Essen. Unruhe bei Thyssenkrupp: Beschäftigte ziehen wieder vor die Villa Hügel. Verhandlungen zu HKM laufen. „Stunde der Wahrheit“ erwartet.
Am Dienstagmorgen war das Gelände der Villa Hügel vorübergehend geschlossen – zumindest für „Individualbesucher“, wie es am Pförtnerhaus hieß. Denn einige Stahlbeschäftigte hatten sich schon zu früher Stunde auf den Weg zur Krupp-Stiftung gemacht, die ihren Sitz auf dem Essener Hügel-Areal oberhalb des Baldeneysees hat. Schon im Juni hatten Stahl-Beschäftigte der Großaktionärin von Thyssenkrupp einen Besuch abgestattet, um vor der Industriellenvilla für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze zu demonstrieren. Diesmal nahmen sie den Todestag von Berthold Beitz zum Anlass, erneut ein Zeichen zu setzen.
„Wir erinnern uns gerne an Berthold Beitz“, sagt Dzenan Kurspahic, der Geschäftsführer des Gesamtbetriebsrates von Deutschlands größtem Stahlkonzern Thyssenkrupp Steel. Beitz sei den Arbeitnehmervertretern „respektvoll und auf Augenhöhe begegnet“, und er habe „in schwierigen Zeiten immer auch zwischen der Belegschaft und dem Vorstand vermittelt“. Eine ähnliche Rolle wünschen sich die Arbeitnehmervertreter nun von der Beitz-Nachfolgerin Ursula Gather.
Krupp-Stiftung an der Seite von Konzernchef López
Die Krupp-Stiftung hat bislang keinen Zweifel daran gelassen, dass sie den umstrittenen Kurs von Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López unterstützt. Am 26. April, als sich López zum Einstieg des tschechischen Geschäftsmanns Daniel Kretinsky zu Wort meldete, zeigte sich die Krupp-Stiftung erfreut und signalisierte dem Konzernchef Rückendeckung. Sie habe „großes Vertrauen in den Vorstand um Miguel López“, erklärte die Großaktionärin in einer Mitteilung.
Zum Gedenken an Beitz legten die Stahl-Beschäftigten vor der Villa Hügel am Dienstag einen Kranz nieder. 1952 wurde Beitz Generalbevollmächtigter des Unternehmers Alfried Krupp von Bohlen und Halbach und baute die Firma Krupp wieder auf. Ab 1970 war Beitz Aufsichtsratsvorsitzender im Krupp-Konzern, seit 1989 bis zu seinem Tod Ehrenvorsitzender. Vor elf Jahren, am 30. Juli 2013, starb der Konzern-Patriarch im Alter von 99 Jahren. Zur Trauerfeier sprach der damalige Bundespräsident Joachim Gauck auf dem Hügel. „Ich wünsche mir, dass viele Menschen sagen: Wir setzen fort, was er begonnen hat“, sagte Gauck.
Bärbel Bas: „Die Krupp-Stiftung ist zu leise“
Dieser Tage werden Rufe laut, die Krupp-Stiftung möge sich angesichts der Konzernkrise aktiver im Sinne der Beschäftigten von Thyssenkrupp einbringen. „Die Krupp-Stiftung ist zu leise“, sagte unlängst Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. „Es wäre gut, wenn sie ihren Einfluss auf den Thyssenkrupp-Vorstand nutzen würde, um die Interessen der Arbeitnehmer durchzusetzen“, betonte die SPD-Politikerin aus Duisburg in der „Rheinischen Post“ und verwies auf die erste Kundgebung von Stahl-Beschäftigten vor der Villa Hügel.
Nun also zogen erneut Mitarbeiter zum Gelände der Krupp-Stiftung – ausgerechnet an einem historischen Tag. Der 30. Juli ist auch der Todestag des Stifters Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, der vor 57 Jahren starb. Mit seinem Tod ging das gesamte Privat- und Firmenvermögen des letzten persönlichen Alleininhabers der Firma Krupp auf die gemeinnützige Stiftung über. Vorsitzender des Stiftungskuratoriums und des Vorstandes wurde sein bisheriger Generalbevollmächtigter und Testamentsvollstrecker Berthold Beitz, der bis zu seinem Tod am 30. Juli 2013 die Stiftung führte.
Im Oktober 2013 übernahm die Mathematikerin und damalige Rektorin der Technischen Universität Dortmund, Ursula Gather, den Vorsitz des Kuratoriums. Mit 21 Prozent ist die Krupp-Stiftung die größte Einzelaktionärin des krisengeschüttelten Thyssenkrupp-Konzerns. Ursula Gather hat auch einen Sitz im Aufsichtsrat des Konzerns.
„Stunde der Wahrheit“ bei Thyssenkrupp Steel erwartet
Seit Wochen ringen die Vorstände des Mutterkonzerns mit Miguel López an der Spitze mit der Konzernführung von Thyssenkrupp Steel um die Finanzierung des Stahlherstellers. Eine mit Spannung für den 29. Juli erwartete Aufsichtsratssitzung ist kurzfristig abgesagt worden. Ein entsprechendes Schreiben hat Sigmar Gabriel, der ehemalige Vizekanzler, der nun Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp Steel ist, vor wenigen Tagen verschickt. Eine neue außerordentliche Sitzung des Gremiums steht am 9. August an. Von einer „Stunde der Wahrheit“ sprechen Insider in diesem Zusammenhang.
Bei der Aufsichtsratssitzung soll es dem Vernehmen nach auch um Pläne für einen Verkauf der Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) gehen, an denen Thyssenkrupp Steel mit 50 Prozent beteiligt ist. Der Hütte, in der mehr als 3000 Menschen beschäftigt sind, droht nach Darstellung von Insidern die Schließung, sollte sich kein neuer Eigentümer für das Unternehmen finden.
Der zweitgrößte Anteilseigner der HKM ist der niedersächsische Stahlkonzern Salzgitter. Derzeit gebe es Gespräche dazu, wie die Kosten für die Neuaufstellung unter den beteiligten Unternehmen aufgeteilt werden könnten, heißt es in Konzernkreisen. Um betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden, müssen Thyssenkrupp und Salzgitter erhebliche Summen aufbringen.
Interessent für Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM)
Als Interessent für einen Erwerb von HKM gilt das Investmenthaus CE Capital Partners. Die Hamburger Firma hatte unlängst die Mülheimer Friedrich Wilhelms-Hütte übernommen und nach kurzer Zeit an das Münchener Rüstungsunternehmen Krauss-Maffei Wegmann weiterverkauft. Eine entscheidende Frage aus Sicht der Thyssenkrupp-Verantwortlichen ist, ob der mögliche Investor finanzstark genug ist, um HKM eine langjährige Perspektive zu bieten. Darüberhinaus müsse der Erwerber noch eine millionenschwere Mitgift erhalten, heißt es in Konzernkreisen.
Aus Sicht der HKM-Beschäftigten könnte sich in naher Zukunft die Frage stellen, was ihnen mehr Sicherheit bietet: eine Standort-Schließung mit Alternativ-Arbeitsplätzen im Thyssenkrupp-Konzernverbund oder ein Verkauf an einen Investor, der keine feste Größe in der Stahlbranche ist.
Das Ziel müsse ein „tragfähiges und langfristiges industrielles Konzept“ sein, „das die Hütte im Duisburger Süden in die Zukunft führt“, heißt es in einem Flugblatt der IG Metall für die HKM-Belegschaft. „Am Ende muss das gesamte Paket stimmen“, wird HKM-Betriebsratschef Marco Gasse in dem Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt, zitiert.
Tiefe Einschnitte bei Thyssenkrupp Steel abzusehen
Auch am Thyssenkrupp-Stahlstandort im Duisburger Norden zeichnen sich tiefe Einschnitte ab. Bislang sind die Anlagen von Deutschlands größtem Stahlkonzern auf eine Jahresproduktion von rund 11,5 Millionen Tonnen ausgelegt. Künftig sollen es lediglich neun bis 9,5 Millionen Tonnen sein. Es werde einen „noch nicht bezifferbaren Abbau von Arbeitsplätzen“ geben, hatte das Management von Thyssenkrupp Steel schon vor Wochen verkündet. Tausende Arbeitsplätze könnten wegfallen.
Nicht nur vor der Villa Hügel demonstrieren Beschäftigte, sondern auch vor den Werkstoren. Eine eilig geschmiedete „Flamme der Solidarität“ wird von Standort zu Standort getragen und soll zur Wochenmitte auch bei HKM im Duisburger Süden ankommen.
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