Berlin. Maybrit Illner, Quotengarantin im ZDF, verzichtet auf fünfstellige Gagen. Was sie sonst noch besser als andere Talk-Moderatoren macht.
„Streichen bei den Reichen?“ Gleich der erste Titel wurde zum Klassiker, bis heute gern zitiert, weil wenige Worte beim Publikum für leichte Panik oder Genugtuung sorgten, auf jeden Fall aber für Neugier. Gutes Talk-Handwerk. Die Sendung kam live aus der Commerzbank am Brandenburger Tor, drei Minuten vor dem Start fiel der Strom aus, in der Schalte zum „Heute Journal“.
Zu Gast damals, 1999: ein Finanzminister, ein Gewerkschaftschef, ein Arbeitgeberpräsident, ein Ministerpräsident aus Thüringen. Wer die Namen erinnert (Hans Eichel, Herbert Mai, Dieter Hundt, Bernhard Vogel), ist vermutlich nah am Ruhestand.
„Berlin Mitte“ war als Antwort zur ARD-Sonntagsrunde gedacht. ZDF-Chefredakteur Klaus Bresser wollte das beliebige „Live aus der Frankfurter Oper“ durch einen harten Berlin-Talk ersetzen, aber gesamtdeutscher als Sabine Christiansen mit ihrem eher westdeutschen Mecker-und-Malle-Stil.
Es war eine andere Welt. Trunkenbold Jelzin hatte einen blassen Geheimdienstler (Wladimir Putin) zum Nachfolger auserkoren, die Türkei glaubte an eine Aufnahme in die EU, Rot-Grün unter Schröder/Fischer wirkte halbwegs frisch, der Fußballer Kai Havertz war gerade geboren. Und eine junge Frau mit Osthintergrund, aber ohne viel Talk-Erfahrung wurde auf das Publikum losgelassen: Maybrit Illner (34).
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Maybrit Illner könnte Talkshow-Rekord brechen
Aus dem Experiment wurde eine Institution. Über 1000 Sendungen hat Illner im knappen Vierteljahrhundert seither absolviert. Zum Vergleich: Eduard Zimmermann moderierte 30 Jahre „Aktenzeichen XY“, Robert Lembke 28 Jahre „Was bin ich?“. Maybrit Illner winkt lachend ab. In dieser Veteranengalerie sieht sie sich nicht.
Illner ist so, wie Thomas Gottschalk gern wäre – auf der Höhe der Zeit. Denn das Prinzip – journalistisch, aktuell, live – ist zeitlos gut, die Verpackung wird fortlaufend nachgehübscht. Da ist der eigenwillige Trichtertisch, der einen Hauch von „Raumschiff Enterprise“ verbreitet, aber anders als die Wartezimmerbestuhlung anderer Talks zugleich Gesprächsatmosphäre schafft. Intern wird das Monstrum „Werkbank“ genannt.
Auf den Projektionswänden dahinter herrscht wiederum beständige optische Unruhe. Die blitzgescheite Regie pappt kühn Großaufnahmen von Friedrich Merz oder Saskia Esken in die grelle Farbigkeit, zum optischen Überbrücken mühsamerer Gesprächspassagen. Und davon gibt es einige.
Konsequenter Journalismus blieb immer Illners Anspruch
Denn Illner hält an ihrem verwegenen Konzept fest: Journalismus. Konsequenter als bei jedem anderen Talk wird das politische Geschehen der Woche verhandelt, ohne in Winnetou-Populismus abzugleiten. Immer geht es um die ewig aktuellen Kernfragen: Woher kommt das? Wohin führt das? Die Kontinuität in Illners Talk-Werkstatt bildet sich auch im Team ab. Indre Windgassen, die vor über 20 Jahren als Redakteurin begann, leitet heute die Sendung.
„Politik braucht Hingabe“, sagt Maybrit Illner, womit sie sich selbst beschreibt. Getrieben von intrinsischer Neugier wühlt sie sich täglich durch sechs, acht Zeitungen, lässt sich von Expertinnen und Professoren aufschlauen. „Maybrit ist ein Kind des Ostens“, erklärt eine, die sie lange kennt, „sie ist bis heute begeistert von der Demokratie und ihren Funktionsweisen.“ Wer die DDR erlebt hat, verfügt hier und da über ein feineres Sensorium, auch was einen unabhängigen Journalismus angeht, der nicht jeden Euro mitnimmt.
DDR-Background prägte Illners Selbstverständnis
Anders als die Konkurrenz führt Illner nebenbei keine Produktionsfirma, die zwar Zusatzverdienst sichert, aber auch ständig neue Aufträge braucht. Sie ist ganz altmodisch beim ZDF beschäftigt, so wie das Team. Sie verzichtet auf fünfstellige Gagen für Nebenjobs, meidet Berliner Schaumweinsausen, aber fungiert seit 20 Jahren als Botschafterin fürs Rote Kreuz.
Aus ihrem Privatleben ist nicht viel mehr bekannt, als dass sie ihren späteren Gatten konsequenterweise bei der Arbeit kennenlernte: den früheren Telekom-Chef René Obermann. Er soll sie nach der Sendung mit Mixtapes betört haben.
Ähnlich wie bei Angela Merkel wurde der Mauerfall für Illner zum Glücksmoment. Sie wollte Sportreporterin werden, besuchte das Rote Kloster in Leipzig, Kaderschmiede für DDR-Journalisten, um 1989 im Rausch der runden Tische das Fach zu wechseln. Die Wende habe sie zum „Politik-Junkie“ gemacht, sagt sie. Mit dem Ende des Deutschen Fernsehfunks wechselte sie zum ZDF-„Morgenmagazin“, an die Seite von Cherno Jobatey.
Talk am Mittwoch gleicht Demokratie-Tüv
Maybrit Illner ist weniger Stimme des Ostens als vielmehr dessen Perspektive. Denn so geschmeidig sie sich im neuen Deutschland zurechtfand, so eigen blieb ihr Blick darauf. Diese Demokratie, für Westkollegen selbstverständlich, fasziniert sie bis heute. Als eine der wenigen im TV-Geschäft hat sie den dysfunktionalen Gegenentwurf selbst durchlebt. So gerät der Talk am Donnerstag oft zum Demokratie-Tüv, der die Funktionstüchtigkeit des Parlamentarismus mitverhandelt. Die konstant starke Quote spricht für die schnörkellose politische Hausmannskost.
Und? Wie lange lässt sich die Neugier wachhalten? Ist der Rekord von Eduard Zimmermann in Gefahr? Maybrit Illners Mission ist eine andere. „Ich plane kein Methusalem-Komplott“, sagt sie, „aber Frauen können im Fernsehen genauso reifen wie Männer. Für alle weiteren Fragen schalten wir jetzt nach Wien zu Peter Nidetzky.“