Hagen. Marc Keineke aus Hagen hat Muskelschwund. Eine Geschichte über Lebensmut und einen Mann, der sich von seiner Krankheit nicht aufhalten lässt:
„Ich lasse mein Leben nicht von der Behinderung beherrschen oder mich davon aufhalten.“ Marc Keineke lächelt. Ohne Zweifel kann man sagen, dass er ein Kämpfer ist. Ein Kämpfer, der sich immer seine positive Einstellung und den Lebensmut bewahrt hat, wo andere ihn vielleicht verloren hätten. Marc hat Muskeldystrophie. Kurz gesagt: Muskelschwund. „Meine Art der Muskeldystrophie zu bekommen - das ist ungefähr so wahrscheinlich, wie im Lotto zu gewinnen“, sagt der 54-Jährige aus Hagen.
Nur ist die Erkrankung kein Lottogewinn. Marc sitzt seit vielen Jahren im Rollstuhl, kann nicht mehr eigenständig gehen. Wenn er länger spricht, wie bei dem Termin mit der Reporterin, braucht er zwischendurch Sauerstoff über ein Beatmungsgerät, weil ihm das Sprechen dann leichter fällt. „Ich kann es nicht ändern, nur das Beste daraus machen. Wissen Sie, ich lebe ein ganz normales Leben - ich bin ein ganz normaler Mensch wie jeder andere - und lasse mich nicht von der Krankheit definieren. Ich bin normal zur Schule gegangen, habe studiert, ich arbeite, habe Hobbys.“
„Ich lebe ein ganz normales Leben - ich bin ein ganz normaler Mensch und lasse mich nicht von der Krankheit definieren. Ich bin normal zur Schule gegangen, habe studiert, ich arbeite, habe Hobbys.“
Marc Keineke lächelt wieder. Hinter ihm in den Regalen liegen die blauweißen Roosters-Hüte mit dem markanten roten Hahn darauf als Beweis. Er ist Top-Fan der Eishockey-Mannschaft, hat Dauerkarten für die Spiele. Er liebt die Modellfliegerei und Technik, schneidet Videos, ist gerne draußen unterwegs, züchtet eigenes Gemüse und Wein im Hinterhof. Nur, dass er eben auf Unterstützung angewiesen ist, um sich von A nach B zu bewegen.
Keine Heilung möglich
„Ich war schon als Kind ein bisschen anders. Ich bin häufiger hingefallen als andere. Ich war nicht so schnell wie andere. Ich habe mich seltsam bewegt, war oft nach Stürzen im Krankenhaus. Mit neun Jahren kam dann die Diagnose“, sagt der Hagener. Damals wurde ihm in einer Düsseldorfer Klinik die Duchenne Muskeldystrophie (DMD) diagnostiziert. Lebenserwartung: 25 Jahre. „Um mich herum verstarben die meisten Betroffenen über die Jahre. Aber ich bin geblieben.“ Später wurde bei ihm eine andere Form des Muskelschwunds diagnostiziert - eine seltene Art der Gliedergürteldystrophie. Eine medikamentöse Therapie gibt es nicht. Keine Heilung - nur die Akzeptanz. „Die Dinge sind eben, wie sie sind.“
„Die letzte richtig weite Strecke bin ich, glaube ich, in der Grundschule gelaufen - einmal um die Hasper Talsperre.“
Und sie waren schon damals, wie sie eben waren. Mit 13 konnte Marc Keineke schon keine weiteren Strecken mehr allein zurücklegen. „Die letzte richtig weite Strecke bin ich in der Grundschule gelaufen - einmal um die Hasper Talsperre“, sagt er. Als Jugendlicher hatte er schon einen Elektrorollstuhl, konnte aber noch mit Unterstützung kleine Strecken gehen und stehen. Er besuchte normal die Schule, schaffte sein Abi, studierte Betriebswirtschaftslehre in Dortmund, ist heute Diplom-Betriebswirt. Über viele Jahre arbeitete er im Rechenzentrum der Fernuni, danach bei einem Verein für Menschen mit Behinderungen als Haushaltsverantwortlicher Kaufmann.
Assistenzkraft gesucht
Der Gemeinschaftsdienst sucht aufgrund von Ausfällen aktuell nach einer neuen Assistenzkraft, die Marc Keineke im Alltag unterstützen kann (Bewerbungen:
bewerbung@gemeinschaftsdienst.de). Der Gemeinschaftsdienst ist Mitglied des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (DPWV) und ein Angebot in der Trägerschaft des Gemeinschaftsdienstes Kinder, Jugend und Familie. Weitere Infos über: www.gemeinschaftsdienst.de
Als dort die Mittel nicht mehr reichten und er arbeitslos wurde, schickte er Hunderte von Bewerbungen raus. Sie liefen alle ins Leere. „Aber ich wollte nicht dem Staat auf der Tasche liegen. Ich will ja arbeiten“, sagt der 54-Jährige. Über Jahre bauten seine Muskeln ab, „das ist ein schleichender Prozess“, sagt Marc Keineke.
Aber er kann seine Hände noch bewegen, um den Rollstuhl zu steuern oder am PC zu arbeiten. Und kurzerhand machte er sich selbstständig - und damit sein Hobby zum Beruf. Er digitalisiert altes Videomaterial, schneidet Filme daraus in seiner kleinen Medienwerkstatt, die sich in seiner Wohnung befindet. Sein kleines Unternehmen musste er zuletzt nach einem Feuer in der Wohnung wieder aufbauen.
„Filmen und Videos waren schon immer meine Leidenschaft, und ich habe auch schon einige Projekte umgesetzt. Aber so viel Spaß es macht: Leben kann ich auf Dauer davon nicht. Ich suche also nach wie vor einen Job“, betont der Hagener, der im Alltag von fünf Assistenzkräften vom Gemeinschaftsdienst in 24-Stunden-Schichtdiensten unterstützt wird, die größtenteils über den Landschaftsverband Westfalen-Lippe finanziert werden.
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Assistenzkräfte unterstützen im Alltag
Die Assistenzkräfte sind quasi seine Beine und Hände, wenn er Hilfe benötigt. Beispielsweise, um ihn mit seinem Fiat Ducato und seinen Modellen zum Flugplatz in Recklinghausen zu fahren oder die Modelle so in die Luft zu werfen, dass er mit seiner Fernbedienung steuern und losfliegen kann. Aber natürlich wird auch im Haushalt oder den alltäglichen Dingen des Lebens Unterstützung benötigt.
Fabian Erben arbeitet nun bereits seit zwei Jahren mit Marc zusammen: „Wir sind viel unterwegs, fahren zu den Roosters-Spielen oder kümmern uns um die Pflanzen im Garten“, sagt er. Sie bilden quasi im Dienst ein Alltagsteam. „Vorher hat mich meine Familie lange Jahre unterstützt, aber meine Mutter verstarb und mein Vater ist inzwischen auch schon über 80“, erinnert sich Marc Keineke zurück. Also suchte er nach einer Assistenzkraft - und kam mit dem Gemeinschaftsdienst zusammen. „Allerdings hat es gut zwei Jahre gedauert, bis tatsächlich jemand hier anfangen konnte.“
In der Coronazeit war er den Großteil der Tage auf sich allein gestellt - „das war rückblickend eine wirklich einsame Zeit“, sagt er heute. Jetzt ist er froh um die Unterstützung, die er hat - und genießt es umso mehr, einfach wieder sein Leben leben zu können. Das zu tun, was er kann und woran er Spaß hat. Beim Eishockey zuzuschauen, Filme zu schneiden, seine Flugzeuge zu fliegen. Marc Keineke lächelt. Die Tomaten im Hinterhof sind gut in die Höhe gewachsen und sollen bald frisch verkocht werden.