Hagen. Zwei Hagener Konzertchöre und das Philharmonische Orchester Hagen führen eine Haydn-Messe auf. Klappt das Großprojekt ohne Ruckeln?
Das Kyrie kommt wie eine klingende Wand aus dem Nichts. „Herr, erbarme dich“, singt der Chor, und kein Zweifel, die Sängerinnen und Sänger meinen das ernst. Selten wird Gott musikalisch so inbrünstig und flehentlich angerufen, wie der Komponist Joseph Haydn es in seiner „Messe in Zeiten der Bedrängnis“ tut, Haydns musikalischer Reflexion der verheerenden napoleonischen Kriege in Europa. Der Hagener Generalmusikdirektor Joseph Trafton realisiert mit dem Philharmonischen Orchester, dem Philharmonischen Chor und dem Bach-Chor im letzten Sinfoniekonzert der Spielzeit eine ungewöhnlich dichte und emotionale Interpretation des Werks.
Düstere Paukenschläge leiten die Antikriegsmesse ein, und Joseph Trafton verzettelt sich nicht in getragenen Tempi, wie das bei diesem Opus so viele Dirigenten tun. Er lässt das Werk vielmehr mit forschem Puls spielen und liest geschickt das Theatralische und Dramatische aus der Missa in Angustiis heraus, die Soprankoloraturketten, welche das Kyrie mit himmlischem Glanz aufhellen, das Credo mit dem leuchtenden Orchesterklang, das Et resurrexit mit seinen Trompetenfanfaren und das Benedictus mit seiner schönen klassischen instrumentalen Einleitung. Als Haydn 1798 die „Messe in Zeiten der Bedrängnis“ schrieb, war Mozart schon sieben Jahre tot; Beethoven hatte bereits seinen Unterricht bei Haydn beendet und schrieb an seinen ersten Sinfonien.
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Beide Hagener Chöre singen großartig und mit guter Intonation, dazu kommt ein stimmstarkes Solistenquartett mit Dorothea Brandt (Sopran), Rena Kleifeld (Alt), Ulrich Cordes (Tenor) und Jens Hamann (Bass). Die Chöre meistern viele komplizierte Einsätze beachtlich; allerdings wünscht man sich für solche Großprojekte doch einige Proben mehr, damit auch die dynamische Balance zwischen Choristen, Solisten und Orchester besser abgestimmt werden kann.
Überwältigender Appell
Der Schluss kommt dann so überwältigend wie der Beginn. Dona nobis pacem: Der Chor flüstert es beinahe. Und dann der große Aufschrei: Gib uns Frieden! Lieber Gott, lass endlich Frieden werden.
Antonin Dvoraks Sinfonie Nr. 8 bildet den zweiten Programmteil. Dabei handelt es sich um eine Pastorale – die Joseph Trafton allerdings gründlich gegen den Strich bürstet. Denn er zerlegt die üblicherweise als unbeschwert gerühmte Komposition in kontrastierende Abschnitte, die zwischen Idylle und Abgrund schwanken, zwischen Poesie und Albtraum. Die Vorlage liefert die Einleitung zum ersten Satz, eine kurze mollgetrübte Phrase, die bei Trafton zu einem Choral mit leuchtenden Farben wird.
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Die Holzbläser haben viel zu tun, sie steuern die zahlreichen Melodien im Volkston bei, die Dvorak zunehmend auch in seine Orchesterwerke integriert und welche die „Achte“ so populär machen. Annette Kern an der Soloflöte lässt die vogelrufartigen Dreiklänge in die Höhe schweben, die das Stück ebenso prägen wie die Sehnsuchtsmotive der Hörner. Im langsamen Satz steigert die musikalische Faktur zu einem Waldweben mit paukenbewehrten drohenden Untertönen. Bei dieser Interpretation gibt es im Detail für den Hörer viel zu entdecken, zum Beispiel wie dieses Umkippen der Stimmung funktioniert, wie sich ein samtiger, gut ausgehörter Streicherklang mit prägnantem Bassmotiv in eine drückende, gewittrige Atmosphäre verwandelt, wo die Flötenvögel nicht mehr fröhlich singen, sondern nervös und schrill zwitschern.
Federleichter Puls
Das Scherzo nimmt Trafton mit seinen Musikern wirklich wie in der Partitur vorgeschrieben grazioso, also mit federleichtem tänzerischem Puls. Und dann das Finale: Immer wieder verwandeln sich die so harmlosen Volksliedmotive in düstere Klangwolken, aus Vogelrufen und heller Freude wird ein unheimlicher Geistermarsch.
Das Publikum ist tief beeindruckt und bedankt sich mit langem Beifall im Stehen.