Siegen. Kölner Straße und Oberstadt in Siegen: Ein Laden nach dem anderen macht zu – aber die Zeiten. Trotz Karstadt-Aus geht es wieder bergauf.
Wer bei der Siegener Oberstadt an Leerstand und Ödnis denkt, war wahrscheinlich seit einer Weile nicht mehr dort. Tatsächlich hat sich das Quartier nach einer zwischenzeitlichen – und zugegebenermaßen jahrelangen – Durststrecke berappelt, bietet inzwischen eine Mischung aus Gastronomie und inhabergeführtem Einzelhandel. Vor allem Mode, Wohnbedarf und Accessoires setzen sich von den typischen, von Ketten geprägten Fußgängerzonen vieler Städte wohltuend ab. Noch scheint sich das aber nicht überall herumgesprochen zu haben – beim Publikumszuspruch gibt es noch Luft nach oben.
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Blick zurück: Mit Deutschlands steilster Fußgängerzone ging es bergab
Lange war die Kölner Straße als „Deutschlands steilste Fußgängerzone“ bekannt. Zwar gilt es auch eine Steigung zu erklimmen, um beispielsweise in Marburg die Hauptgeschäftsstraße zu erreichen – doch befindet sich diese nach dem Anstieg dann weitgehend in der Horizontalen. Gerade, was inhabergeführte Läden mit Zugkraft anging, waren Kölner Straße und Oberstadt die Toplage – etwa das gut sortierte Schreibwarengeschäft „Louis Thomas“, die Buchhandlung Nohl, den Plattenladen (so nannte man es damals noch) „Die Rille“ oder das zweistöckige Spielwarengeschäft „Mehr am Markt“. Und das zog sich weiter über Markt und Marburger Straße bis zum Marburger Tor.
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Dann eröffnete im Oktober 1998 die City-Galerie am Bahnhof (dort, wo vormals das „Nürnberger Haus“ stand). Und von da an ging es einzelhandelsmäßig am Hügel bergab: Viele alteingesessene Geschäfte machten zu, einzelne – etwa Miederwaren Straatman – hielten sich noch etliche Jahre, schlossen letztlich aber trotzt großen persönlichen Einsatzes ebenfalls. Parallel siedelten sich zunehmend Läden mit qualitativ schlichterem Sortiment an, böse Zungen könnten es sogar „trashig“ nennen. Das stieß einen so genannten Trading-Down-Effekt an: Je weniger attraktiv das Angebot der bestehenden Geschäfte in einem Bereich ist, um so mehr sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sich dort Einzelhändler mit hochwertigem Portfolio niederlassen. Konsequenz: Die Qualität flaut weiter ab.
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Ein trauriger Höhepunkt wurde erreicht, als ausgerechnet der mittlere Abschnitt der Kölner Straße gegenüber von Karstadt zu rund 50 Prozent Leerstand hatte. Das lag zum Teil dem Vernehmen nach auch daran, dass einzelne Hauseigentümer nur eingeschränkte Bereitschaft zeigten, von Mietbedingungen wie zu Glanzzeiten der Oberstadt abzuweichen. Ein Begleiteffekt war jedenfalls, dass viele Passantinnen und Passanten gar nicht mehr davon ausgingen, dass der obere Teil der Kölner Straße überhaupt noch etwas zu bieten haben könnte.
Thema Karstadt
Die Nachricht vom Aus für Karstadt in Siegen traf die Oberstadt hart. „Auch für uns war es ein Schock“, schildert Bürgermeister Steffen Mues, „weil wir mit der Uni und dem Eigentümer ein gutes Konzept hatten, um Karstadt zu retten.“ Das Kaufhaus hatte bekanntlich seine Verkaufsfläche spürbar verkleinert und damit Kapazitäten geschaffen, in die Teile des Campus Mitte einzogen.
Realistisch betrachtet ist nicht davon auszugehen, dass die Karstadträume zum Leerstandsproblem werden. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass die Uni Siegen angesichts der Pläne für den Umzug zweier weiterer Fakultäten in die Innenstadt Interesse haben dürfte.
Blick in die Gegenwart: Die meisten Lokale in der Oberstadt Siegens sind wieder voll
Mittlerweile sieht die Sache wieder anders aus. Bei einer Definition der Oberstadt, die außer der gesamten Kölner Straße die Löhrstraße, die Alte Poststraße, die Straße „Markt“, die Marburger Straße und das Marburger einschließt, bis zu der Stelle, ab der ehemalige Ladenlokale in Wohnraum umgewandelt wurden, finden sich insgesamt keine zehn Leerstände mehr. Und für die, die bestehen, ist mitunter schon ein recht genauer Blick notwendig, um sie überhaupt als solche zu identifizieren. Allein gegenüber von Karstadt gab es zur angespanntesten Zeit sechs leer stehende Läden. Zur Wahrheit gehört natürlich, dass manche Ladenlokale von Dienstleistern wie Versicherungen oder Maklern belegt sind und damit zweifellos nicht zum Shoppingerlebnis beitragen. Einerseits haben auch solche Services in solche zentraler Lage aber Vorteile für Bürgerinnen und Bürger, und andererseits gibt es ringsherum inzwischen viel von dem, was Einzelhandelsexpertinnen und -experten als wesentlichen Faktor für langfristig attraktive Einkaufszonen werten: inhabergeführte Läden mit handverlesenen Artikeln etwa für Wohn-, Mode- und Freizeitbereich.
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Eines der als Erfolgsrezepte geltenden Profile für Einkaufsstädte geht davon aus, dass die Kombination aus großen Ketten und individuellen kleinen Läden die höchste Anziehungskraft hat. Während viele Menschen beim Shopping-Ausflug bekannte und beliebte Marken erwarten, entscheiden trotzdem für viele „die anderen Geschäfte“ darüber, in welche Stadt es für die Einkaufstour geht. Die „kleinen Läden“ nämlich zeichnen sich durch die spezifische Produktzusammenstellung aus, die der Inhaber oder die Inhaberin trifft, um der Kundschaft eine hochwertige Vorauswahl aus einem insgesamt unerschöpflichen und faktisch oft unüberschaubaren Gesamtangebot zu präsentieren. Wer jemals versucht hat, im Internet mit einem Suchbegriff wie „Schmuckkästchen“, „Gürtel“ oder „Kissen“ das Richtige zu finden, weiß eine stilsicher getroffene Vorauswahl seitens eines Einzelhändlers oft zu schätzen.
Kölner Straße in Siegen kein Sorgenkind mehr – auch und gerade dank Gastro
Endgültig Fahrt aufgenommen hat die positive Trendwende in der Oberstadt ausgerechnet zu Corona-Zeiten, wie Bürgermeister Steffen Mues im Gespräch mit der Redaktion erläutert. Insgesamt wurden Innenstädte und Einzelhandel von den Beschränkungen, vor allem von den Lockdowns, zwar hart getroffen, doch in der Oberstadt hätten sich in dieser Phase auch neue Gastro-Angebote angesiedelt, „gerade in der oberen Kölner Straße, die lange ein Sorgenkind war“, sagt Steffen Mues.
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Daraufhin seien auch neue Einzelhändler gekommen, wobei sich das „Sofortprogramm zur Stärkung unserer Innenstädte und Zentren“ des Landes NRW als hilfreich erwiesen habe. Dieser Topf, aus dem Siegen für die Jahre 2021 bis 2023 etwas mehr als 500.000 Euro nutzen kann, erlaubt es Städten, leerstehende Ladenlokale anzumieten und dann zu deutlichen günstigen Tarifen weiterzuvermieten. Immobilienbesitzerinnen und -besitzer haben dadurch keinen Leerstand, Einzelhändler können ihre Geschäftsideen mit viel geringerem Risiko erproben und die Stadt kann Einfluss auf das Sortiment und den Branchenmix nehmen. Ein weiterer Positiveinfluss ist der Umzug von Teilen der Universität an den Campus Unteres Schloss, der (junges) Leben in die Oberstadt bringt. „Der zeitliche Zusammenhang ist offensichtlich“, merkt der Bürgermeister an.
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Ein Problem gibt es aber, räumt der Bürgermeister ein: „Viele Menschen haben noch im Hinterkopf, dass in der Oberstadt viel Leerstand war – darum gehen sie gar nicht mehr hin.“ Folglich könnten sie die feste Vorstellung nicht mit der Realität abgleichen, wie sie jetzt ist.
Die ISG Siegen hat Ideen für die zukunft Oberstadt
Wir sind total stolz“, sagt Thiemo Brinkmann, 1. Vorsitzender der Immobilien- und Standortgemeinschaft Oberstadt, über die Entwicklung im Quartier. Die Oberstadt habe von den Förderprogrammen eindeutig profitiert. Das NRW-Sofortprogramm, mittels dessen die Stadt Neueröffnungen dank deutlich niedrigerer Mieten habe unterstützen können, habe bei Gründungswilligen die Schwelle für ebensolche Neueröffnungen gesenkt. Außerdem habe sich in der Oberstadt das „Zentrenbudget“ als effektiv erwiesen. Die Stadt stellt dabei insgesamt 30.000 Euro pro Jahr bereit, um Veranstaltungen und Aktionen zu fördern, die Menschen zum Besuch der Zentren motivieren sollen. Bis zu 5000 Euro werden pro Projekt ausgezahlt, sofern die Initiatoren einen Eigenanteil von 20 Prozent beisteuern. So kam beispielsweise das erfolgreiche Format „Sommermusik am Dicken Turm“ zustande, berichtet Thiemo Brinkmann. Auch die „Baustellenlotterie“, bei der die Läden in der Oberstadt während der baustellenbedingten Sperrung der Löhrstraße Einkaufsgutscheine unter den Kundinnen und Kunden verlosten, wurde über das Zentrenbudget möglich. Diese Aktion lief sehr gut, betont der ISG-Vorsitzende.
Die ISG habe weitere Projekte in petto. So gebe es zum Beispiel Überlegungen, Gründerinnen und Gründern, aber auch Anbietern saisonaler Artikel wie Ski- oder Sommerkleidung Flächen als sogenannte Pop-up-Stores zur Verfügung zu stellen, um das Gesamtangebot im Quartier zu bereichern. Siegen habe wegen seiner Zentralität „hohe Zugkraft“, hebt Thiemo Brinkmann hervor. Wichtig sei es, dass Image weiter zu verbessern und mehr Menschen auf die Stärken aufmerksam zu machen.
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