Elsey. Völlig unerwartet gerät unser Autor in ein Adventskonzert in Hohenlimburg - und war überrascht. Waren Sie je beim Bach-Chor?

Dies ist eine persönliche Betrachtung. Denn ich muss gestehen: Mir liegt nichts ferner, als diese Kunst bewerten zu können. Den Entschluss, zu kommen, traf meine Frau. Und ich ging mit. Eine liebe Freundin ist Mitglied dieses Chores. So einfach ist das manchmal. Ich wollte privat kommen. Und gehe doch als Reporter. Denn mich ließ bis spät in den Abend das Gefühl nicht los, dass dieses Konzert in der wunderschönen, barocken Elseyer Stiftskirche dokumentiert gehört. Beobachtungen aus Reihe zwei auf der Empore. Der Bach-Chor spielt sein Weihnachtskonzert.

Die Kirche selbst ist ja ein Highlight. 1223 errichtet. Der älteste Sakralbau Hohenlimburgs. Und irgendwie - ich bin kein Tonfachmann - der perfekte Klangkörper für diese Begegnung zwischen dem 1985 in Hagen gegründeten und trotz seiner Laienbesetzung hochambitionierten Bach-Chor und dem Bläser-Ensemble „Iserlohn Brass“, das mir im hellen Schein des Kirchenleuchters der Klosterkirche auf der Empore gegenüber sitzt.

Das Bläserensemble „Iserlohn Brass“ steuerte drei eindrucksvolle Stücke zum Weihnachtskonzert dazu.
Das Bläserensemble „Iserlohn Brass“ steuerte drei eindrucksvolle Stücke zum Weihnachtskonzert dazu. © Mike Fiebig | Mike Fiebig

Ich kann nicht singen. Zumindest glaube ich das von mir selbst. Ich spiele auch kein Instrument. Weswegen beide Fähigkeiten nicht nur Wirkung auf mich haben, sondern auch den Nimbus einer talentbedingten Unerreichbarkeit in sich tragen. Ich verstehe das zwar fachlich nicht, aber einen Menschen wie einen dieser Trompetenspieler gegenüber mit geschlossenen Augen, ganz bei sich und doch im Ensemble, leidenschaftlich und mit Hingabe spielen zu sehen, fasst einfach an.

Inbrunst und Leidenschaft

Zu sehen, mit welcher Inbrunst sich die Brustkörbe der Sängerinnen und Sänger des Bachchores heben und senken, wie kraftvoll der Gesang die Mimik fordert und welche Präzision, welche zeitliche Genauigkeit, welche Balance zwischen Höhe und Tiefe es erfordert, aus diesem schönen Mannschaftsbild im Altarraum einen Chor zu machen, der zwischen Pracht und Getragenheit, Gefühl und Volldampf, wie die Zahnräder eines Uhrwerkes funktioniert, ist schlichtweg beeindruckend.

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Ein Mann neben mir, vielleicht Mitte 50, hält während des gesamten Konzertes die Augen geschlossen. Er fühlt die Musik. Immer wieder stehe ich auf, werfe den Blick hinab ins Kirchenschiff. Es gibt keinen einzigen freien Platz. Es sind Hunderte da. Drubbelig war es vor der Tür. Beim Hineinlassen bildete sich eine kleine Schlange Richtung Ortskern.

Hohe Kultur frei Haus

Das alles hier kostet mich nichts. Niemand verlangt Eintritt, niemand schwatzt mir CDs auf, für die ich eh kein Abspielgerät mehr habe. Kein Merchandise, keine langen Vorreden. Für meine Ohren und Augen gibt es hier ein kulturelles Geschenk frei Haus. Und mal wieder stelle ich erfreulicherweise in dieser Stadt fest, dass es unsere Menschen von hier sind, die in ganz unterschiedlichen Sphären der Kultur - zwischen Hinterhof und Theater, Kirchenschiff und Sommerfest - in der Lage sind, Perfektion und Zauber zu vermitteln.

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Erinnerungen an ein Unterrichtsfach

Ich erinnere mich hier in dieser Kirchenbank an ein interessantes Unterrichtsfach. Es hieß „Musikgeschichte“ und war an meiner Penne damals ein Versuch. Meine Lehrerin, die wusste, dass aus mir nie ein Musikus wird, pflegte ein Credo: „Musik ist dann gut, wenn sie dich berührt - nicht, wenn du sie erklären kannst.“ Dieser Satz flimmert mir an diesem Abend wie ein Laufband durch den Kopf. Denn das tut der Bach-Chor. Er berührt. An einem Adventsabend mitten in einer Zeit, von der Geschichtsbücher später mal schreiben werden, dass sie ganz sicher zu den unruhigsten gehört hat. Kriege, Krisen. Despoten, Diktatoren. Flucht, Vertreibung. Und dazu die so ganz alltäglichen Probleme jedes Einzelnen von uns.

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Ein wunderbarer Zyklus

Der Chor singt sich durch den Zyklus „Verwandelte Nacht“ des Komponisten Michael Schultheis, der selbst auch im Bachchor singt und im wahren Leben Studienrat am Hildegardis-Gymnasium ist. Ausgehend von den Melodien bekannter Werke wie „Machet die Tore weit“, „Freude, große Freude“, oder „Hodie Christus natus est“ werden von Schultheis dabei neue melodische Interpretationen und Verflechtungen entwickelt und unerwartete Abzweigungen genommen. Manches ist nah am Original, anderes irgendwie unerwartet neu.

Als der letzte Ton nach einer Stunde verhallt, setzt quasi ein Klatsch-Zyklus ein. Minutenlang. Laut und dankbar. Man sieht ein Lächeln in jedem der vielen Chor-Gesichter. Stunden der Arbeit, der Proben und der Abstimmung - jetzt ist das alles logisch und reif. Und in Reihe zwei auf der Empore breitet sich eine Ahnung in mir aus. Ich werde wieder hingehen. Und wenn nicht zum Bachchor, dann zu einem der vielen guten Chöre in dieser Stadt.

Blick über den Tellerrand

Gerade erst hatte die „Heiderose“, einer der traditionsreichsten und der größte Männerchor dieser Stadt, ihr Weihnachtskonzert in der Johanniskirche am Markt gespielt. Und wie sehr der Zauber und die Kraft dieses Chores aus der Boelerheide die Zuhörer bannt, zeigte sich daran, dass auch hier „ausverkauft“ galt. Chormusik lebt. In Nächten wie diesen.