Berlin. Richard David Precht erhitzt erneut die Gemüter. Psychologe Jo Groebel erklärt, warum die Aussagen des Philosophen problematisch sind.
Er ist einer der bekanntesten Philosophen Deutschlands und macht immer wieder mit steilen Thesen von sich Reden: Richard David Precht. Mit herabwürdigenden Worten über Außenministerin Annalena Baerbock und kritischen Aussagen über die vermeintlich arbeitsunwillige Gen Z löste der promovierte Germanist im Sommer Wellen der Empörung in den Sozialen Medien aus. Und nun steht er wieder in den Schlagzeilen. Teile seines Podcasts mit Markus Lanz mussten nachträglich aus der Episode entfernt werden. Aussagen Prechts über orthodoxe Juden waren als antisemitisch aufgefasst worden. In der darauf folgenden Episode entschuldigte sich Precht - und gab wenig später sogar seine Professur an der Universität in Lüneburg auf. Und dennoch: Die Bücher des Philosophen führen Bestsellerlisten an, der Podcast „Lanz & Precht“, bei dem sich der 58-Jährige mit Moderator Markus Lanz über gesellschaftspolitische Fragen austauscht, rangiert ganz oben in den Charts. Doch wieso gehen bei dem Philosophen die Meinungen so auseinander? Medienpsychologe Jo Groebel über den Neidfaktor, falsche Prognosen und mangelnde Selbstkritik.
Experte zu Precht: „Selbstkritisches Denken scheint ihm fremd“
Warum polarisiert ein Richard David Precht so sehr?
Jo Groebel: Es gibt mehrere Gründe. Zum einen ist da der Neidfaktor, der aufgrund seines puren Auftretens entsteht. Precht sieht smart aus, hat einen beachtlichen Lebensweg hingelegt und seinerzeit mit der Veröffentlichung seines Buches einen neuen Typus von Denker repräsentiert. Zweitens polarisiert er extrem mit seinen Aussagen. Das ist auch etwas, das vor allem in der Presse stattfindet. Es wurde des Öfteren kritisch, manchmal auch polemisch angemerkt, er sei zu einer Art Allround-Philosoph mutiert. Mit anderen Worten: Es gibt kaum noch ein Thema, das von ihm verschont bleibt. Erst der dritte Punkt ist für mich der wirklich problematische: Precht lag mit seinen Aussagen oft daneben.
Inwiefern ist der Punkt für Sie besonders problematisch?
Groebel: Er hat viele Prognosen abgegeben. Frei nach dem Motto: Wenn man hinreichend viele Vorhersagen macht, dann hat man immer auch ein paar Richtige dabei. Wenn dann einer auch noch unbescheiden die ganze Welt erklärt und für alles immer eine Art endgültige Interpretation parat hat, bewegen wir uns schnell in einem immunisierten Denksystem, bei dem der Selbstzweifel kaum noch Platz findet. Das ist einer der zentralen Kritikpunkte: Als Meister der Worte, der Precht zweifellos ist, scheint ihm selbstkritisches Denken eher fremd zu sein. Er kommt oft mit verabsolutierten Wahrheiten, die sich dann doch als nicht zutreffend erweisen.
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Precht polarisiert mit seinen kritischen Aussagen
Vor allem die Aussage zu Annalena Baerbock hat für Diskussionen gesorgt. Es sei ein „Unfall, dass diese Frau Außenministerin geworden ist“, denn sie hätte „unter normale Bedingungen im Auswärtigen Amt nicht mal ein Praktikum gekriegt“ und „in ihrem Leben noch nichts geleistet“, so Precht.
Groebel: Baerbock nicht mal das Niveau einer Praktikantin zuzuschreiben, ist eine Aussage, die einfach anmaßend und vermessen ist. Man kann sie sehr wohl kritisch sehen, das dann aber sachlich formulieren. Das ist dann nicht so populistisch.
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Nur ein Ausrutscher seitens Precht?
Groebel: Ein Ausrutscher sei jedem gegönnt, aber bei ihm ist es offenbar Teil eines Gesamtsystems geworden. Ich versuche es es mal vorsichtig zu formulieren: Es fehlt ihm auf den ersten und zweiten Blick die zentrale Eigenschaft eines Denkers – der Selbstzweifel. Als Philosoph und Wissenschaftlicher ist es wichtig, dass man seine Thesen immer nur vorläufig definiert. Und man muss gewillt sein, selbstkritisch zu sein. Mag sein, dass er diese Attitüde hat, aber die Faszination des Prägnanten, des Populistischen, der intellektuellen Pointe steht bei ihm jedenfalls öffentlich dann zu oft dem Interesse an Erkenntnis entgegen. Er könnte mit seinem Auftreten und seiner Eloquenz in seinen Aussagen bescheidener sein und hätte trotzdem den gleichen Erfolg.
Kritik: „Für Precht kein Anlass für kritische Selbstreflexion“
Nachdem seine Aussage in den sozialen Medien für Empörung sorgte, erklärte er diese in seinem Podcast als „flapsige Bemerkung“. Nachvollziehbar?
Groebel: Gerade bei so einer spontanen Geschichte würde ich sagen, dass eine flapsige Bemerkung, meinetwegen auch zwei oder drei, jedem zugestanden seien. Wenn es aber eine Addition von Flapsigkeiten oder absoluten Äußerungen gibt, dann bekommen solche Bemerkungen einfach ein viel größeres Gewicht und schränken die Überzeugungskraft der vielen anderen, zutreffenden Äußerungen ein. Eine Flapsigkeit schlägt dann schnell in den Eindruck von Arroganz um.
Was glauben Sie, steckt dahinter Kalkül oder ist das einfach Prechts Wesen?
Groebel: Ich glaube, es ist sein Wesen. Wobei beides, Wesen und äußere Aneignung, nicht unbedingt voneinander zu trennen sind. Als Psychologe weiß ich, dass man Dinge tut und übernimmt, für die man belohnt wird. Es klingt trivial, aber es geht irgendwann in Fleisch und Blut über, wenn bestimmte zugespitzte Äußerungen mit Aufmerksamkeit belohnt werden, selbst wenn die Reaktionen vieler kompetenter Fachleute negativ sind. Nehmen wir mal das Beispiel Trump. Der lebt ja regelrecht auf, wenn er Gegenwind bekommt. Ich will Precht nicht mit Trump vergleichen, aber es zeigt zumindest, dass auch für ihn ein intellektueller, feuilletonistischer Gegenwind kein Anlass für kritische Selbstreflexion ist, sondern ihn und sein Geschäftsmodell mit seiner Popularität eher noch beflügelt. Es ist ja nett zu sagen, man habe eine Debatte angestoßen. Man kann aber mit jedem noch so absurden Kram eine Debatte anstoßen, wenn erst ein Mindestmaß an Bekanntheit und zugespitzten Argumenten eingesetzt werden.
Richard David Precht: Das rät ihm der Medienpsychologe
Braucht es nicht manchmal auch jemanden, der brisante Punkte in der Öffentlichkeit anspricht?
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Groebel: Das ist sogar dringend notwendig. „Debatten anstoßen“ braucht die Gesellschaft, ganz klar. Wenn man aber Hypothesen aufstellt, werden wichtige Argumente viel stärker, wenn man dann auch Belege liefert. Im Podcast-Talk mit Lanz wirkt Precht allerdings häufig wie der besserwisserische Onkel, zugegeben ein flotter Onkel, der der ‚unbedarften’ jüngeren Generation um jeden Preis etwas mit auf den Weg geben will. Was aber viel wichtiger wäre: Einfach mal nachzufragen, wieso die denn so geworden sind? Es wirkt aber leider häufig so, als würden die Pointe und das Populistische wichtiger sein, als zu hinterfragen und in die Tiefe zu gehen.
Was würden Sie Precht gerne mit auf den Weg geben?
Groebel: Ich würde ihm gerne ins Poesiealbum schreiben: Bescheidenheit im Denken heißt überhaupt nicht, dass man bei der Brillanz von Rede und Auftritt Abstriche machen muss. Im Gegenteil. Wichtiger als griffige Formeln sind Nuancen, ist nicht das Schwarz und Weiß. Die Bescheidenheit liegt in der Einstellung. Zu einem gesellschaftspolitischen Denken mit akademischen Anspruch, selbst zum Denken eines Pop-Philosophen, muss immer dazugehören, sich auch selbst in Frage zu stellen. Das ist viel spannender, als ein Allwissender, als ein Prophet der endgültigen Wahrheit zu sein. Ein wenig selbstkritischer dürfen Sie daher schon gerne sein, Herr Precht.
Dieses Interview erschien zuerst am 30.9.2023