Siegen. Wollen Sie Siegen sehen wie nie zuvor? Dank digitaler Gadgets bietet das Siegerlandmuseum dazu in seiner neuen Ausstellung reichlich Gelegenheit.
Ein Dreh der großen Lupe nach rechts, und das Bild der Kriegstrümmer verwandelt sich durch die graue Folie betrachtet in die Straße „Markt“, wie sie heute aussieht. In der jüngsten Ausstellung setzt das Siegerlandmuseum erstmals sein neues Konzept zur digitalen Vermittlung um. „Siegen. Der subjektive Blick auf die Stadt“ verspricht auch dank dieser Möglichkeiten nicht nur neue Sichtweisen, sondern liefert diese auch auf vielerlei Art ab.
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Es gibt viele und sehr beeindruckende Foto-Gegenüberstellungen von Orten in der Stadt zu verschiedenen Zeiten. Die massiven Zerstörungen aus dem Zweiten Weltkrieg etwa sind im Vergleich zum heutigen Zustand zu sehen, unter anderem mit Aufnahmen der Kölner Straße oder der Altstadt. In den „Polariboxen“ – so nennt Projektleiter Dr. Philipp Bojahr die schwarzen Kästen an der Wand, an deren Rückseite Stadtansichten zu sehen sind – lässt sich mit Drehungen der erwähnten Lupen sogar eine Überblende erzeugen. Dies geschieht nicht für alle Betrachterinnen und Betrachter im Raum, sondern nur für diejenigen, die durch die Folie schauen. „Ein alter Jahrmarktstrick“, sagt Philipp Bojahr. Hier ist dieser allerdings in Verbindung mit digitaler Technik perfektioniert, die Boxen entstanden in Zusammenarbeit mit dem Fab Lab der Universität Siegen. Und das die Menschen vor den Kästen jeweils individuell für sich mit den Lupen Bildverläufe erzeugen, passt exakt zum Ausstellungstitel: „Der subjektive Blick“.
Siegen: Siegerlandmuseum erprobt mit digitaler Technik neue Wege der Vermittlung
„Spielerei“, mag nun mancher zu solchen Gimmicks sagen. Ja – und? Selbst eingefleischte Fans des Nörgelns und Meckerns dürften zumindest ein gewisses Maß an verblüffter Begeisterung verspüren, wenn sie die Polariboxen selbst erst einmal ausprobieren. Die Dinger sollen Spaß in den Heimatmuseums-Besuch bringen und Veränderungen im Stadtbild plastisch vermitteln – und genau das tun sie auch. Von hier aus kann es dann zum „StadTraum“-Terminal weitergehen, einer Stele mit Bildschirm und einem Slot für große Dias. Diese liegen nebendran auf einem Tisch und zeigen Aufnahmen von markanten Punkten in Siegen zu verschiedenen Zeiten. Wer möchte, kann davon nach Gusto welche aussuchen, durch simples Einlegen in den Slot einlesen und dann auf einem Touchscreen Bereiche auswählen. Elemente verschiedener Fotos aus verschiedenen Zeiten werden so gesampelt, neu zusammengestellt – und dann errechnet der Computer, wie ein Stadtbild drumherum aussehen könnte. Das Ergebnis lässt sich auf Postkartenformat direkt ausdrucken und mitnehmen. Auch das hat etwas Enorm Spielerisches, auch das macht Spaß – und auch das hat eine viel tiefere Ebene: Die Nutzerinnen und Nutzer dieses Geräts wählen subjektive Elemente von Siegener Ansichten aus, und eine Künstliche Intelligenz (KI) kreiert auf dieser Grundlage ein neues Bild. Was die Frage aufwirft: Kann eine KI überhaupt im engeren Sinne etwas „kreieren“? Und kann sie subjektiv agieren? Und was löst das Ergebnis des Prozesses bei Menschen aus, die es anschauen?
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Wen diese Tech-Gadgets nicht locken können, der oder die ist in der Ausstellung dennoch richtig, denn der Großteil der Exponate ist analog. Viele Fotos an den Wänden zeigen Siegen in verschiedenen Phasen, verteilt auf Räume mit den Stichworten „Siegen errichtet“, „Siegen versammelt“, „Siegen beschäftigt“, „Siegen mobil“ und „Siegen vorgestellt“. Doppeldeutigkeiten dieser Rubriken sind beabsichtigt, sagt Kristin Schrimpf vom Kuratorenteam. Kategorien wie „hübsch“ und „hässlich“ gibt es nicht, betont Museumsleiterin Dr. Karin Kolb. Es gehe nicht um Bewertungen, sondern darum, „zu zeigen, dass jeder Blick auf eine Stadt ein subjektiver Blick ist“.
Siegen: Neue Ausstellung will Menschen einen geschärften Blick auf die Stadt vermitteln
Motivauswahl, Perspektive, Lichtverhältnisse, Zeitpunkt: Immer hat der Mensch, der bei der Kamera auf den Auslöser drückt (oder etwas malt: Auch Bilder von Jakob Scheiner sind zu sehen) eine Vielzahl von Entscheidungen getroffen, bevor gerade dieses eine Bild entstand. Wie dieses dann wahrgenommen wird, hängt ebenso ganz subjektiv vom Betrachter oder der Betrachterin ab. Wie diese sich zur Ausstellung insgesamt positionieren und welche Schlüsse sie im Vergleich „Siegen früher – Siegen heute“ ziehen, was sie über die Entwicklung denken und über Orte, Geschäfte, Quartiere, die verschwunden oder neu hinzugekommen sind, bleibt jedem und jeder überlassen. „Wir wollen keinen abschließenden Blick auf Siegen präsentieren“, sagt Karin Kolb. „Den kann es gar nicht geben. Eine Stadt ist immer im Wandel.“
+++ Info +++
Die Ausstellung „Siegen. Der subjektive Blick auf die Stadt“ im Siegerlandmuseum läuft vom 6. Mai bis zum 17. September. Es sind einige Führungen und Workshops dazu geplant.
Das Kurator*innen-Team besteht aus Kristin Schrimpf, Dr. Louisa Thomas und Lukas Vehn. Johannes Bade, Digital-Manager des Museums, ist wesentlich an der technischen Umsetzung beteiligt.
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