Siegen. Am Klinikum Siegen gibt es nun eine Abteilung für Ästhetische Chirurgie. Der Chefarzt hat klare Vorstellungen – auch, was die Grenzen angeht.

Es geht nicht nur um oberflächliche Schönheit. Es geht um mehr in der noch recht jungen Klinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie am Klinikum Siegen, wie Privatdozent Dr. Thomas Pech schildert. „Man trifft viele arme Seelen“, sagt der Chefarzt; und er nutzt diese Formulierung nicht verniedlichend oder verharmlosend, sondern um wirklichen Leidensdruck und dessen Auswirkungen auf die Psyche deutlich zu machen. „Wir begegnen auch Menschen, die wirkliche Entstellungen haben, und die mit der Behandlung einen ,normalen‘ Körper wiederbekommen.“

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Zum 1. April 2024 hat die neue Abteilung am Klinikum Siegen eröffnet. Aktuell sind Termine bis Anfang kommenden Jahres vergeben. Rein kosmetische Eingriffe machen etwa ein Drittel aus. Der Schwerpunkt liegt auf anderen Einsatzgebieten der Fachrichtung, die Leid lindern sollen, das über eine lediglich mehr oder minder ausgeprägte Unzufriedenheit mit dem Aussehen hinausgeht: Korrekturen von Fehlbildungen und nach Unfällen, „Defektwunden“, Behandlungen von durch Druckgeschwüre geschädigtem Gewebe. Auch nach der Entfernung von großen Tumoren sind plastische Chirurginnen und Chirurgen gefragt, weil dabei regelrechte Löcher im Körper entstehen können, aufgrund derer das Aussehen Betroffener so sehr beeinträchtigt sein kann, dass ihr Sozialleben darunter leidet. Ein weiteres Feld sind Fettabsaugungen bei Lipödem, also der auch unter dem Namen „Reiterhosensyndrom“ bekannten Fettverteilungsstörung, die mit heftigen Schmerzen und einer starken Veränderung der Körperform einhergeht. Auch die Entfernung der Hautlappen, die nach den dafür erforderlichen Absaugungen oft zurückbleiben, kann dazugehören. Hautstraffungen sind oft außerdem oft nach Gewichtsverlusten in Folge von Adipositaseingriffen erforderlich – hier besteht eine enge Kooperation mit dem Adipositaszentrum am Klinikum Siegen.

„Wir haben heute ein erweitertes Spektrum, um um größere Operationen herumzukommen.“

Privatdozent Dr. Thomas Pech, Chefarzt der Klinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie am Klinikum Siegen

Klinikum Siegen: Kosmetische Eingriffe nutzen auch regenerative Effekte des Körpers

Die Grenzen zwischen „aus medizinischer Sicht notwendig oder zumindest angebracht“ und „rein kosmetisch“ sind fließend – wobei es selbstverständlich eindeutige Zuordnungen gibt, wenn beispielsweise Schmerzen, psychische Belastungen oder Einschränkungen in der Lebensgestaltung vorliegen. Für Patientinnen und Patienten spielt die Unterscheidung am Übergang des einen zum anderen eine Rolle, wenn es darum geht, ob die Krankenkasse die Kosten übernimmt oder nicht. Die Verfahren, die zum Einsatz kommen, sind allerdings dieselben. Dabei folge er zwei großen Trends innerhalb der Ästhetischen Medizin, hebt der Chefarzt hervor: „Natürliche Ergebnisse und Ausnutzen der regenerativen Kräfte, die der Körper selbst bietet“. Es gebe Fälle, da sei das klassische Facelift notwendig, um die gewünschte Resultate zu erzielen. „Aber wir haben heute ein erweitertes Spektrum, um um größere Operationen herumzukommen“, betont der 48-Jährige. „Wir beschäftigen uns ganz viel mit den medizinischen Effekten.“

Am Klinikum Siegen gibt es seit diesem Jahr auch eine Klinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie. (Archivbild)
Am Klinikum Siegen gibt es seit diesem Jahr auch eine Klinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie. (Archivbild) © Klinikum Siegen | Klinikum Siegen

Zur Person

Privatdozent Dr. Thomas Pech machte nach dem Studium am Universitätsklinikum Bonn ab 2003 die Weiterbildung zum Facharzt für Chirurgie in der Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie. Die Promotion folgte 2004, die Habilitation 2019.

Ab 2012 konzentrierte er sich auf Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie und machte 2015 darin seinen Facharzt. Er war auf diesem Gebiet unter anderem Schwerpunktleiter an der Universitätsklinik in Bonn und von 2021 bis 2024 Chefarzt am Diakonie Klinikum Jung-Stilling in Siegen. 

Ein Beispiel sei die Radiofrequenztherapie (RFT), bei der über eine dünne Sonde Wärmeimpulse in tiefere Hautschichten abgegeben werden, um Gewebe zu straffen und die körpereigene Collagenbildung anzukurbeln. Dies lässt sich auch bei Fettabsaugungen als zweiter Schritt bereits während der OP machen, um die Hautstraffung schon beim selben Termin vorzunehmen. RFT ist auch im Gesicht oder am Hals einsetzbar. Bei der Behandlungsmethode „Morpheus8“ wird das Verfahren zudem mit sogenanntem Microneedling kombiniert: Feinste Nadeln dringen flächig bis zu sieben Millimeter tief in die Haut ein und geben in den tieferen Schichten Radiofrequenz-Impulse ab, erläutert Thomas Pech. Das wird im Abstand von jeweils ein paar Wochen drei Mal gemacht. Die Collagenbildung wird stimuliert, der vollständige Effekt ist nach einigen Monaten bis einem Jahr sichtbar und kann dann alle zwölf Monate aufgefrischt werden. Ein großer Vorteil gegenüber einem herkömmlichen Lifting: Bei Letzterem liege die Ausfallzeit im Anschluss bei zwei bis drei Wochen, während Morpheus8 lediglich eine zwei- bis dreitägige Rötung nach sich ziehe – und darüber hinaus ohne Vollnarkose über die Bühne gehe.

„Obskure Wünsche erfülle ich nicht.“

Chefarzt Dr. Thomas Pech über Grenzen in der Ästhetischen Chirurgie

Klinikum Siegen: Beauty-OPs mit Augenmaß – Ziel sind natürlich wirkende Ergebnisse

Die körperlichen Regenerationsmechanismen zu nutzen ist quasi ein Gegenmodell dazu, das Gesicht mit Collagen oder Hyaluron von außen aufzufüllen. „Ich bin kein Fan von übermäßigen Unterspritzungen“, sagt Thomas Pech, weil deren Verteilung im Gewebe nur bedingt steuerbar sei. Wer sich in Boulevardmagazinen und auf Social Media umschaut, wird eine Menge Beispiele dafür entdecken, was der Chefarzt mit „übermäßig“ meint. Nun folgen Menschen unterschiedlichen Schönheitsidealen, von daher mag es eine Menge Leute geben, die auch extreme Veränderungen des eigenen Gesichts wünschen – bis hin zu einem Aussehen, wie es auf natürlichem Wege niemals entstehen würde. Für Thomas Pech aber ist eben Natürlichkeit die Leitlinie. „Obskure Wünsche erfülle ich nicht“, betont er. Wolle jemand übertriebene Schlauchbootlippen oder eine Vergrößerung der Brust von Körbchengröße A auf F „würde ich das nicht machen“.

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Thomas Pech war zuvor Chefarzt der Abteilung Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie am Diakonie Klinikum Jung-Stilling. Als das Klinikum Siegen die neue Abteilung einrichtete, habe er sich dafür entschieden, an deren Aufbau mitwirken zu wollen. Dass ein Krankenhaus in öffentlicher Trägerschaft – das Klinikum Siegen ist eine Einrichtung des Kreises Siegen-Wittgenstein – Ästhetische Chirurgie im Portfolio habe, bedeute große Vorteile. Die Behandlungen, das unterstreicht er klar, sind nämlich wie alle medizinischen und erst recht operativen Eingriffe mit Belastungen und Risiken verbunden, derer sich die Patientinnen und Patienten bewusst sein müssten. An einem Vollkrankenhaus „können wir aber viel mehr Sicherheit bieten“, sagt der Experte. Sollte es zu Problemen oder Komplikationen kommen, seien etwa eine Kardiologie und eine Intensivstation direkt verfügbar und im Haus, während Privatkliniken einen Krankenwagen rufen müsste.

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Den optischen Alterungsprozess kann auch die derzeit modernste Medizin (noch) nicht stoppen. Die Zeichen der Zeit lassen sich lediglich etwas zurückdrehen: um fünf bis acht Jahre, manchmal vielleicht um zehn, schätzt Thomas Pech. Doch „die Schwerkraft spielt immer gegen die Patienten. Es gibt keinen Effekt, der für immer hält.“

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