzt!“
In der rechts-nationalen Regierung unter Benjamin Netanjahu finden die freigelassenen Geiseln allerdings nur wenig Gehör. Damit schwindet die Hoffnung, dass die 112 Männer, Frauen und Kinder, die sich nach israelischen Schätzungen noch in der Gewalt der Hamas befinden, freigelassen werden. Die Nachricht vom Tod der drei jungen Israelis habe ihm „das Herz gebrochen“, sagte Netanjahu Samstagabend in einer Pressekonferenz, fügte aber hinzu: „Jeder, der einmal an der Front gekämpft hat, weiß, dass Sieg und Desaster nur eine Haaresbreite voneinander entfernt sind.“
Gaza: In der einzigen Kirche soll Scharfschütze Katholiken getötet haben
Auch dieser Vorfall ist ein Desaster: Das Lateinische Patriarchat von Jerusalem teilte mit, die israelische Armee habe auf dem Gelände der einzigen katholischen Kirche des Gazastreifens eine ältere Frau und deren Tochter getötet. Die beiden Frauen seien von den Kugeln eines Scharfschützen getroffen worden. Sieben weitere Menschen seien in der Gemeinde der heiligen Familie in der Stadt Gaza durch Schüsse verletzt worden, erklärte das Patriarchat. Die israelischen Streitkräfte erklärten auf Anfrage, sie prüften den Vorfall. In der Kirchengemeinde haben seit Beginn des Krieges christliche Familien Zuflucht gesucht.
Netanjahu bekräftigte unterdessen seine Entschlossenheit, den Krieg gegen die Hamas fortzusetzen. Der militärische Druck auf die Hamas dürfe nicht aufhören, betonte Netanjahu. „Wir werden weiter kämpfen, bis wir den totalen Sieg erringen.“
Benjamin Netanjahu bekommt Druck von zwei Seiten
Tatsächlich steht Regierungschef Netanjahu unter Druck, und das von zwei Seiten: von den Familien der Geiseln und den Hardlinern in seiner Regierung. Also verhandelt David Barnea, Chef des Geheimdienstes Mossad, zwar in Katar zwar über einen möglichen zweiten Geisel-Deal. Doch ohne eine zumindest temporäre Waffenruhe werden die Hamas kaum zustimmen. Die Konsequenz: Netanjahus Parteifreund Nissim Vaturi zerschlug am Sonntag die Hoffnung auf einen neuen Deal zur Freilassung weiterer Geiseln. Das wäre „ein schwerer Fehler, der der Hamas in die Hände spielt. Keiner wird zustimmen, den Krieg zu stoppen“, sagte er in einem Radiointerview.
Wie weit eine Waffenruhe entfernt ist, zeigt Netanjahus Reeaktion auf einen Brief, den er von „Dutzenden Angehörigen gefallener Soldaten“ erhalten habe, wie er am Sonntag die Minister in der Regierungssitzung wissen ließ, bevor er daraus zitierte „Ihr habt den Auftrag zu kämpfen. Ihr habt keinen Auftrag, mittendrin aufzuhören.“
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