Siegen. Sechs Messer-Angriffe in drei Monaten, dazu weitere schwere Gewaltdelikte auf offener Straße. Nun die Forderung aus Siegener Politik: Es reicht.
Seit dem Frühjahr ist es in Siegen zu mehreren gewalttätigen Auseinandersetzungen auf offener Straße gekommen, bei einigen davon wurden Beteiligte schwer verletzt - weil die Kontrahenten Messer verwendeten, vereinzelt auch andere Werkzeuge, die als Waffen einsetzbar sind. Die Polizei hatte bereits in ihrer Kriminalstatistik der vergangenen zwei Jahre darauf hingewiesen, dass die Gewaltbereitschaft steigt: Es sind nicht unbedingt stark steigende Fallzahlen insgesamt - aber darunter mehr, die blutig enden.
+++ Immer auf dem Laufenden mit WhatsApp: Hier geht‘s zum Kanal der Lokalredaktion Siegen +++
Ein Überblick: Erst am Donnerstagabend soll ein Jugendlicher von einer aggressiven Gruppe durch Siegen gejagt und dabei mit einem Messer verletzt worden sein. Samstagabend, 6. Juli: Mehrere Männer werden im Zuge eines eskalierten Streits zwischen Hauptbahnhof und Kölner Tor verletzt, zwei Verdächtige sind in U-Haft. Auf einer Bank in Weidenau wird am 18. Juni ein Mann bei einer Auseinandersetzung lebensgefährlich verletzt - mit einem Messer; Ein Verdächtiger ist in Haft. Am 12. Juni werden ein Mann und eine Frau bei einer Schlägerei am Siegener ZOB verletzt. Nach einem offenbar gescheiterten Drogenkauf verprügelt ein 22-Jähriger einen anderen im Oranienpark. Dienstagnachmittag, 28. Mai, würgt ein Mann einen anderen (64), offenbar grundlos. Am Abend des 24. Mai verletzte dieser Mann einen anderen am Kölner Tor mit einem Böller. Am Abend des 22. Mai schlägt mutmaßlich derselbe Mann mit einem Gummihammer in der Sandstraße auf einen am Boden Liegenden ein. Am 13. Mai wird ein Mann in Eiserfeld niedergestochen, ein Verdächtiger (18) konnte ermittelt werden. Am 3. Mai gerät eine Schlägerei, wiederum am Kölner Tor, außer Kontrolle, ein 29-Jähriger wird lebensgefährlich mit einem Messer verletzt. Auch hier gibt es einen Verdächtigen. Am 23. April wird ein Mann während einer Rauferei an der Koblenzer Straße durch Schnitte und Pfefferspray verletzt.
Messereinsatz in Siegen: Oft kennen sich Täter und Opfer vorher - aber nicht immer
Dabei ist es, zumindest in den meisten Fällen, nicht so, dass die normale Bevölkerung in Gefahr ist. Überwiegend, auch das gibt die Statistik her, bleiben Opfer und Täter „unter sich“ - sie kennen sich schon vorher, oftmals aus einem kleinkriminellen Milieu, irgendwelche Streitigkeiten eskalieren und werden auf offener Straße ausgetragen. Gewalttaten richten sich bis auf wenige Ausnahmen nicht gegen Passanten, die zufällig vorbeikommen.
Ein schwacher Trost, findet nicht nur der Siegener CDU-Landtagsabgeordnete und stellvertretende Bürgermeister Jens Kamieth. Gewalt auf offener Straße, so selten sie statistisch auch sein mag, findet statt, beeinflusst das Sicherheitsempfinden der Menschen. Viele sorgen sich, dass Siegen nicht mehr sicher sei, dass man nicht mehr sicher hingehen könne. Die Freien Wähler etwa: Die Innenstadt dürfe nicht zu einem „Ort der Angst“ werden, fordert der Stadtverordnete Benjamin Grimm.
„Früher wurden Auseinandersetzungen mit den Fäusten ausgetragen, wenn einer am Boden lag, war es gut.“
Die objektive Faktenlage gibt das zwar nicht her, damit umgehen muss der Staat aber dennoch. „Früher wurden Auseinandersetzungen mit den Fäusten ausgetragen, wenn einer am Boden lag, war es gut“, sagt Kamieth. Das sei offenbar verlorengegangen: Viele Menschen seien bewaffnet, schon Jugendliche hätten Messer dabei, die sehr schnell gezogen werden.
Siegen: Mit „strategischer Fahndung“ der Polizei verbessert sich Sicherheitsgefühl in Innenstadt
Das sei nicht nur in Siegen so, „das Problem haben wir im Land wahrgenommen“, sagt Kamieth und bekräftigt den Willen, dieser Sache Herr werden zu wollen. In belebten Gegenden der Düsseldorfer Innenstadt gebe es Waffenverbotszonen, berichtet der Abgeordnete, „unglaublich, was da rausgefischt wird!“ Diese Zonen sind rechtlich gekoppelt an bestimmte Fallzahlen - in Siegen zu wenig. Die Stadt ist kein Kriminalitätsschwerpunkt, was die von den Freien Wählern wieder einmal geforderte Videoüberwachung unmöglich machen dürfte. Aber ein Messertrageverbot, bei dem bestimmten Personen das Mitführen einer Waffe untersagt wird: Das sei vorstellbar und auch machbar, fordert Kamieth. „Warum haben Menschen Messer dabei? Das sind keine Schweizer Taschenmesser, sondern solche mit 25-Zentimeter-Klingen - das muss niemand dabei haben!“
Der CDU-Politiker verweist auf den Erfolg der „strategischen Fahndung“ der Polizei in der Siegener Innenstadt, die im Juni nach vier Wochen mit mehr als 1000 Kontrollen und knapp 140 Anzeigen endete - und ohne gravierendere Gewalttaten im Innenstadtbereich während dieser Zeit. Hier gelte es, nicht nachzulassen, fordert nicht nur Kamieth. Schon wenige Tage nach dem Start wurde gefordert, die erhöhte Polizeipräsenz beizubehalten, da sie offensichtlich wirke. Die Behörde hat allerdings nicht die Ressourcen, um diese personalintensive Maßnahme beliebig fortzusetzen.
Siegen: Landtagsabgeordneter fordert Messer-Verbot und härtere Strafen
Ein Teil der Lösung, so die Forderung aus der Politik, seien auch sofortige und empfindlichere Strafen. Eine Mindestfreiheitsstrafe von drei Monaten für Körperverletzung mit Waffen schrecke Kleinkriminelle womöglich nicht ab - aber Jugendliche, die warum auch immer Messer dabeihaben. Beschleunigte Strafverfahren bei solchen oft recht eindeutigen Fällen, am besten noch am selben Tag, seien dabei mehr als wünschenswert. Zumal solche Taten oft dutzendfach gefilmt würden - nicht nur von Zeugen, sondern bizarrerweise auch von Tatbeteiligten. „Wenn sie dann schon nach wenigen Stunden in der JVA sitzen - das wäre wahnsinnig abschreckend!“, ist Kamieth überzeugt. Die Redewendung, dass die Strafe auf dem Fuß zu folgen habe, gelte es mit Leben zu füllen.
Der Rechtsstaat müsse das Signal an die Bevölkerung senden, dass er sich um die Sicherheit kümmert. Viele Menschen hätten mittlerweile den Eindruck, dass schwere Gewalttaten kaum geahndet werden, während kleine Steuervergehen hart verfolgt würden. Die Polizei, auch in Siegen, sei hoch motiviert und gut ausgebildet, „die freuen sich über Erfolge, wenn sie die bösen Buben rausfischen“, sagt der Politiker. Und noch mehr, wenn sie dann auch schnell ihre gerechte Strafe bekommen. Während das Land bei Polizeiangestellten in den vergangenen Jahren zusätzliche Stellen geschaffen habe, fehle das in der Justiz noch. Es fehlen Richter und Staatsanwälte, auch Personal in den Geschäftsstellen - und gerade in Siegen sei es problematisch, Leute zu finden. „Wir müssen in Innere Sicherheit investieren“, bekräftigt der Landtagsabgeordnete. Auch eine bessere Digitalisierung, an der Schnittstelle zwischen Polizei und Staatsanwaltschaften etwa, würden helfen, Straftäter schneller und effektiver zu verurteilen. All das dauert.
+++Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook!+++
Im Gegensatz zum Messertrageverbot. Das sei einfach und wirksam umsetzbar. „Messer zu tragen ist in unserer Gesellschaft nicht erwünscht und nicht erforderlich. Wir wollen das nicht!“