Hagen. Die deutsche Wirtschaft wird abgehängt, sagen ihre Führungsfiguren. Beim Hagener Weltunternehmen Waelzholz spricht man Klartext.

„Die deutsche Wirtschaft wird abgehängt“. Der Satz hallt durchs ganze Land nach. Er stammt aus einem Schreiben an Kanzler Scholz. Die Absender: Die Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, des Bundesverbands der Deutschen Industrie, der Deutschen Industrie- und Handelskammer und des Zentralverbands des Deutschen Handwerks. Nun ist man beim weltweit führenden Kaltwalzer C.D. Waelzholz in Hagen meilenweit davon entfernt, abgehängt zu sein. Aber: Auch das Hagener Unternehmen steht vor großen Herausforderungen wie der weltweiten Blockbildung und Einschränkungen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Den wirtschaftlichen „Wahnsinn“, der aus Sicht eines mitten in Europa beheimateten Unternehmen gerade vor sich geht, vermögen Dr. Heino Budenberg (Vorsitzender der Geschäftsführung) und Michael Bösebeck (Prokurist) einzuordnen. Ein lokales Gespräch über die Weltlage mit seismographischer Wirkung.

Wenn diese Zeitung zuletzt über Waelzholz berichtet hat, dann ging es vorzugsweise darum, ob ein neuer Elektrobandofen für 110 Millionen Euro gebaut wird und ob das in Hagen oder woanders geschieht. Ist das noch aktuell?
Heino Buddenberg:
Das Produkt Elektroband ist für unser Unternehmen von großer Bedeutung und Investitionen in innovative Technik zentraler Bestandteil unserer Unternehmensstrategie. Der Markt für Elektromobilität in Europa verzeichnet derzeit allerdings nicht die prognostizierte Geschwindigkeit und das ist unter anderem ein Grund dafür, dass der Absatz in der Branche hinter unseren Erwartungen zurückbleibt. In China sieht das anders aus, hier gibt es ein starkes Wachstum. Auch bedienen sich einige Automobilhersteller aktuell vermehrt aus Asien – und das aus nachvollziehbaren Gründen: CO2-Preise, hohe Tarifabschlüsse, Überregulierungen und Auflagen führen dazu, dass der europäische Markt sich nicht so entwickelt, wie man es antizipiert hat. Deutschland hat durch die überbordende Kostenbelastung insgesamt ein hohes Deindustrialisierungsrisiko. Das haben die Unternehmen der Politik auch immer so gesagt. Es wurde aber immer beschwichtigt.

Michael Bösebeck ist Prokurist bei Waelzholz.
Michael Bösebeck ist Prokurist bei Waelzholz. © WP Michael Kleinrensing | Michael Kleinrensing

Das beantwortet nicht die Frage nach der Ofen-Investition.
Heino Buddenberg:Sie steht aufgrund der genannten Entwicklungen auf dem Prüfstand. Derzeit beobachten wir die Marktsituation und die Entwicklung der Nachfrage nach dünnem Elektroband sehr genau. Und wenn in China asiatische Automobilproduzenten stärker als europäische gefördert werden, dann wird die Marktversorgung noch schwieriger. Das ist aber offen gestanden nicht unsere einzige Herausforderung.

Sondern?
Michael Bösebeck: Die große Herausforderung besteht derzeit darin, international wettbewerbsfähig zu bleiben - auch vor dem Hintergrund der Blockbildung. Unsere Welt teilt sich aktuell in vier Blöcke: Den USMCA-Bereich – also Kanada, USA und Mexiko -, China, Südostasien und Europa. Und Europa steht von allen am stärksten unter Druck, da Unternehmen unter anderem durch die zahlreichen Richtlinien des EU-Green-Deals zu Themen wie Menschenrechte, Demokratie, Nachhaltigkeit und Klimapolitik eine Menge abverlangt wird. Hinzukommt, dass die politische Umsetzung bisher wenig erfolgreich ist und wir als Unternehmen parallel unser eigentliches Kerngeschäft erfolgreich gestalten müssen.

Die große Herausforderung besteht derzeit darin, international wettbewerbsfähig zu bleiben - auch vor dem Hintergrund der Blockbildung. Unsere Welt teilt sich aktuell in vier Blöcke: Den USMCA-Bereich – also Kanada, USA und Mexiko -, China, Südostasien und Europa. Und Europa steht von allen am stärksten unter Druck,
Michael Bösebeck, Prokurist bei Waelzholz.

Ertrinken sie hierzulande in Regulierungen und Auflagen?
Michael Bösebeck: Nun, in meiner Arbeitszeit beschäftige ich mich zu mehr als 80 Prozent mit Themen wie Antragsverfahren, Regulierungen, Beihilfen, Strompreiskompensationen, Spitzenausgleichen oder der „Mittelfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung“ – das heißt wirklich so. Das sind nur einige Beispiele und ehrlich gesagt völliger Wahnsinn.

Die zahlreichen Regulierungen verschlechtern also unmittelbar die internationale Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Mittelstands?
Heino Buddenberg: In ihrer aktuellen Ausgestaltung, ja. Wir sind auf die internationalen Märkte angewiesen und die Amerikaner machen uns vor, wie es geht. Sie haben ihren CO2-Ausstoß deutlich verringert und sie investieren, während wir mit Schuldenbremsen arbeiten. Das ist ehrenwert, hilft aber nicht zu wirtschaftlicher Prosperität. Hinzukommt, dass die freien Handelsbeziehungen durch die geopolitischen Entwicklungen der letzten Jahre mehr denn je gefährdet sind. Das alles spüren wir im Mittelstand: So sind unsere Absatzmengen im Vergleich zu unserem besten Geschäftsjahr 2017/2018 deutlich zurückgegangen.

Michael Bösebeck: Die europäische Klimaschutzpolitik und untaugliche Ausgleichsmechanismen wie CBAM untergraben die internationale Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Unternehmen. Die Folgen sind bereits spürbar. So wird beispielsweise ein deutscher Automobilzulieferer seine Produktion zukünftig nach Serbien verlagern und Elektroband von dort beziehen - und eben nicht mehr von uns.

Markus Pieper (Euopaparlamentarier, recht), und Waelzholz-Geschäftsführer Heino Buddenberg bei einer Werksbesichtigung.
Markus Pieper (Euopaparlamentarier, recht), und Waelzholz-Geschäftsführer Heino Buddenberg bei einer Werksbesichtigung. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Trotz der genannten Herausforderungen treten sie ja nicht auf der Stelle, sondern investieren.

Heino Buddenberg: Richtig. Wir bekennen uns zu unserer klimapolitischen Verantwortung im Sinne des Pariser Abkommens und haben deshalb die Transformation des Unternehmens eingeleitet und viele für uns wichtige Meilensteine erreicht.

Dazu gehört?

Heino Buddenberg: So haben wir die ersten Verträge über die Lieferung von CO2-reduziertem Bandstahl abgeschlossen. Seit Ende 2023 können wir einzelnen Kunden Produkte mit einem um 60 Prozent reduzierten „Product Carbon Footprint (PCF)„ im Vergleich zum Referenzjahr 2018 liefern. Das entspricht einer durchschnittlichen Reduzierung von mehr als 2000 Kilogramm CO2 pro gelieferter Tonne Bandstahl.

Hinzukommt, dass die freien Handelsbeziehungen durch die geopolitischen Entwicklungen der letzten Jahre mehr denn je gefährdet sind. Das alles spüren wir im Mittelstand: So sind unsere Absatzmengen im Vergleich zu unserem besten Geschäftsjahr 2017/2018 deutlich zurückgegangen.
Dr. Heino Buddenberg, technischer Geschäftsführer des Unternehmens Waelzholz

Michael Bösebeck: Maßnahmen zur Reduzierung des Fußabdrucks sind wenig wert, wenn der produktbezogene Fußabdruck nicht zuverlässig ermittelt und transparent nachgewiesen werden kann. Deshalb haben wir bei Waelzholz ein Verfahren entwickelt, mit dem wir den Fußabdruck all unserer Produkte exakt berechnen können. Die Basis dafür bildet unser System für Ressourcenplanung , das sämtliche Energiedaten und CO2-Emissionen digital erfasst.

Heino Buddenberg: Darüber hinaus haben wir Anfang dieses Jahres freiwillig unseren ersten Nachhaltigkeitsbericht für das Geschäftsjahr 2022/2023 veröffentlicht - in Vorbereitung auf die Berichtspflicht ab 2026. Das hat erhebliche personelle und finanzielle Ressourcen in Anspruch genommen und ist daher nicht zu unterschätzen. Ich kann mir daher nicht vorstellen, wie ein kleineres mittelständisches Unternehmen diese Anforderungen umsetzen will.

Sie gehörten zuletzt lokal mit zu den Vordenkern, was eine künftige Wasserstoffversorgung angeht. Wo stehen ihre Überlegungen?

Heino Buddenberg: Unser Ziel ist es, für alle Wärmeprozesse in der Produktion Erdgas durch Wasserstoff zu ersetzen. Daher beteiligen wir uns als energieintensives Unternehmen auch am Projekt „Zukunft RuH2r“. Von einer geeigneten Infrastruktur für die Produktion von grünem Wasserstoff im industriellen Maßstab sind wir jedoch noch weit entfernt. Hierfür wäre eine gezielte staatliche Förderung notwendig. Der Bau eines eigenen Elektrolyseurs kommt für uns nicht in Frage. Das liegt völlig außerhalb unserer Möglichkeiten. Bis ausreichende Mengen an grünem Wasserstoff zur Verfügung stehen, muss die Versorgung mit Erdgas zu wirtschaftlich vertretbaren Konditionen unbedingt sichergestellt sein.

Der Waelzholz-Stammsitz im Hagener Lennetal.
Der Waelzholz-Stammsitz im Hagener Lennetal. © FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Michael Bösebeck: Beim Stromverbrauch setzen wir auf Herkunftsnachweise. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, unseren Stromverbrauch bis 2030 vollständig zu dekarbonisieren. Beim Rohstoffeinkauf wollen wir die Emissionen bis 2030 um 30 Prozent senken. An Erdgas als Energieträger führt bis 2030 kein Weg vorbei. Doch für die Elektrifizierung bestimmter Prozesse wollen wir uns befähigen, größere Strommengen aufnehmen zu können. Dazu sind wir mit der Enervie im engen Austausch und haben ein umfassendes Projekt gestartet. Die dafür veranschlagte Genehmigungs- und Bauzeit beträgt vier bis sieben Jahre.

Energie, Auflagen, Produktentwicklung, Innovation. Das ist die technische Seite ihres Unternehmens. Die andere ist die menschliche mit rund 1200 Mitarbeitern am Standort Hagen. Wie leicht fällt es ihnen, für dieses spezielle industrielle Feld neue Mitarbeiter zu finden.

Heino Buddenberg: Wir stehen da vor mehreren Herausforderungen. In diesem Jahr haben wir in der Tat Schwierigkeiten, die 30 verfügbaren Stellen für Auszubildende am Standort Hagen zu besetzen. Die Frage ist, reicht die Anzahl an ausbildungswilligen Menschen nicht mehr aus oder gibt es nicht mehr genug Menschen, die im Schichtsystem und am Wochenende arbeiten wollen? Die Work-Life-Balance spielt eine deutlich größere Rolle als noch vor drei Jahren. So haben wir beispielsweise konjunkturbedingt einen Betrieb so umgestellt, dass dort nur noch an Werktagen produziert wird. Das kam in der Belegschaft gut an. Doch wenn das am Ende dafür sorgt, dass der Kunde sich einen neuen Lieferanten sucht, wird es kritisch. Insgesamt haben sich die Umstände und die Haltung potenzieller Arbeitnehmer hier verändert. Vor zehn Jahren waren die Menschen an den Zuschlägen für Wochenendschichten sehr interessiert. Heute ist das anders. Waelzholz arbeitet jedoch daran, als Arbeitgeber weiter attraktiv zu bleiben. Deshalb ist es uns schlussendlich immer gelungen ausgeschriebene Stellen auch zu besetzten. Wir hoffen, dass uns das zukünftig weiterhin gelingen wird.