Siegen. In der Kölner Straße in Siegen können Passanten jetzt durch ein Stadttor gehen, das es nicht (mehr) gibt. Augmented Reality erzeugt die Bilder.
Das historische Kölner Tor in Siegen ist zwar lange weg, durchgehen kann man aber trotzdem wieder. Zumindest virtuell, dafür aber am Originalstandort in der Kölner Straße. Die digitale Rekonstruktion wird über eine kostenlose App auf das Display des Smartphones oder Tablets geladen und wirkt dank der Verwendung neuartiger Technik erstaunlich realistisch.
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Es sei „ein Geschenk zum 800-jährigen Bestehen“ in Siegens Jubiläumsjahr, sagt Bürgermeister Steffen Mues bei der Vorstellung am Freitag – und lädt die App über den QR-Code, der auf einem Schild beim Berliner Bären zu finden ist, direkt herunter. Schon zur 700-Jahr-Feier 1924 und zur 750-Jahr-Feier 1974 habe es Rekonstruktionen dieses Stadttors gegeben. Die waren allerdings aus Pappmaché und verschwanden nach den Jubiläen wieder. Die 2024er Version soll bleiben. Im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen nimmt sie schließlich auch keinen physischen Raum in Anspruch.
„Keine archäologische, sondern eine künstlerische Rekonstruktion.“
Siegen: Historisches Kölner Tor wird mit kostenloser App in Augmented Reality dargestellt
Entstanden ist das Modell im Projekt „Siegen virtuell“, einer Kooperation der städtischen Kulturabteilung, des Siegerlandmuseums und des Cologne Game Labs (CGL) der TH Köln. Die Kosten hat die Sparkasse Siegen als Sponsor übernommen. Die Idee stammt von Kulturamtsleiterin Astrid Schneider. Sie sei im Vorfeld des Stadtjubiläums mehrfach von Leuten angesprochen worden, die 1974 den Tor-Nachbau gesehen hätten, erzählt sie: Ob etwas Derartiges wieder geplant sei? Die Anregung griff sie auf, wollte das Ganze jedoch „zeitgemäß in digitaler Form“ und wandte sich daraufhin an Dr. Philipp Bojahr. Über ein Tandem-Programm hat dieser je eine halbe Stelle am Siegerlandmuseum und am CGL Köln, verbindet somit genau die relevanten Fachgebiete aus Forschung aus Praxis und kümmerte sich darum.
Nicht nur vor Ort nutzbar
Die App bietet über die Augmented Reality-Funktionen hinaus auch zahlreiche Informationen zum Kölner Tor. Ihre visuelle Komponente funktioniert zudem nicht nur vor Ort in der Kölner Straße, sondern bietet überall Möglichkeiten: Sie kann ortsunabhängig ein dreh- und skalierbares AR-Diorama des Kölner Tors auf Smartphone und Tablet erzeugen.
Derzeit ist der QR-Code auf einem kleinen Schild am Berliner Bären scannbar. Mittelfristig soll in diesem Bereich eine etwas schmuckere Stele dafür installiert werden. Im App-Store ist die kostenlose App „Siegen virtuell“ natürlich auch erhältlich.
Es wäre eine noch fotorealistischere Darstellung möglich gewesen, sagt Dr. Philipp Bojahr vom Siegerlandmuseum. Davon hätten die Verantwortlichen allerdings Abstand genommen, weil die App auch auf Mittelklasse-Smartphones laufen soll – und nicht nur auf hochpreisigen Geräten der neuesten Generation.
Zum Altstadtfest am Sonntag, 15. September, greift das Stadtmarketing Siegen das neue Feature direkt auf, wie Geschäftsführerin Katja Teixeira ankündigt. Die Stadtrallye entlang der Stadtmauer beginnt am Kölner Tor, hier werden Helfer auf die App hinweisen und die Nutzung erklären. Da diese sehr intuitiv funktioniert, ist sie für alle Nutzergruppen geeignet.
Das klingt vielleicht alles recht fluffig und einfach – ist es aber nicht. Zunächst einmal ist gar nicht gesichert bekannt, wie das Kölner Tor aussah. Erwähnt wurde es erstmals 1455, ursprünglich führte es durch die Mauer unter dem Kutschenweg (der Torbogen ist heute noch gut zu sehen). Später wurde es sozusagen um 90 Grad verlegt. Die Stelle ist auf der heutigen Kölner Straße ein kurzes Stück bergauf über dem Berliner Bären. Ende des 19. Jahrhunderts war das Tor stark verfallen und wurde abgerissen. Fotos sind nicht erhalten, aber eine Skizze des Malers Jakob Scheiner (1820 - 1911). Auf dieser basiert das digitale Modell, allerdings mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass es „keine archäologische, sondern eine künstlerische Rekonstruktion“ sei, wie Philipp Bojahr erklärt. Es sei nicht einmal klar, ob Jakob Scheiner das Tor überhaupt jemals in dem Zustand gesehen habe, wie er es skizzierte. Seine Bilder sind allerdings, wenn es um historische Stadtansichten geht, generell eine wichtige und als verlässlich geltende Quelle. Als Referenz an diesen Hintergrund baut sich das digitale Tor auf dem Bildschirm in zwei Stufen auf: Erst als Skizze, dann als Simulation.
Siegen: Kölner Tor als Augmented Reality – digitale Rekonstruktion passt sich Lichtverhältnissen an
Der realistischen Anmutung des virtuellen Resultats tut das keinen Abbruch. Die Technik sei so neu, dass sie hier erstmals in einer breitenwirksamen Anwendung genutzt werde, sagt Philipp Bojahr. Vereinfacht ausgedrückt wird das Stadttor nicht wie bei vielen anderen Augmented Reality-Einsätzen mehr oder minder genau auf dem Display des Endgeräts in die Umgebung eingeblendet, sondern in Echtzeit in diese hineingerechnet und je nach Position des Nutzers oder der Nutzerin fortlaufend angepasst. Die Software berücksichtigt sogar die im jeweiligen Moment herrschenden Lichtverhältnisse und passt die Darstellung daran an.
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Die Oberflächen sind – weil dies plausibel ist – an die historische Stadtmauer angelehnt. Das Ergebnis ist zwar nicht absolut makellos, aber zumindest so dicht dran, dass die Illusion in ihrem Realismus wirklich beeindruckt. Liebenswerte Extras gibt es auch: Vor dem Tor gibt es virtuelle, historisch kostümierte Figuren – der Mann direkt neben dem Durchgang lüftet sogar zum Gruß seinen Zylinder. Und wer hindurchschreitet, entdeckt nicht nur, dass die Rekonstruktion aus beiden Richtungen funktioniert, sondern noch ein paar sympathische weitere Figuren. Die sind aber offiziell „Easter Eggs“, als Besonderheiten, die es selbst zu entdecken gibt, wie Philipp Bojahr anmerkt. Okay – die Redaktion hält sich dran und verrät nichts.
„Wir können so zeigen, wie schön diese Stadt war und wie sie sich an manchen Stellen auch weiterentwickelt hat.“
Siegen: Historische Stadtansichten virtuell aufleben lassen – weitere Ideen gibt es bereits
Zu den Kosten sagt Günter Zimmermann vom Vorstand der Sparkasse Siegen nichts. Billig, das kommt herum, war es wohl nicht. Die Sparkasse habe sich allerdings für das Projekt gewinnen lassen, nachdem das Team ein vergleichbares Beispiel aus Seoul gezeigt habe, das einen Eindruck vermittelt hätte. „Diese Bilder haben uns überzeugt“, sagt Günter Zimmermann. Zudem sei nicht nur das virtuelle Kölner Tor entstanden, sondern auch die technische Plattform, über die sich weitere Motive einspielen lassen könnten: Das Geburtshaus von Peter Paul Rubens etwa oder die von den Nazis zerstörte Synagoge. „Es ist so vieles verschwunden“, betont Zimmermann. „Wir können so zeigen, wie schön diese Stadt war und wie sie sich an manchen Stellen auch weiterentwickelt hat.“
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Nachts läuft die App übrigens nicht. Ab einem gewissen Maß an Dunkelheit stößt die Technik an ihre Grenzen, so Philipp Bojahr, „da ist das Kölner Tor zu“. Historisch ist das gar nicht so verkehrt, wie Steffen Mues scherzhaft ergänzt: „Das war früher ja auch so.“
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