Netphen. Die Stadt Netphen muss neue Belastungen finanzieren. Lichtblick für die Bürger: Die Grundsteuererhöhung wird weniger drastisch ausfallen.
Auf den ersten Blick könnte Kämmerer Christian Walde entspannt sein. Rund 470.000 Euro Defizit stehen unter dem Strich der Jahresrechnung 2023. Ein Ping-Pong-Wortwechsel beginnt: „Eine rote Null“, stellt SPD-Fraktionschef Lothar Kämpfer im Rat optimistisch fest, auf jeden Fall 700.000 Euro besser als geplant. Und für dieses Jahr erwartet die Stadt 18,8 Millionen Euro Gewerbesteuer, über sieben Millionen Euro mehr als geplant.
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Der Haushalt
Das, so Christian Walde, liege aber nur an einer einmalig hohen Nachzahlung. Die aber immer wieder einmal vorkomme, gibt Lothar Kämpfer zurück: zuletzt 2022, als die Stadt sogar ihre Ausgleichsrücklage wieder auf vier Millionen Euro auffüllen konnte, die auch zum Ende dieses Jahres nicht aufgebraucht sein werden. Für den SPD-Fraktionschef ist damit bewiesen, dass der Rat im April zu Recht den Vorschlägen der Verwaltung zur Erhöhung der Grundsteuer in diesem Jahr nicht gefolgt sei – für diese Feststellung klopft der Rat Beifall. „Sie haben sehr tief gestapelt“, kommentiert Kämpfer die Gewerbesteuer-Kalkulation des Kämmerers, „bei der Gewerbesteuer liegen Sie gern bewusst daneben.“
„Bei der Gewerbesteuer liegen Sie gern bewusst daneben.“
Ob der Rat denn lieber zur Jahresmitte eine Haushaltssperre hingenommen oder einen Nachtragshaushalt verabschiedet hätte, wenn er zu optimistisch gerechnet hätte, fragt Christian Walde zurück. „Lieber vorsichtig agieren“, rät denn auch Ignaz Vitt (UWG), „man kann ja nicht sagen, dass die Wirtschaft boomt.“ Wie auch immer: Nicht mit 6,2 Millionen, sondern mit einer Million Euro Defizit geht die Stadt ins nächste Jahr.
Und das skizziert der Kämmerer in roten Zahlen. Zuerst werden sich die Einnahmen verbessern. Zwar 860.000 Euro weniger Einkommens- und Umsatzsteuer, dafür aber 4,2 Millionen Euro mehr Schlüsselzuweisungen vom Land. Das steigert die Finanzkraft der Stadt so sehr, dass automatisch eine Million Euro mehr Umlage an den Kreis abzuführen ist. Und weil der auch noch seine Hebesätze erhöhen will, werden aus der einen Million 2,1 Millionen Euro.
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Das aber wird nicht die einzige Mehrausgabe sein. Denn da sind noch die 10,6 Millionen Euro, de Netphen während der Pandemie „isoliert“ hat – Ausgaben also, die zwar getätigt, aber nicht im Haushalt veranschlagt wurden. Die sind ab 2026 abzustottern, in 50 Jahresraten zu 212.000 Euro. Und dann ist da noch, neben der Corona-Pandemie, die Cyberattacke auf die Südwestfalen IT, für die den Städten und Gemeinden nun auch die Rechnung präsentiert wird. Die von ihnen zu zahlende Umlage wird ein weiteres Mal erhöht, für Netphen von aktuell 230.000 auf dann 480.000 Euro.
Die Grundsteuer
Ausgerechnet die neue Grundsteuer wird da zum Lichtblick. Das Land hat sich nämlich verrechnet, als es die notwendige Erhöhung kalkuliert hat. Übersehen wurde, dass Netphen die Grundsteuer schon in diesem Jahr erhöht hat. Der Sprung beim Hebesatz, um der Stadt trotz neuer Berechnung die alten Einnahmen zu erhalten, kann niedriger ausfallen: von 670 nicht auf 1019, sondern auf 872 Prozent. Oder, wenn unterschieden werden soll, auf 714 statt 835 Prozent bei Wohngebäuden und auf 1546 statt auf 1801 Prozent bei Gewerbegrundstücken. Was für die Eigentümer von Wohnbaugrundstücken, die zum Beispiel jetzt 535 Euro zahlen, nicht mehr eine Mehrbelastung von 482, sondern „nur“ noch von 335 Euro ausmacht. Oder von 178 Euro, wenn der Hebesatz für Wohnen und Gewerbe gesplittet wird. Würde die Stadt nichts tun, würden ihre Grundsteuereinnahmen um 20 Prozent zurückgehen.
„Steuergerechtigkeit können wir sowieso nicht schaffen.“
Für Letzteres entscheidet sich der Rat einstimmig. Die Lage sei halt „unklar“, sagt Louis Roth (FDP). Die Entscheidung für differenzierte Hebesätze (niedriger fürs Wohnen, höher fürs Gewerbe) „nimmt uns keine Handlungsmöglichkeiten.“ Das heißt: Sollte ein Gericht anders entscheiden, würde der Hebesatz wieder geändert. „Steuergerechtigkeit können wir sowieso nicht schaffen“, sagt Klaus-Peter Wilhelm (UWG).
So wird gerechnet
Die Grundsteuer wird mit drei Faktoren berechnet: Der Grundsteuerwert wurde im vorigen Jahr neu ermittelt, dazu mussten alle Immobilienbesitzer Steuererklärungen abgeben. Der Messbetrag, der auf dem Steuerbescheid steht, kommt zustande, indem der Grundsteuerwert mit 0.31 Promille multipliziert wird – diesen Faktor soll das Land neu und getrennt für Wohn- und Gewerbegrundstücke berechnen, fordern die Städte und Gemeinden. Der Messbetrag wiederum wird mit dem Hebesatz multipliziert, den die Kommunen festlegen.
Mit der Festlegung auf einen Hebesatz im Dezember, betont Kämmerer Christian Walde, „wird der Rahmen für den Haushalt gesteckt.“ Wenn der ein paar Tage vor Weihnachten dem Rat zugeleitet wird, ist mit den erwarteten Einnahmen kalkuliert, anders als sonst, wo die Grundsteuer erst berechnet wird, wenn feststeht, wieviel Geld die Stadt in jeweiligen Haushaltsjahr ausgeben will. Der Kämmerer weist den Rat darauf hin, dass es Gutachten –vom Land – für den gesplitteten Hebesatz (Netphen Wohnen: 714 Prozent) und dagegen – vom Städtetag – gibt (Netphen: 87 Prozent). Was verfassungsgemäß ist, „wird sich durch die Rechtsprechung zeigen.“
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