Berlin. Podcast statt Talkshow, Spaß statt dröge Info-Sendungen: Die Reihe „Neue politische Meinungsmacher“ zeigt, worauf Joko, Klaas & Co setzen.

Louis Klamroth hatte sich gerade mit dem Morgenkaffee auf die Terrasse gehockt, als neben ihm ein Sandhaufen explodierte. Der Moderator von „Hart aber fair“ zuckte, dann tauchten wiehernd ein paar junge Leute auf. Sie hatten auf dem Campus an der Spree wieder irgendeinen Schabernack gedreht. Willkommen bei der Florida Entertainment, die sich in einer ehemaligen Teppichfabrik samt Nebengebäuden nahe der Berliner Klubzone ausgebreitet hat.

Gerade schlendert die Autorin Sophie Passmann übers Gelände, die soeben im ausverkauften Berliner Ensemble als Schauspielerin debütierte, oben im Studio nimmt Tommi Schmitt eine neue Folge seines preisgekrönten Podcasts „Copa TS“ auf, der Geschäftsführer gleichen Namens entert die Cafeteria, wo kontrovers über Erbsenmilch-Cappuccino diskutiert wird. Medienkrise? Hier nicht.

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Das Unternehmen, vor sechs Jahren von Joko Winterscheid und Klaas Heufer-Umlauf gegründet, bildet ein Epizentrum der neuen deutschen Spaß- und Meinungsmacher. Hier entstehen die verrücktesten Shows des Landes, aber auch politisch relevante Podcasts und anspruchsvolle Dokumentationen. Klamroth lässt bei Florida „Hart, aber fair“ digital überholen. Beleg für Relevanz: Erste Kundschafter von Parteien wurden gesichtet, die nicht mehr an die Allmacht von Heute-Journal, Lanz und Monitor glauben.

Passen Politik und die Spaßmacher zusammen? Durchaus, sofern man nicht dem Glauben anhängt, dass Politik ausschließlich eine ernste Sache sei. Wie man gesellschaftspolitische Themen und Entertainment zusammenbringt, beweist ab 5. November die neue Staffel von „Joko und Klaas gegen ProSieben“. Die Moderatoren spielen gegen ihren Sender um kostbare Sendezeit. In früheren Staffeln nutzte das Duo die Viertelstunde zur Primetime, um über das Geflüchtetenlager Moria auf Lesbos aufmerksam zu machen oder den Alltag einer Pflegekraft.

Instagram & Co.: Die Boomer beäugen die Fernseh-Entwicklung kritisch

„Die Unterhaltung ist das trojanische Pferd, mit dem politische Inhalte zu einer Generation transportiert werden, die mit klassischen Medien wie linearem Fernsehen oder Zeitungen kaum noch zu erreichen sind. Die Persönlichkeiten der Moderatoren haben für Jüngere eine weit größere Glaubwürdigkeit als anonyme Medienmarken“, sagt die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach von der FU Berlin.

ARD-Talkshow «Hart aber fair»
Louis Klamroth überführte „Hart, aber fair“ ins digitale Zeitalter und stellte vier Datenspezialisten ein. © DPA Images | Thomas Kierok

Nicht ohne Argwohn beobachtet die Generation der Boomer, wie politische Meinungsbildung in digitalen Zeiten läuft. Während Altkanzler Schröder voll auf „Bild, BamS und Glotze“ setzte, beziehen Menschen unter 50 ihre Informationen zunehmend von Youtube und Instagram, wischen sich durch Info-Schnipsel, tauchen aber auch ab in stundenlange Spezialistengespräche. 

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Podcasts wie „Apokalypse und Filterkaffee“ oder „Lage der Nation“ reichen an die Quoten von TV-Talkshows heran. Neue Medienmacher wie Jan Böhmermann, Micky Beisenherz, Tilo Jung oder eben Klamroth sind die Treiber: frech, mutig, lustig, zugleich aber hochpolitisch. Ein blitzgescheiter Comedian wie Felix Lobrecht, der mit Tommi Schmitt Europas erfolgreichsten Podcast „Gemischtes Hack“ betreibt, erreicht mit seinen politischen Ansichten mehr JungwählerInnen als jeder Tagesthemen-Kommentar. Stabiles Feindbild: der Boomer.

Neue Meinungsmacher denken nicht in Hierarchien, sondern probieren sich aus

Boomern, also Menschen um die 60, mag das Durcheinander von Entertainment und Politik, von Personen und Haltungen, von billigen Lachern und tiefem Gründeln suspekt sein. Aber die ungewöhnlichen, weil lawinenartigen Wanderungen der Jungen bei EU- und Landtagswahlen zeigen, dass es kein Zurück gibt zum gemütlichen Fernsehsessel. Die neuen politischen Meinungsmacher halten sich nicht mit der Trennung von Nachricht und Kommentar auf, denken nicht in Ressort- oder Hierarchielogik, sondern subjektiv und vorläufig. Sie wollen keine Formate für die Ewigkeit, sondern probieren unentwegt neue Kanäle und Formen.

Louis Klamroth und Florida verstehen sich als Brückentechnologen, die eine klassische Fernsehmarke wie „Hart aber fair“ ins digitale Zeitalter überführen. Klamroths erste Amtshandlung nach dem Wechsel: Er stellte vier Datenspezialisten ein. Mehr noch als der Inhalt sorgt die smarte Verbreitung über möglichst viele Kanäle für Erfolg und Quote.

Folglich muss eine digital erfolgreiche Talkshow so gestaltet sein, dass einerseits klassische TV-Zuschauer bedient werden, zugleich aber auch die schnipselhungrigen Plattformen, wo das Thema idealerweise in zahlreichen kleineren Diskussionen fortgesetzt wird, was wiederum die gesamte Reichweite steigert. Als Klamroth den Lastwagenfahrer Jan berichten ließ, wie sich die Pinkelgebühren an deutschen Raststätten zu einer dreistelligen monatlichen Ausgabe addieren, wurde im Netz wochenlang weiter debattiert. Und als bei „Hart aber fair“ erstmals digital prominente Blogger zu umstrittenen Investoren im Fußball sprachen, regnete es mehr Tweets als je zuvor. Die Sendung hatte offenbar ganz neue Nutzerkreise erobert.

Felix Lobrecht und Tommi Schmitt Podcast »Gemischtes Hack«
Felix Lobrecht (links) und Tommi Schmitt begeistern mit „Gemischtes Hack“ ihre Fans und haben den erfolgreichsten Podcasts Deutschlands auf Spotify.  © Spotify | PR

Das Experiment mit „Hart aber fair“ sei ein Erfolg, der ohne Florida nicht denkbar gewesen sei, glaubt Klamroth. Als er Anfang 2024 von der Firma seines Vorgängers Frank Plasberg wechselte, sagten Insider das baldige Ende der Sendung voraus. Inzwischen reichen Klamroths Quoten bisweilen an den Sonntag mit Caren Miosga heran, mit der digitalen Reichweite liegt er an der Spitze der ARD-Talks, den sportlichen Vorgaben der ARD für Mediathek-Abrufe ist er mit bis zu 400. 000 Abrufen ebenfalls ziemlich nahe.

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Was ist nun das Erfolgsgeheimnis des Florida-Campus, dieser Mischung aus WG und dem Bauhaus-Geist von Weimar, wo Nerds und Clowns herumlaufen, die allesamt wunderlich sind, aber weder dumm noch risikoscheu? Gibt es einen Joko-und-Klaas-Spirit? Immerhin wird bei Florida auffallend mehr gelacht, zugleich aber deutlich weniger in Hierarchien, Routinen und Sparrunden gedacht als bei klassischen Sendern und Verlagen.

Klamroth macht es vor: Kollektive Schaffensfreude und bekloppte Ideen

Klamroth etwa wirkt als Außenreporter, Coach, Produzent und schraubt ständig am Sendungskonzept. Nichts ist für die Ewigkeit gedacht, der ständige Neuanfang macht Freude statt Angst. Es ist wie überall in der deutschen Wirtschaft: Innovationsfreude lebt dort, wo Juristen, Controller und andere Bedenkenträger knapp sind.

Wer bei Florida arbeitet, schätzt die kollektive Schaffensfreude, aber auch den gefühlten Schutzraum, wo jede noch so bekloppte Idee geäußert werden darf, ohne dass sofort Bedenken die Kreativität drosseln. Hinter den Kulissen dirigieren preisgekrönte Regisseurinnen und Regisseure wie Maren Knieling, Arne Kreutzfeldt oder Thomas Martiens. Kaum jemand stammt von einer Journalistenschule, dafür lagern zahllose Preise in der Firmenvitrine, deren Gesamtgewicht angenehm selbstironisch mit 23 Kilogramm angeben wird. Wer Altstar Stefan Raab zusieht, wie er sich selbst spielt oder Thomas Gottschalk grummeln hört, muss die Florida-Kultur als Erlösung betrachten.