Hagen. Sanierungs- und Bebauungsplan für das attraktive, 62.000 Quadratmeter große Areal ziehen sich weiter hin. Vertrag und Investoren sind noch offen.
Die Natur verliert in diesen Herbsttagen auf der Varta-Insel in Hagen-Wehringhausen schleichend ihre Vitalität und rüstet sich für die dunklen Wintermonate. Jeden Tag verändert sich die Färbung der Blätter des immer opulenter sprießenden Grüns auf der 62.000 Quadratmeter großen Brachfläche – lediglich die Stille über dem Gelände ist stetig gleich. Als am 23. März 2012 mit dem Abriss der letzten Varta-Produktionshallen der Startschuss für den Bau der 65 Millionen Euro teuren Bahnhofshinterfahrung fiel, war dies zugleich der Beginn eines Prozesses, das mit Giftstoffen durchsetzte Industrieareal in eine wieder vermarktbare Gewerbefläche zu verwandeln.
Das ist inzwischen sagenhafte 4616 Tage her. Die Bahnhofshinterfahrung ist längst fertig, aber auf der Varta-Insel haben bis heute nicht einmal die Sanierungsarbeiten begonnen. Lediglich der Schutt der Produktionshallen wurde beseitigt, ein Anschluss an den Kreisel Kuhlestraße geschaffen und ein stählerner Zaun errichtet. Seitdem sorgt das sprießende Grün dafür, dass vor einem möglichen ersten Spatenstich schon wieder flächige Rodungsaktionen erledigt werden müssen.
Die Rolle des AAV
Sind Boden und Grundwasser verunreinigt, entstehen Gefahren für Mensch und Umwelt. Um diese abzuwehren, wurde der „AAV – Verband für Flächenrecycling und Altlastensanierung“ in Nordrhein-Westfalen 1988 per Gesetz gegründet. Als Pflichtmitglieder gehören ihm das Land Nordrhein-Westfalen und seine Kommunen an.
Zudem haben sich zahlreiche Unternehmen dem Verband angeschlossen und profitieren vom Know-how und Erfahrungen im Umgang mit Boden- und Grundwasserbelastungen. Diese erfolgreiche Partnerschaft von privater Wirtschaft und öffentlicher Hand ist bundesweit einzigartig.
Zu den Kernkompetenzen des AAV gehören das Flächenrecycling bei vorgenutzten Standorten wie Industriebrachen sowie die Sanierung von Altlasten, für die ein Verursacher nicht in die Pflicht genommen werden kann. So wurde der AAV in Hagen zuletzt auch bei der Entstehung der Bahnhofshinterfahrung vorzugsweise im Bereich Plessenstraße tätig. Den Verbandsmitgliedern steht ein interdisziplinäres Team bei Fragen der Altlastensanierung und des Flächenrecyclings beratend zur Seite – für einen Erfahrungsaustausch oder für konkrete fachliche und rechtliche Hilfestellungen.
Mehr als 100 Projekte wickelte der AAV seit seiner Gründung ab. In aller Regel ist der AAV dabei Maßnahmenträger und bringt auch den größten Teil der notwendigen Mittel auf (bis zu 80 Prozent).
Voruntersuchungen zu den Altlasten
Immerhin liegen inzwischen die Ergebnisse einer umfassenden Voruntersuchung zu den Altlasten vor. Diese hatte im Oktober vergangenen Jahres endlich begonnen, nachdem der Verband für Flächenrecycling und Altlastensanierung (AAV), die Hagen-Areal GmbH (vormals HIG/Hagener Industrie- und Gewerbeflächen GmbH) sowie die Stadt Hagen bereits im Mai 2022 eine entsprechende vertragliche Vereinbarung unterzeichnet hatten. Als es dann stolze 17 Monate später tatsächlich losging, sprachen die drei Partner von einem „Meilenstein auf dem Weg zur Entwicklung eines neuen Industrie- und Gewerbeparks“.
Dabei war allen klar: Unter den Beton-Platten und Asphaltschichten, die die Fläche zurzeit noch vor Auswaschungen schützen, schlummern die Gifte aus Jahrzehnten Batterieproduktion. „Der Bleianteil im Boden ist in einigen Bereichen exorbitant hoch“, ahnte Dr. Ernst-Werner Hoffmann (AAV) schon damals, dass die Sanierung einen siebenstelligen Betrag verschlingen werde. Und Oberbürgermeister Erik O. Schulz baute mit Blick auf die Zeitachse vor: „Man braucht einen langen Atem. Solche Flächen können nicht von heute auf morgen reaktiviert werden.“
Ende 2023 waren die ersten Untersuchungen, mit der der AAV die Firma Arcadis Germany GmbH beauftragt hatte, weitgehend abgeschlossen. Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl im unterirdischen Grabensystem als auch im Grundwasser Kontaminierungen vorliegen, die es zu beseitigen oder zu isolieren gilt: „Es handelt sich insbesondere um teils massive Belastungen mit Blei und Antimon sowie polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen“, teilt jetzt die Stadt Hagen auf eine Anfrage der Stadtredaktion mit.
Artenschutzprüfung wird vertieft
Parallel zu diesen Analysen wurde ebenfalls eine Artenschutzprüfung durchgeführt. Diese muss angesichts der Vielfalt der Ergebnisse noch erweitert werden, um die vorhandenen Tierarten tiefergehend zu analysieren, kündigt die Stadtverwaltung an: „Dabei sind umfangreiche Kartierungen von Fledermäusen, Horst- und Höhlenbrütern, Brutvögeln, Reptilien und Haselmäusen erforderlich.“ Aufgrund der ersten Beobachtungen werden hier Vorkommen von 11 Fledermausarten, 27 Brut- und Rastvogelarten, der Schlingnatter und der Haselmaus erwartet.
„Dabei sind umfangreiche Kartierungen von Fledermäusen, Horst- und Höhlenbrütern, Brutvögeln, Reptilien und Haselmäusen erforderlich.“
Dabei dürfte vor allem die Kartierung der Fledermausvorkommen im unterirdischen Grabensystem spannend werden, da dieses nicht begangen werden kann. Hierbei werden Kanalinspektionsdrohnen sowie Überwachungsgeräte eingesetzt, die die Fledermauslaute aufzeichnen. Die Kartierungen sollen im Mai 2025 abgeschlossen sein, sodass erst im Anschluss entschieden werden kann, welche Ersatzquartiere für die Tiere geschaffen werden müssen.
Wie am Ende der konkrete Sanierungsplan aussieht, erscheint zurzeit noch offen, weil dies zum einen von den naturschutzfachlichen Rahmenbedingungen, aber auch der geplanten Nachnutzung und Platzierung von Gebäuden, Straßen und Freiflächen abhänge, betont die Stadt. Das dazugehörige Bebauungsplanverfahren befinde sich jedoch im Rathaus bereits in der Vorbereitung. Insbesondere hinsichtlich des Hochwasserschutzes seien hier umfangreiche Betrachtungen und Abstimmungen erforderlich. Allerdings steht für die Planer schon heute fest: „Im Rahmen der Sanierung und Aufbereitung wird die Offenlegung des Grabensystems sowie der umfangreiche Aushub von kontaminiertem Bodenmaterial und Bauschutt aus verfüllten ehemaligen Kellern erforderlich.“
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Weiterer Zeitplan noch offen
Wann es damit konkret losgeht, steht allerdings weiterhin in den Sternen: „Ein öffentlicher Vertrag zwischen dem AAV, der Stadt Hagen und Hagen-Areal über die Durchführung der Sanierungs- und Aufbereitungsmaßnahme kann erst nach Abschluss des Bebauungsplanverfahrens geschlossen werden“, heißt es aus dem Rathaus. Das sei erst nach den naturschutzfachlichen Untersuchungen möglich.
Im Hagener Rathaus, das gemeinsam mit der Wirtschaftsförderung das Gelände vor drei Jahren erstmals auf der Münchener Immobilienmesse Expo Real präsentierte, gedenken die Verantwortlichen mit besonders langem Atem hier moderne Dienstleistungsunternehmen sowie hochwertige Büronutzungen ansiedeln zu können. Entsprechende Potenziale seien in fußläufiger Nähe zum Hauptbahnhof und mit bester Anbindung zu A1, A45 und A46 sowie zur Infrastruktur der Innenstadt durchaus gegeben. Zudem könne eine entsprechende Qualität der Arbeitsplätze das Szene-Quartier Wehringhausen strukturell positiv befruchten.
Der dazu erforderliche Bebauungsplan zur Nutzung der Fläche, so der bisherige Kurs der Stadt, solle idealerweise gemeinsam mit konkreten Investoren entwickelt werden. Wobei die eigentliche Vermarktung der Flächen ja ohnehin erst nach der Sanierung und Aufbereitung für die höherwertige gewerbliche Nutzung erfolgen kann.
Zum Hintergrund: Das Varta-Insel-Gelände, auf dem bis 1880 eine industrielle Großschmiede stand, wurde ab Ende des 19. Jahrhunderts für die industrielle Batteriefertigung durch die AFA Accumulatoren-Fabrik AG genutzt. Diese firmierte im Jahr 1962 um in die Varta Aktiengesellschaft. Nach verschiedenen Eigentümerwechseln wurde die Produktion auf dem Standort 2005 eingestellt und das Gelände liegt seitdem brach. 2011 begann der Abriss der letzten vorhandenen Gebäude, Keller wurden verfüllt und unversiegelte Bereiche mit einer Asphaltdecke versehen. Damit sollte verhindert werden, dass der womöglich belastete Untergrund durch Regenwasser ausgespült wird, und die möglichen Giftstoffe in die Ennepe abfließen.