Hilchenbach. Sie hat Schmerzen und Einschränkungen, doch wird oft nicht ernst genommen: Svenja Schmidt leidet an einem Lipödem – und spricht offen darüber.

Es mag schon sein: Svenja Schmidt entsprach optisch nie dem Bild, das viele Menschen von einer Frau mit Lipödem haben. „Ich kriege das oft zu hören: Du siehst nicht so aus“, sagt die 30-Jährige. „Aber chronische Schmerzen sind nicht sichtbar.“ Und diese Schmerzen hatte sie, jeden Tag, viele Jahre lang. Heute berichtet die Hilchenbacherin in den Sozialen Medien offen über ihre Krankheit und die beiden großen Operationen, die bereits hinter ihr liegen.

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„Here to inspire & raise awareness“ schreibt sie auf ihrem Instagram-Account „heysvenjahey“: „Hier, um zu inspirieren und Aufmerksamkeit zu schaffen“. Für Svenja Schmidt gilt dieser Anspruch gewissermaßen doppelt. Lipödem, die Fettverteilungsstörung, bei der sich vor allem in Armen und Beinen Fettgewebe ansammelt und verhärtet, ist ohnehin schon eine Krankheit, über die sehr viele Menschen sehr wenig bis gar nichts wissen; selbst viele Ärzte haben das Thema noch immer nur unzureichend auf dem Schirm. Die Betroffenen, fast ausnahmslos Frauen, haben deshalb ohnehin schon mit Unverständnis und Vorurteilen zu kämpfen. Doch wenn jemand dann auch noch so wie Svenja Schmidt nicht die typischen ausgeprägt üppigen Körperformen und Proportionen hat, geht oft noch eine andere Leier los, wie sie erzählt. Dann kommen die Sprüche: „Stell Dich nicht so an!“, „Kann ja so schlimm nicht sein!“, „Was willst Du denn?“, „Nimm halt ein bisschen ab!“ Nichts davon ist hilfreich. Ganz im Gegenteil.

Siegen: Alltag mit Lipödem – wie die Krankheit Svenja Schmidt belastete

Die Beine wurden schon nach kurzer Belastung bleischwer, die üblichen Runden mit ihren beiden Hunden wurden immer schwieriger. Von den brennenden Schmerzen in ihren Armen wurde sie nachts wach. Stundenlanges Sitzen im Büro war nicht mehr möglich – die Beine brannten, schliefen ein, wurden taub. „Ich war im Alltag extrem eingeschränkt“, erzählt sie. Sie arbeitet dennoch, ist als virtuelle Assistentin selbstständig und für verschiedene Unternehmen tätig.

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Die Diagnose „Lipödem“ erhielt sie erst im vergangenen Dezember. Beschwerden habe sie seit der Pubertät gehabt. Ihr Körper war zum Beispiel sehr druckempfindlich, sie bekam schnell blaue Flecken. Aber sie kannte so etwas von ihrer Mutter, bei der mittlerweile ebenfalls ein Lipödem festgestellt wurde. „Für mich war das normal“, schildert Svenja Schmidt, wieso sie manches zunächst hinnahm. Die Taubheits- und Schweregefühle traten irgendwann hinzu. Einen massiven Schub hatte sie, nachdem sie 2022 die Pille absetzte. Das ist ein typischer Verlauf: Meist nimmt die Krankheit im Zusammenhang mit Hormonumstellungen Fahrt auf, üblicherweise in der Pubertät, bei Schwangerschaften oder in den Wechseljahren.

Svenja Schmidt berichtet auf Instagram über ihr Leben mit Lipödem
Svenja Schmidt aus Hilchenbach hat zwei Lipödem-Operationen hinter sich. Vorher: Kinn und Gesicht. © Svenja Schmidt | Privat
Svenja Schmidt berichtet auf Instagram über ihr Leben mit Lipödem
Nachher: Kinn und Gesicht © Svenja Schmidt | Privat

Siegen: Das Lipödem belastet Svenja Schmidt massiv – doch sie muss die Operationen privat zahlen

15 bis 20 Kilo habe sie binnen eines halben Jahres zugenommen, berichtet Svenja Schmidt, „trotz mehrmals in der Woche Sport und gesunder Ernährung“. Sie recherchierte über mögliche Ursachen, stieß auf Lipödem, ließ sich deshalb direkt einen Termin bei einem Phlebologen geben, also einem Venenspezialisten, da diese Fachrichtung auch bei Lipödem zuständig ist. Den Termin bezahlte sie privat, darum kam sie nach einer Woche dran. Hätte sie es über die Kasse geregelt, „hätte ich zwei Jahre gewartet“.

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Mit den privat zu zahlenden Behandlungen ging es seitdem weiter. Lipödem wird in drei Stadien eingeteilt, die nach dem optischen Befund definiert werden. Krankenkassen übernehmen die Kosten für Operationen in seltenen Fällen ab Stadium 2, ansonsten erst ab Stadium 3: Wenn etwa die Ober- und Unterschenkel in Relation zum übrigen Körper deutlich überproportioniert sind, wenn die Haut der Oberschenkel beim Gehen aneinander scheuert, wenn Hautlappen über Knie- und Knöchelgelenke hängen. Das traf bei Svenja Schmidt so nicht zu, doch das änderte an ihren heftigen Beschwerden nichts. „Die Stadien werden nicht an Schmerzen festgemacht“, erklärt sie. „Aber nur nach dem Äußeren zu diagnostizieren, halte ich für einen Fehler.“ Diese Einschätzung kann sie auf Erfahrung stützen, denn sie bezahlte zwei Operationen aus eigener Tasche: Im März an der Körperrückseite (Rücken, Beine, Hintern, Nacken), im Juni an Armen, Knien, den Oberschenkelinnenseiten und im Gesicht. Kosten pro OP in einer auf Lipödem spezialisierten Klinik in Köln: Rund 10.000 Euro.

„Die erste OP hat mich völlig aus dem Leben geschossen. Ich habe gedacht: Was hast Du Dir hier angetan?“

Svenja Schmidt aus Hilchenbach über ihre erste Lipödem-Operation

Siegen: Leben mit Lipödem – mit ihrer Offenheit möchte Svenja Schmidt aufklären und Mut machen

Entfernt wird das überschüssige Gewebe per Liposuktion, also Fettabsaugung. Das klingt nach kosmetischem Eingriff und ist es in vielen Fällen auch – bei Lipödem ist es aber medizinisch begründet. Einmal wurden rund zehn Liter entfernt, einmal etwa neun. Bei der zweiten OP, erzählt Svenja Schmidt, waren zwei Ärzte für vier Stunden im Einsatz. Die Operationen sind für den Körper belastend, unmittelbar danach ging es ihr mies, räumt sie ein. „Die erste OP hat mich völlig aus dem Leben geschossen. Ich habe gedacht: Was hast Du Dir hier angetan? Das machst Du nicht noch mal.“ Aber während sie sich von den Eingriffen erholte, setzten die positiven Effekte ein, und zwar viel mehr, als sie erwartet hatte. Die bekannten Schmerzen gingen weg, die Belastbarkeit nahm zu. Auch andere Probleme wurden besser. „Es ist krass“, sagt die 30-Jährige. „Erst jetzt merke ich, was alles durch das Lipödem kam.“ Früher dachte sie, sie leide einfach an verspannten Armen und Schultern, sie hatte regelmäßig Kopfschmerzen: „Seit März habe ich keine Kopfschmerzen mehr gehabt.“ Früher „hatte ich auch immer das Gefühl, als würde mir jemand mit der Hand an der Kehle hängen. Das Symptom habe ich nicht mit Lipödem in Verbindung gebracht.“ Auch das ist nun weg.

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Eine dritte Operation steht noch aus. Wegen der hohen Kosten ist diese erst für das Jahr 2025 geplant. Mit ihrem bisherigen Weg geht Svenja Schmidt völlig offen um, spricht darüber auf Instagram und TikTok. Noch ist die Zahl der Follower zwar überschaubar, doch die Rückmeldungen zeigen ihr, dass sie auf einem richtigen Weg ist. „Ich bin generell ein offener Mensch und gehe offen mit dem Thema um. Ich finde das wichtig, weil darüber zu wenig gesprochen, zu wenig aufgeklärt wird.“ Das Feedback auf ihre Beiträge zeige ihr: „Es gibt viele Frauen, die sich nicht trauen, darüber zu sprechen – aber die unendlich dankbar sind, dass es jemand tut. Und es zeigt auch, wie hoch die Dunkelziffer ist.“

Svenja Schmidt berichtet auf Instagram über ihr Leben mit Lipödem
Vor der Lipödem-OP: Der linke Arm von hinten. © Svenja Schmidt | Privat
Svenja Schmidt berichtet auf Instagram über ihr Leben mit Lipödem
Nach der Operation: Der linke Arm von hinten. © Svenja Schmidt | Privat

Siegen: Fettverteilungsstörung Lipödem – extreme Belastung für Körper und Psyche

Viel von dem Leid, das ein Lipödem verursacht, ist auf den ersten Blick nicht sichtbar. Svenja Schmidt kennt außer den physischen Schmerzen auch die psychischen. Als ihr Körper begann, sich zu verändern, habe sie eine problematische Selbstwahrnehmung entwickelt: „Ich habe in den Spiegel geguckt und mich nicht wiedererkannt.“ Ihr Essverhalten veränderte sich, nahm ungesunde Züge an, denn „man sucht die Schuld immer bei sich selber“. Und als dann feststand, was die tatsächliche Ursache von Schmerzen und Gewichtszunahme war, drängte die Umwelt sie dennoch weiter in eine bestimmte Ecke.

Weil ihr Äußeres im Vergleich zu anderen Betroffenen weniger ausgeprägt die allgemeinen Vorstellungen vom Körper einer Lipödempatientin erfüllte, wurde und wird sich mitunter nicht richtig ernst genommen. Ihre Eingriffe, „die hielten viele Menschen für eine Schönheits-OP: ,Achso, Du machst eine Fettabsaugung!‘“, erzählt sie. Die Ärzte, die die zweite Operation im Juni vornahmen, hätten ihr allerdings gesagt, dass das abgesaugte Gewebe an den Armen und Innenschenkeln nicht die Konsistenz von Fett, sondern eher die von Knorpel gehabt habe. „Es ist anstrengend, sich immer wieder erklären zu müssen.“

„„Ich habe jetzt schon so viel mehr Lebensqualität: Das ist gar nicht messbar.“

Svenja Schmidt über die ersten beiden Lipödem-OPs. Ein dritte steht noch aus.

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Mit ihrer Direktheit und ihrer Aufklärungsarbeit möchte sie helfen. Sie möchte anderen Betroffenen Mut machen: „Ich habe jetzt schon so viel mehr Lebensqualität: Das ist gar nicht messbar. Ich kann mich im eigenen Körper wieder wohlfühlen, kann wieder in den Spiegel gucken und fühle mich wieder wie ich. Und es ist, als hätte ich Federn an den Füßen, weil ich mich wieder so leicht bewegen kann.“ Svenja Schmidt will aber auch dazu beitragen, in der Gesellschaft etwas zu verändern, indem sie Unwissen und Vorurteilen im Zusammenhang mit Lipödem mit Information entgegentritt. „Ich finde es unfassbar schlimm, dass in vielen Köpfen drin ist: ,Wenn Du dick bist, bist Du selbst schuld‘. Das ist traurig.“ Sie habe sich gefragt: „Was kann ich tun, damit das besser wird?“ Und die Antwort ist ihre Offenheit.

Auf Instagram finden Sie Svenja Schmidt unter instagram.com/heysvenjahey, auf TikTok unter tiktok.com/@_heysvenja

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