Hohenlimburg. Er kennt noch die 54-Stunden-Woche: Andreas Florenz arbeitet seit 50 Jahren bei der Firma Vogelsang in Hohenlimburg. Was er in der Arbeitswelt heute vermisst:

Als Andreas Florenz zum ersten Mal an der Werkbank der Firma Jörg Vogelsang stand, reckte der junge Fußballer Franz Beckenbauer den Weltmeister-Pokal in die Höhe, hieß der Bundeskanzler Willy Brandt und war Hohenlimburg noch eine eigenständige Stadt. Das ist lange her - 50 Jahre, um genau zu sein.

Der „Kaiser“ Franz Beckenbauer ist in diesem Jahr gestorben, Willy Brand längst kein Bundeskanzler mehr und Hohenlimburg heute ein Stadtteil von Hagen. Doch Andreas Florenz steht immer noch an den Werkbänken des metallverarbeitenden Betriebes aus Hohenlimburg, der Produkte für die Automobilindustrie fertigt. Wenn er von der Arbeitswelt seiner Jugend erzählt, klingt es heute, als beschreibe er einen anderen Planeten.

„Man muss heutzutage Glück haben, wenn eine Bude überhaupt so lange besteht.“

Andreas Florenz, Werkzeugbauer, arbeitet seit 50 Jahren bei der Firma Jörg Vogelsang in Hohenlimburg

In die Lehre mit 14 Jahren

Dabei nimmt der dienstälteste Arbeiter im Hause sein 50. Jubiläum eher nüchtern zur Kenntnis. „Man muss heutzutage Glück haben, dass so eine Bude überhaupt so lange besteht.“ Keine Frage, in den fünf Jahrzehnten hat er nicht nur Höhen im Hause erlebt, sondern auch Tiefen wie Kurzarbeit und Auftragsflauten. Florenz blieb und tat das, was er seit der Jugend immer gerne tat. Nach dem Abschluss an der Hauptschule in Hohenlimburg trat er mit 14 Jahre eine Lehre als Werkzeugbauer bei der Firma Vogelsang an.

Die Firma Jörg Vogelsang hat ihre Werkshallen seit Ende der 1980er in einem Gewerbegebiet im Lennetal. Das Unternehmen liegt an der Spannstiftstraße - damals bewusst benannt nach dem bekanntesten Hauptprodukt des Betriebes.
Die Firma Jörg Vogelsang hat ihre Werkshallen seit Ende der 1980er in einem Gewerbegebiet im Lennetal. Das Unternehmen liegt an der Spannstiftstraße - damals bewusst benannt nach dem bekanntesten Hauptprodukt des Betriebes. © Westfalenpost | Marcel Krombusch

„Babyboomer“-Generation

Während Unternehmen junge Auszubildende heute mit Firmenhandys, Fitnesscenter und flexiblen Arbeitszeiten locken müssen, waren Ausbildungsplätze damals begehrt. Es waren schließlich geburtenstarke Jahrgänge, die da auf den Arbeitsmarkt strömten. Zur Erinnerung: In den 1950er und 1960ern wurden mehr als eine Million Babys geboren - pro Jahr. Zu dieser „Babyboomer“-Generation gehörte auch Andreas Florenz. Er habe damals Glück gehabt, erzählt der Hohenlimburger. Er habe mehrere Angebote gehabt, hätte zum Beispiel auch bei Hoesch anfangen können. Doch ein Freund des Vaters lotste ihn in den Betrieb, dem er 50 Jahre die Treue halten sollte.

Andreas Florenz (rechts) ist mit fünf Jahrzehnten der dienstälteste Mitarbeiter bei der Firma Jörg Vogelsang in Hohenlimburg. Sein Vorgesetzter Torsten Robbert (links) kam erst viele Jahre nach ihm in den Betrieb. Auch Vogelsang-Chef Ulrich Flatken ist erst seit 28 Jahren im Unternehmen.
Andreas Florenz (rechts) ist mit fünf Jahrzehnten der dienstälteste Mitarbeiter bei der Firma Jörg Vogelsang in Hohenlimburg. Sein Vorgesetzter Torsten Robbert (links) kam erst viele Jahre nach ihm in den Betrieb. Auch Vogelsang-Chef Ulrich Flatken ist erst seit 28 Jahren im Unternehmen. © WP Hagen | Marcel Krombusch

Gesellen zugeteilt

Die Grundausbildung trat er in einer Lehrwerkstatt der Handelskammer an. Florenz lernte zu fräsen, zu drehen, zu sägen, das Einmaleins im technischen Handwerk eben. Er habe gute Ausbilder gehabt, sagt er heute. In den Werkshallen der Firma Vogelsang wurde er einem Gesellen zugeteilt, der dem jungen Lehrling sagte, was er zu tun hat. „Schritt für Schritt bekam ich immer mehr Aufgaben.“ Nach dreieinhalb Jahren war die Ausbildung abgeschlossen. Die ersten Jahre danach waren prägend. „Das war für mich eine entscheidende Zeit, weil ich dann auf mich allein gestellt war.“

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Arbeitsvertrag „per Handschlag“

Ende der 1970er wuchs er in eine Arbeitswelt hinein, die an vielen Stellen aus heutiger Sicht befremdlich wirkt. Arbeitsvertrag nach der Lehre? Gab es noch nicht, besiegelt wurde damals „per Handschlag“. Arbeitszeit? Montags bis samstags, 54-Stunden-Woche. In der Woche wurde von 6 Uhr bis 14.30 Uhr gearbeitet, oft blieb man aber länger und hat Überstunden gemacht, sagt Florenz. „Es gab immer viel Arbeit und ich wollte auch viel Geld verdienen für mein Hobby“, sagt der leidenschaftliche Motorsportler.

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An 35-Stunden-Woche gewöhnen

Nicht nur positiv blickt er daher auch auf den Kampf der Gewerkschaften um eine Verkürzung der Arbeitszeit. „Als die 35-Stunden-Woche kam, musste ich mich erst mal umstellen.“ Schließlich lief sein Leben zuvor mehrere Jahre im festen Rhythmus einer 54-Stunden-Woche. In guter Erinnerung hat er bis heute die Kollegialität, die damals in der Belegschaft herrschte. „Jeder kannte jeden“. Heute sei die Fluktuation bei den Mitarbeitern im Betrieb höher, viele Leute habe er kommen und gehen sehen.

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Wertvolle Erfahrungen

Manches sei heute aber auch besser als früher, zum Beispiel die Arbeitssicherheit. Ohne Schutzbrille an der Fräse? Damals oft gesehen. Ohne Gehörschutz an Maschinen arbeiten? In den ersten Jahren kein großes Problem. Beides ist heute undenkbar. „Wenn es um Themen wie Arbeitssicherheit und Gesundheit geht, hat sich die Arbeitswelt heute zum Besseren verändert“, weiß auch Ulrich Flatken, Geschäftsführer bei der Firma Vogelsang.

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Er kam in den Betrieb, da arbeitete Florenz schon mehr als zwei Jahrzehnte an der Werkbank. Flatken schätzt die langjährige Erfahrung der alten Garde in seiner Belegschaft. „Das Wissen der Alten zu ersetzen, ist sehr schwierig. Deswegen haben wir auch einige, die über das Rentenalter hinaus weiter bei uns arbeiten.“

Ulrich Flatken (links, Geschäftsführer der Firma Jörg Vogelsang) gratuliert seinem dienstältesten Mitarbeiter Andreas Florenz zu 50 Jahren im Betrieb. 
Ulrich Flatken (links, Geschäftsführer der Firma Jörg Vogelsang) gratuliert seinem dienstältesten Mitarbeiter Andreas Florenz zu 50 Jahren im Betrieb.  © WP Hagen | Marcel Krombusch

Ruhestand in diesem Jahr

Andreas Florenz gehört nicht dazu. Aus gesundheitlichen Gründen wird der 64-Jährige in wenigen Monaten in den Ruhestand gehen. Ein Verlust für die Firma, weiß sein Chef. „Jedes Mal, wenn jemand geht, der so lange im Betrieb war, verlieren wir an Erfahrung.“