Netphen. Eine junge Frau läuft ihre morgendliche Runde als ein Unbekannter sie angreift. Sie kann sich befreien - und beschließt, sich künftig zu wehren.

5.30 Uhr morgens. Wanderparkplatz Dautenbach. Es ist noch dunkel. Katha (Name geändert) joggt mit Musik in den Ohren durch den Wald. Es ist die Runde, die sie immer nimmt. Hundebesitzer gehen spazieren. „Es standen die gleichen Autos wie sonst auf dem Parkplatz.“ Nach zwei Kilometern geschieht etwas, mit dem sie nicht gerechnet hat. Ein Mann nimmt sie von hinten in den Schwitzkasten, zieht sie mit voller Kraft nach hinten. „Ich konnte ihn nicht erkennen. Das Einzige, was ich gesehen habe, sind seine blauen Handschuhe und seinen schwarzen Pulli. Die blauen Handschuhe werde ich nie vergessen.“ Katha versucht, sich zu wehren. Sie beißt den Angreifer in den Unterarm und rennt weg. „Ich vermute, dass der Täter mich schon Tage vorher beobachtet hat.“ Für die 28-Jährige war ab diesen Zeitpunkt klar: „Ich kann nicht zu jeder Uhrzeit überall herlaufen. Dann hab ich überlegt, es muss doch etwas geben, damit ich mich sicherer fühle.“ Katha entschied sich dazu, den kleinen Waffenschein zu erwerben.

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Sie hatte damals einen Partner, der sich mit Waffen auskannte. Er habe lange bei der Bundeswehr gearbeitet. „Deshalb bin ich an Waffen drangekommen.“ Gekauft hat sie die Schreckschusspistole bei einem Händler in der Siegener Oberstadt. Die Pistole führe sie jetzt nicht mehr bei sich, diese habe sie bei ihrem Ex-Freund in der Wohnung liegen gelassen. „Ich habe keine Waffe mehr und werde mir auch keine mehr zulegen.“ Pfefferspray ist nun ihre neue Waffe geworden. „Damit laufe ich immer rum.“

Siegen: Überfall bewegt Opfer zum Antrag für kleinen Waffenschein

Katha ist mittlerweile glückliche Mutter. „Dadurch bin ich tatsächlich ängstlicher. Im Siegener Raum wird es auch immer unsicherer, der Messerangriff in Siegen zum Beispiel. Das schürt Angst.“ Der Überfall im Bereich der Dautenbach war nicht der Einzige, den sie erleben musste. Auch an einem anderen Jogging-Morgen in Netphen kam es zu einem Überfall. „Ich würde aber nicht sagen, dass mich ein kleiner Waffenschein vor solchen Überfallen bewahrt. Ich hätte bei meinem Überfall in der Dautenbach auch nicht mehr viel damit ausrichten können.“ Darüber hinaus ist das Mitführen einer Schreckschusspistole im öffentlichen Raum nur begrenzt erlaubt. „Ich dachte zuerst, ich bin damit im Dunkeln, wenn ich abends unterwegs bin, geschützt. Aber ich darf die Pistole nicht mit zu Großveranstaltungen oder in die Kneipe nehmen.“ Gemacht habe sie es trotzdem. Sogar auf der Arbeit habe sie die Pistole dabei gehabt. „Wer kontrolliert denn schon die Taschen, wenn man in ein Restaurant geht.“ Katha sieht den Besitz von Pistolen mittlerweile sehr kritisch. „Damit kann man ja wirklich jemanden verletzen.“

Kleiner Waffenschein in Siegen-Wittgenstein

Wer in der Öffentlichkeit eine Schreckschusswaffe bei sich führt, aber den kleinen Waffenschein nicht besitzt, macht sich strafbar und muss mit bis zu dreijähriger Freiheitsstrafe oder Geldstrafe rechnen.

Wenn die Schreckschusswaffe das Siegel der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) nicht besitzt, gilt sie als scharfe Waffe und der Besitz ist nur mit einer Waffenbesitzkarte erlaubt. Das „Führen“ ist dann nur mit einem großen Waffenschein möglich. Auch wenn man im Besitz eines Scheins ist, ist das Schießen in der Öffentlichkeit verboten. Lediglich in Notwehrfällen ist das Abfeuern erlaubt.

Im Kreis Siegen-Wittgenstein ist keine Privatperson im Besitz eines großen Waffenscheins, teilt Stefan Pusch, Pressesprecher Kreispolizeibehörde Siegen-Wittgenstein, mit. Im Kreisgebiet Siegen-Wittgenstein gab es im Jahre 2023 3582 private Waffenbesitzer (2022: 3570). 2022 und 2023 wurden insgesamt 788 Anträge auf Erteilung eines kleinen Waffenscheins gestellt, davon wurden 778 erteilt.

Katha findet: Es ist zu einfach, einen kleinen Waffenschein zu bekommen. „Die Bewerbung ist lächerlich. Man muss nur eine Seite mit Fragen ausfüllen, ob man einer rechtsradikalen Partei angehört oder ob man vorhat, einen Amoklauf zu starten. Dann wollten die noch meinen Personalausweis haben und das war es auch.“ Nach drei Wochen habe sie ihren kleinen Waffenschein erhalten. „Es sollte Seminare geben, bei denen man lernt, wie man mit einer Pistole umgeht und wie man diese lagert.“ Katha hat das Schießen damals mit ihrem Ex-Partner geübt. „Selbstverteidigungskurse habe ich auch belegt.“

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5.30 Uhr morgens. Kreuztal. Katha geht vor der Arbeit ins Fitnessstudio. Joggen im Wald ist Tabu. In der Sporttasche: ihr Pfefferspray, immer griffbereit. „Die blauen Handschuhe werde ich nie vergessen.“

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