Berlin. Micky Beisenherz braucht keine Journalisten-Ausbildung, um sein Publikum mitzuziehen. Wie er das anstellt, lesen Sie in unserer Reihe.
Die Geschichte mit Omma war herzzerreißend. Sie war immer dabei, ob im Fernsehen, im Podcast, auf Instagram oder privat, eine resolute Ruhrgebietsgroßmutter, die jeden „mit dem Basketball-Schläger“ bearbeiten wollte, der ihr zu nah kam. Als Omma starb, hat der Enkel seine Trauer öffentlich gemacht. Und seine beträchtliche Fangemeinde hat mit getrauert. Hart am Kitsch, aber eben auch mitten ins Herz. „Laberkopp“ Micky Beisenherz: Das ist sein Erfolgsrezept.
Michael, genannt Micky, Beisenherz (47) bringt das Kunststück fertig, öffentlicher als Oliver Pocher zu leben, aber selten so peinlich zu werden. Und wenn, dann mit Absicht. Er hat nie eine Journalistenschule besucht, aber eine sehr moderne Art des Medienmachens geprägt, die allerlei Genregrenzen überschreitet.
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Er schreibt Gags fürs Dschungelcamp (RTL) und interviewt in seiner ntv-Show #Beisenherz die Größen der Politik. Er hat den Rollkragenpullover in Problemfarben zurück in die Tragfähigkeit geholt, und den Kölner Treff, die Plauderrunde des WDR, wieder ansehnlich gemacht. Erst neulich hat er sich dort den Jammerboomer Thomas Gottschalk vorgenommen.
Beisenherz und der Installationsbetrieb: Einst rackerte er sich an Kloschüsseln ab
Beisenherz hat im elterlichen Installationsbetrieb gerackert, Kloschüsseln aus Altbauten gehämmert – und hegt unverhohlene Sympathie für den bollerigen Sozialunionisten Karl-Josef Laumann (CDU). Voller Ernst kann er über Kriege und Krisen sprechen, um gleich darauf aus dem Papiermüll vom Boulevard etwas Gag-Origami zu falten. Ach ja, beim Fußballpodcast MML (Micky Beisenherz, Maik Nöcker, Lucas Vogelsang) macht er auch mit.
Die wilde, aber immer unterhaltsame Themenmischung beschert seinem täglichen News-Podcast „Apokalypse und Filterkaffee“ bis zu einer halben Million Hörer täglich. Auch deswegen, weil Beisenherz sich nicht auf die zwanghafte Polarisierungsneigung des Mediengewerbes einlässt.
Micky Beisenherz: Bei ihm passen Spott und große Gefühle zusammen
Man kann für Geschlechtergerechtigkeit eintreten und zwanghaftes Gendern dennoch skeptisch betrachten. Man kann auch ein verheerendes Erdbeben und belanglosen Klatsch gleichzeitig in einer Folge abhandeln. Beisenherz kriegt die Geissens und Viktor Frankl zusammen, Spott und große Gefühle. Motto: Erst beobachten, dann bewerten. Bei vielen Medienmenschen ist es umgekehrt.
Und? Was ist er nun? Ein Influencer, der seine Fans auf Instagram und Twitter virtuos bedient? Talkmaster? Texter? Comedian? Model? Kommentator? Kumpel? Trash-Guru? Innovator? Fußballverrückter? Fragen, die sich Beisenherz gar nicht stellt. Er repräsentiert eine neue Generation selbstbewusster Medienpflanzen, die nicht in den Windkanälen großer Medienhäuser geschliffen, sondern in zehn Jahren Privatfunk gestählt wurden. Erst Radio Herne, dann Radio NRW.
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Er ist bis heute unabhängig geblieben, hat weder Verlag noch Sendeanstalt mit ihren Marktforschern und Rollenerwartungen im Kreuz. Was die anderen denken? Egal. „Beisenherz zeigt den Wandel weg von den Medienmarken und hin zur Personenmarke, die die digitalen Märkte kennzeichnen“, sagt die Berliner Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach: „Beisenherz ist seine eigene Marke.“
Wie viele seiner Zeitgenossen fragt er nicht, was die Kundschaft will, sondern was ihn selbst interessiert, ob Trash oder Weltpolitik. Beisenherz ist seine eigene Marke, die er ohne Imageberatung selbstständig auf jedem Kanal pflegt. Er hält Widersprüche aus und beherrscht die Kunst der Selbstironie.
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Er ist Integrator statt Imperator, Aggregator statt Aggressor, er zieht Kooperation der Konfrontation vor, kennt den Unterschied zwischen Spott und Häme. Reuschenbach: „Er kann Widersprüchlichkeiten aushalten, seine Formate entsprechen dem vorherrschenden Lebensgefühl von Verwirrung und Überforderung, schaffen mit schrägem Humor aber zugleich auch Entlastung.“
Beisenherzens Kraftort ist das Ruhrgebiet von Omma. Nach dem Abitur in Castrop-Rauxel, wo sein Onkel Bürgermeister war (SPD), studierte er fast ein ganzes Semester Soziologie in Bochum, dann war ihm klar, „dass ich auch gleich zu dem stehen kann, was ich schon damals gewesen bin, ein sagenhafter Laberkopp, ein Mensch, den es in die Öffentlichkeit zieht.“ Das Gespür dafür, wann welcher Ton gefragt ist, lernt man eben nicht in Seminaren, sondern in der sozialen Kontrolle des Potts, diesem einzigartigen Trainingsgelände für harten, aber herzlichen Ton.
Was Micky Beisenherz von seinen alten Kumpeln im Revier gelernt hat
Beisenherz ist Ruhrgebietler ohne Herkunftsscham. Im Gegenteil. Er liebt das Revier für „dieses angenehm Unambitionierte, das Unaffektierte, wenn die Menschen sagen: ,Ich hab Arbeit, die Silke auch, die Kinder sind gut in der Schule und der Garten ist auch schön. Ist doch alles gut‘.“ Egal, was anliegt, er schrubbt aus Hamburg zur Familienfeier ins Revier, weil es sich gehört. Er hängt ab mit der Familie, frotzelt mit den Cousins und kickt mit den alten Kumpels auf dem Sportplatz der JVA Castrop-Rauxel. Den Schlüssel hat er, obwohl er am weitesten weg wohnt.
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Ob Schüler oder Installateursgehilfe, der Knabe Michael war in Vielfalt gebettet. Um ihn herum Menschen aus Polen und dem Libanon, Bildungsprotze und Schlichte, Junge und Alte, Dortmunder und Schalker. Für alle galt: Bisse okay, bisse okay, bis auf die Schalker vielleicht.
Beisenherz erinnert sich an „diese unglaubliche Herzlichkeit untereinander“, wenn Heizer und Trockenbauer und Dachdecker und Elektriker im Frühstücksraum zusammentrafen. Alter? Egal. Herkunft? Egal. Ton? Rustikal. „Da war immer was Verbindendes. Am Ende waren wir alle irgendwie zusammen.“ Das Ruhrgebiet betrachtet er nicht als Krisen-, sondern als Chancengebiet. „Ich war da immer sehr happy. Es gibt keinen Grund, da weg zu wollen.“
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Und wenn alle Projekte eines Tages floppen? „Dann mach´ ich halt was anderes.“ Müsste er morgen wieder alte Kloschüsseln zerdeppern, würde er pünktlich um sieben mit dem Vorschlaghammer bereitstehen, auch weil er weiß, dass manche der alten Kumpels noch da sind, um ihn herzlich zu begrüßen: „Na, Du alten Arsch, da bisse ja wieder…“.
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