Berlin. Rekord-Bergsteiger Reinhold Messner musste über die Jahre viel Kritik einstecken. Welche ihn einst fast gebrochen hätte, verrät er hier.
- Bergsteiger-Legende Reinhold Messner feiert seinen 80. Geburtstag
- Im Interview reflektiert er die schweren Schicksalsschläge seines Lebens
- Besonders einer Person gilt dabei Messners große Dankbarkeit
Kurz vor seinem 80. Geburtstag hat Reinhold Messner mit „Gegenwind“ (Malik, 2024) eine neue Biografie herausgebracht. Auch wenn diese im Zeichen der großen Kämpfe seines Lebens steht, so ist die Bergsteiger-Legende aktuell sehr milde gestimmt. Was nicht zuletzt daran liegt, dass er noch einmal eine große Liebe gefunden hat, wie er im Interview erklärt. Was den aktuellen Streit um sein Erbe angeht, so meint er lakonisch: „Ich gestalte meine Sachen, meine Kinder machen ihre Sachen. Mehr kann und will ich dazu nicht sagen. Ich will keinen Streit provozieren.“
Ihr 80. Geburtstag am 17. September rückt immer näher. Können Sie sich in Ruhe darauf einstimmen?
Reinhold Messner: Im Gegenteil. Wir haben so viele Interviewanfragen angenommen, dass es mir echt zu viel wird. Im Grund habe ich davor keinen Tag frei. Wir sind am äußersten Rand des Machbaren, aber das werden wir im nächsten Jahr wieder ändern.
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Aber an Ihrem Geburtstag ist das hoffentlich anders.
Messner: Am 80. gehe ich mit meiner Frau auf eine Almhütte. Da feiern wir zu zweit in Ruhe und gehen am nächsten Tag auf eine schöne Bergtour. Ein großes Fest wäre eine unnötige Belastung. Ich hätte davon selbst nichts. Da kann man nicht mit den Gästen kommunizieren, weil alle einen bedrängen. Lieber treffe ich mich später mit einzelnen Grüppchen. Aber der großen Feste ist es genug.
Reinhold Messner: Dieser Schicksalsschlag hat ihn am härtesten getroffen
In gewissem Sinn passt dieser Trubel zu Ihrem neuen autobiografischen Buch „Gegenwind“. Oder würden sie ihn nicht als „Gegenwind“ bezeichnen?
Messner: Nein, der Gegenwind hat abgeflaut, aber er war die Konstante, die mich mein Leben lang verfolgt hat. Das geht weit zurück bis Anfang der 60er. Denn meine Ideen wurden immer zuerst einmal als unmöglich beurteilt und infrage gestellt. Außerdem bin ich immer wieder rufmörderisch behandelt worden.
Welcher Gegenwind war für Sie der schlimmste? Der körperliche, den Sie auf Ihren Expeditionen erdulden mussten, oder negative Reaktionen der Öffentlichkeit?
Messner: Sicher der Gegenwind in der Öffentlichkeit. Am Berg, in Grönland oder in der Antarktis war er nicht angenehm, aber es ging eben nicht anders. Letztlich waren das alles großartige Erfahrungen und Erlebnisse. Aber was ich nach der Nanga Parbat-Besteigung 1970, bei der mein Bruder Günther umkam, bis heute ertragen musste, das war und ist Rufmord in absoluter Gewissenlosigkeit und Unerträglichkeit. Dass ich das überlebt habe, ist ein Wunder.
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Was genau meinen Sie mit „überleben“?
Messner: Das psychische Überleben. Ich bin zum Glück nicht kollabiert. Sie müssen sich vorstellen: Ich liege nach der Expedition in Innsbruck in der Klinik, meine Zehen werden amputiert und ich erzähle den Eltern, die mich besuchen, wie das mit meinem Bruder war. Die Eltern waren noch in einem Schock. Weit weg, für sie nicht greifbar, war ein Sohn ums Leben gekommen. Und drei Wochen später wird in den Medien geschrieben, das stimme alles nicht. Mein Bruder sei knapp unter dem Gipfel an der Rupal-Wand gestorben, nicht an der Diamir-Seite, wo wir abgestiegen sind.
Was sollten die Eltern jetzt denken? Oder meine Brüder? Dass die Familie nicht auseinandergerissen wurde, ist ein Wunder. Zu den Kolporteuren gehörten nicht nur der Expeditionsleiter, sondern auch die Journalisten, die diese Nachrichten verbreiteten. Damit begann diese Auseinandersetzung, die im Grunde immer noch nicht zu Ende ist, weil es immer noch Leute gibt, die die Realität nicht wahrhaben wollen.
Wegen Gerüchten: „Meine Kinder wurden in der Schule gehänselt“
Aber inzwischen gibt es ja Beweise für Ihre Version. Denn die Überreste Ihres Bruders wurden auf der Diamir-Seite gefunden...
Messner: Und zwar genau dort, wo ich gesagt habe, dass sie auftauchen müssten. Aber es gibt immer noch Leute, die sagen, das sei gefaked. Und es waren ja nicht nur die einzigen Falschmeldungen. Zum Beispiel wurde behauptet, ich hätte eine Mumie in Ägypten geklaut und dann in die Alpen gebracht, wo sie als Ötzi „entdeckt“ wurde. Das ist Rufmord, der nicht nur mich betraf. Meine Kinder wurden in der Schule gehänselt. Es betraf meine Eltern und es betraf die Gemeinschaft in meinem Heimattal, wo man anfing, darüber zu reden.
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Bei Ihrem aktuellen Projekt, der Begegnungsstätte Messner Mountain Heritage in den Dolomiten, müssen Sie keine Widerstände mehr überwinden?
Messner: Nein. Ich bin auf diese Geschichte sehr stolz. Sie entstand daraus, dass die Bergstation einer Seilbahn hätte abgerissen werden sollen – die an einem der schönsten Plätze der Welt steht. Ich habe den Vorschlag gemacht, das Haus und die Struktur stehenzulassen und sie mit einem neuen Thema zu befüllen. Meine Frau meinte, wir sollten ein Institut einrichten, um insbesondere jungen Leuten ein Verständnis für die Berge und die Natur zu vermitteln, das viele in der digitalen Welt drohen, zu verlieren.
Diane Messner: So wichtig ist sie für ihren Mann
Ist Ihre Frau konzilianter als Sie, der Sie im Gegenwind gelebt haben?
Messner: Viel konzilianter. Sie ist, wie ich zu sagen pflege, Menschen annehmend. Ich bin eher ein Skeptiker. Ich habe nicht ihre Fähigkeit, auf die Leute zuzugehen.
Wie wichtig ist es für Sie, jetzt eine glückliche Liebesbeziehung führen?
Messner: Ich hatte mit 75 wenig Hoffnung, dass sich jemand so um mich kümmern würde, jedenfalls nicht im Rahmen einer Liebesbeziehung. Und ich habe auch nicht mehr damit gerechnet, dass ich in meinem Alter und meiner Sturheit jemand finde, der mit mir leben will. Per Zufall habe ich dann Diane getroffen.
Es hat eine Zeit lang gedauert, bis wir einander wirklich gefunden und gemerkt haben, dass wir in vielen Punkten zusammenpassen. Heute ist sie nicht nur mein Jungbrunnen, sondern auch meine Stütze. Obwohl das Altern Tag für Tag spürbarer wird, erlebe ich jetzt die glücklichste Zeit meines Daseins, weil ich meine Frau an meiner Seite habe.
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Ihre Familie war allerdings nicht so begeistert von Ihrer Frau, wie Sie in Interviews berichteten...
Messner: Leider hat man versucht, sie mit allen Mitteln hinauszudrängen, was für sie nur schwer zu ertragen war. In den letzten fünf Jahren hat sie selbst den Gegenwind aus nächster Nähe erlebt. Das tut mir leid, es ist so passiert. Die Mitglieder meiner Familie sollten lieber dankbar sein, dass ich eine letzte Liebe gefunden habe, die sich im Detail um mich kümmert.
Wir machen alles zusammen. Ohne Diane könnte ich nicht digital ein Flugticket buchen. Und auch die „Heritage“ hätte ich ohne sie nicht auf die Beine stellen können. Dann wäre ich jetzt ein einsamer verlorener Mann irgendwo in Südtirol. Dank meiner Frau kann ich wieder gestalten wie früher. Ich bin regelrecht übermütig im Machen.
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