Berlin. In seinem Buch „Ungefiltert“ holt er zum Rundumschlag aus: Gottschalk fühlt sich missverstanden. Ein Vorwurf geht ihm besonders nahe.

Manche Sätze haben das Potenzial, einen regelrecht zu verfolgen. Bei Thomas Gottschalk war es ein Satz, den er als Erklärung für seinen endgültigen „Wetten, dass…?“-Abschied ausrief: „Ich rede mittlerweile im Fernsehen anders als zu Hause.“ Ein Satz, an dem er sich in seinem neuen Buch („Ungefiltert“, Heyne, 24 Euro, ab 16. Oktober) ordentlich abgearbeitet hat.

Medienexperte erklärt: „Thomas Gottschalk ist zu einer tragischen Figur geworden“

„Bekenntnisse von einem, der den Mund nicht halten kann“, will das Buch laut Untertitel liefern. Auf 319 Seiten ist es das Hadern eines Mannes mit der Gegenwart, mit einer Zeit, in der nicht mehr Roberto Blanco oder Tina Turner über die Bühne hüpfen, sondern Influencer die neuen Stars sind. Er sei ja „in der Tat als jemand verschrien, der Fluchtinstinkte entwickelt, wenn man Influencer oder Realitystars neben mir in TV-Talkshows zu platzieren versucht“, schreibt er. Vor allem die Influencerinnen seien ihm suspekt, „dieser Typus junger Frauen“, die nur mit Bling-Bling Kohle machen wollten.

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Doch warum verzagt der 74-Jährige, der in seiner Branche alles erreicht hat, so am Hier und Jetzt? Ein Mann, der mit seiner zweiten, frisch vermählten Frau, Karina Mroß (62), Honeymoon und Ruhestand als Multimillionär einfach genießen könnte. Er selbst sieht die Schuld vor allem bei Social Media, KI und dem ganzen Zeitgeist sowieso, so jedenfalls liest es sich Kapitel um Kapitel. Es scheint, als suche er nach seinem TV-Rücktritt nun eine Bühne als Welterklärer.

Thomas Gottschalk
Thomas Gottschalk, wie ihn Millionen Fernsehzuschauer kennen: 36 Jahre lang moderierte er „Wetten, dass..?“ im ZDF. © DPA Images | Philipp von Ditfurth

Dass man nichts mehr sagen dürfe im TV, dafür habe er von Kollegen Gegenwind bekommen, so nach dem Motto, es würde ja wohl hierzulande keiner für seine Meinung ins Gefängnis wandern. So hatte es Gottschalk nicht gemeint, das wird schon klar, wenn man sein neues Buch liest. Wovor er sich fürchtete und immer noch fürchtet, liegt nach der Lektüre auf der Hand: dass er sich einen saftigen Shitstorm einfängt. Er wollte doch immer nur unterhalten, er will keinen Widerspruch.

Der Gottschalk früher, der musste doch nur in seiner Brokatjacke die Arme weit öffnen, da flogen ihm millionenfach die Herzen der Zuschauer zu. Ein Clown, der Unterhaltung machte, der sich seine eigenen Spielregeln gab und jedem, der auf wichtig machte, über den Mund fuhr. Er war der Liebling der Nation, eine Art Guru fürs heimische Sofa. Doch plötzlich fliegen ihm statt Herzen wütende Tweets entgegen. Und das, das macht er im Buch klar, fällt ihm schwer zu akzeptieren.

Er sei zu einem „alten Mann geworden“ und „gehöre damit einer Spezies an, die straflos gedisst werden kann“, seine Diagnose. Er arbeitet sich dermaßen an den sozialen Netzwerken ab, dass man sich schon fragt: Mensch, erfindet der gerade ein neues Fernsehformat? „Gottschalk vs. Internet“? Wie oft habe er „aus dieser Ecke die Ansage vernommen: Halt doch einfach die Klappe!“ Als wäre seine Zeit abgelaufen.

Umgang mit Frauen: Gottschalk will von „Tatscherei“ nichts wissen

Klar gibt es auch Passagen, die sich mit dem Glanz und Abglanz der guten, alten Show befassen, wo sein altes Strahlen noch ein bisschen durchschimmert, wo er wieder einlenkt, wo er auch mal fünfe gerade sein lassen will, wo er sagt, dass er ja beileibe nicht alles richtig gemacht habe. Ach, Tommy, man möchte ihn sofort wieder herzen. Doch dann, geradezu wie bei Dr. Jekyl & Mr. Hyde, kommt der Wüterich aus ihm heraus. Dann schlägt er wieder um sich und erinnert einen an diese anstrengenden Verwandten, die früher mal ganz okay waren und auf einmal nur noch zum Fremdschämen sind.

Dann, natürlich, ist er schnell beim Thema „Gottschalk und die Frauen“. Abermillionen Zuschauer wurden über die Jahrzehnte hinweg Zeugen, wie der TV-Dino seine Hand auf Arm, Schulter oder Oberschenkel seiner weiblichen Stars abzulegen wusste. Als Urvater „des öffentlichen Antatschens“ sei er gebrandmarkt worden, „der sich für keine Peinlichkeit zu schade ist und seine weiblichen Gäste am Samstagabend im TV zwischen Erdnussflips zu Hause und Kinderwette im TV aufs Widerlichste anmacht oder gar anfasst“. Doch das sieht er selbst anders.

Mit dem Bild des alten, weißen Mannes, der übergriffig war, will er aber so gar nichts zu tun haben. Er sei da auch falsch verstanden worden. „Meine Unart, Frauen gedankenlos da anzufassen, wo ich sie gerade erwische“, habe man ihm irgendwann nicht mehr als „jugendlichen Leichtsinn“ durchgehen lassen. Auf einmal sei ihm „Bösartigkeit“ unterstellt worden und dass er schlicht von gestern sei. Irgendwann hatte er das Etikett „klebriger Tatscher“ weg. Aus seiner Sicht zu Unrecht.

Sophia Loren mit Thomas Gottschalk
Vor allem mit seinen weiblichen Gästen ging Gottschalk gern auf Tuchfühlung – wie 2004 mit Schauspielerin Sophia Loren. © DPA Images | Michael Urban

Nein, Gottschalk will nicht „die Klappe“ halten. Mal gibt er den großväterlichen Mahner, der Frauen davor warnt, dass das ganze Gendern ihrer Emanzipation nun wirklich nicht weiterhelfe. Mal larifarisiert er „#MeToo“, indem er schreibt: „Zweifelsohne ein heißes Eisen, das hinter verschlossenen Türen anders diskutiert wird als in der Öffentlichkeit und, so befürchte ich, von einigen Männern immer noch anders betrachtet wird als von den Frauen.“

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Gottschalk: „Mein geheimer Wunsch hat sich nie erfüllt“

An manchen Stellen ist sein Furor durchaus auch nachvollziehbar. Dass er sich hilflos den „Hatern“ ausgeliefert gefühlt hat, das Gefühlt teilt er mit vielen, die heute in der Öffentlichkeit stehen. „Gottschalk, Du alter Nazi, Du hast Dich doch an alle Frauen rangeschmissen, die Du Dir in Deine Show eingeladen hast. Hast Dich immer damit entschuldigt, dass das nicht, so gemeint‘ war und dass Du aus einer anderen Zeit kommst. Deine Zeit ist aber rum. Mach Dich vom Acker, bevor es zu spät ist!“ Das hat ihn tief getroffen. Ihm seien „rechtsextreme Denkweisen zutiefst zuwider“. Er positioniert sich als Konservativer, dessen Toleranz bei Gendern, Transgender und Toilette fürs dritte Geschlecht allerdings an die Grenze gerät.

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Ob ein Grund für dieses Anstänkern gegen den Zeitgeist eine gewisse Frustration ist? Denn eigentlich hält sich Gottschalk ja nicht nur für einen Witzereißer. Das Intellektuelle in ihm – immerhin war er mal Deutschlehrer –, auch das sei nicht wirklich gesehen worden. „Mein geheimer Wunsch, zu den Klugen im Lande und damit zur intellektuellen Elite gezählt zu werden, hat sich nie erfüllt“, schreibt er. „Im Gegensatz zu meinem ernsteren und seriöseren Freund und Kollegen Günther Jauch wurde ich immer als der fröhliche Gummibär wahrgenommen.“

Gottschalk wollte eben immer von der geistigen Elite ernst genommen werden. Zum Beispiel von Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki. „Meine späte Nähe zum großen Reich-Ranicki war mir auch ein Beweis dafür, von meinem Deutschlehrer unterschätzt worden zu sein, der mehrere meiner literarischen Ergüsse lediglich mit einem ,befriedigend‘ bewertet hatte.“ Sein Gedächtnis jedenfalls ist noch top.

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Gottschalk argumentiert gern mit der „schweigenden Mehrheit“, die die Welt so sehe, wie er es tut. Und bemüht dann auch den deutschen Fußball, in dem sich nicht mehr nur die Gerd Müllers tummeln. „Ich gebe auch gerne zu, dass ich mich an Spielernamen wie Jamal Musiala ebenso noch gewöhnen muss wie an Deniz Undav, während ich meinem Enkel kürzlich ein Bayern-München-Trikot spendiert habe, auf dem der Name Dayot Upamecano stand.“ Er habe ja schon dazugelernt. Trotzdem: Vielleicht ist es ja ganz gut, so was jetzt nicht im Fernsehen gesagt zu haben.