Vorhalle. Er gehört zu Vorhalle wie die Weststraße. Der Inder „Dala“ Singh ist mit seinem Lädchen seit 32 Jahren hier. Zeit für einen Besuch.

Er hat sie kommen und gehen sehen. Die Betreiber von Lottoläden. Metzger, Bankfilialen, die Post, Schreibwarenläden, Michael Brücken, die Kneipe Reichsadler, die Kneipe Andreasstübchen. Der ganze Wandel, den Vorhalle und speziell seine Einkaufsstraße, in den vergangenen 30 Jahren erlebt hat, hat sich vor seinen Augen abgespielt. Er ist immer noch hier. Wie das Sediment eines reißenden Flusses, der vieles weggespült hat. Satwinder Singh, den alle im Hagener Norden, Herdecke oder Wetter nur bei seinem indischen Dorfnamen nennen: „Dala“. Besuch bei einem, der gekommen ist, um für immer zu bleiben.

„Der Stadtteil ist das Beste, das mir passieren konnte. Ich passe hier her.“

Dala Singh

In seinem Dorf Punjab, im Norden Indiens, machte Dala 1985 die Biege nach Europa. Den Spitznamen Dala hatten sie ihm dort verpasst. Er war Ringer, brachte 105 Kilo auf die Waage. Lautsprachlich tauften das seine Mitbürger „Dala“. Er landete zunächst in Frankreich, wollte dann nach Deutschland. „Ich bin dann nach Köln und von dort nach Neuss“. Einen Asylantrag später bekam er eine Wohnung auf der Boeler Straße. Seine Anfänge in Hagen. „Ich habe Koch gelernt“, erinnert er sich. Er arbeitete unter anderem im einstigen Restaurant „Plaka“ an der Schwenke. Ein Grieche. Er wirkte auch bei einem Italiener in Gelsenkirchen und in einem Restaurant in Neu-Isenberg bei Frankfurt.

1992 ging alles los

Pizza aber, die war immer sein Hobby. Auf der Boeler Straße war er mal kurzzeitig Teil des Pizza-Pronto-Teams, ehe sich für ihn und letztlich einen ganzen Stadtteil die Chance ergab, sich selbstständig zu machen. 1992 bezog der Inder sein heutiges kleines Lokal in der Vorhaller Straße, direkt neben dem Lottoladen. Pizza Pronto in Vorhalle war geboren. Zuvor war hier etwas drin, was es ebenfalls nirgends mehr gibt. Ein Ein-Mann-Elektrofachhändler. Poggensee hieß der Laden. Nebenan war ein Rechtsanwalt - auch weg.

Dala Singh (vorne links) und seine Familie in der kultigen Pizzeria in der Vorhaller Straße.
Dala Singh (vorne links) und seine Familie in der kultigen Pizzeria in der Vorhaller Straße. © Mike Fiebig | Mike Fiebig

„Der Stadtteil ist das Beste, was mir passieren konnte“, sagt Dala Singh, der in einer Wohnung über der Pizzeria lebt. Und das ist eine bemerkenswerte Aussage über Vorhalle, das in den vergangenen Jahren stadtentwicklungstechnisch eher stiefmütterlich behandelt wurde. Jahrelang berichtete diese Zeitung über Schließungen und Abrisse. Dass nach Jahrzehnten der Debatten nun endlich ein neues Einkaufszentrum für die Vorhaller gebaut wird, ist neben dem Kunstrasenplatz am Vossacker (auch schon älter jetzt) und einem neuen Bethel-Heim an der Ophauser Straße schon die einzig nennenswerte Bauaktivität. Der stolze Stadtteil mit seinen landschaftlichen Vorzügen zwischen Herdecke, Wetter, an der Ruhr, an den Seen, mit seiner Eisenbahnertradition und dem starken Vereinsleben, geriet öffentlich in Vergessenheit.

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Vorhalle als Teil einer Region

„Dala“ schätzt hier die Zentralität. Er begreift Vorhalle, einen Teil Eckeseys, den Tücking sowie Herdecke als kleine Region, in der er wirkt. Auch wenn es natürlich nicht stimmt: Aber gefühlt macht der Inder rund um die Uhr Pizza. An seiner Seite von Beginn an: seine Familie. Ehefrau Rajinderkor und die drei Söhne Bikku (23), Manni (27) und Mannu (30). Wer schon immer bei Dala seine Pizza kauft, hat die Jungs aufwachsen sehen neben ihrem Vater, der immer seine Baseball-Mütze tief über der kreisrunden Brille mit Goldrand trägt und in gefühlt 99 Prozent der Fälle den richtigen Vornamen nennt, wenn ein Kunde die kleine Pizzeria betritt, in der vieles noch ein Originalteil ist. Öfen, Wandbilder, die Speisekarte.

Übrigens auch die eingeflieste Italienflagge. Dala schmunzelt, als er sie anblickt. In jener Zeit, als Inder in Hagen kleine Pizzabuden eröffneten, waren sie meistens unter italienischer Optik unterwegs. „Besseres Image“, lacht Dala. Belegbar ist weder das damalige noch das heutige Image der Nationalitäten durch irgendwas. Dass in der Gastronomie Indien heute ein stark nachgefragter Trend ist, lächelt Dala weg. „Wir sind eben fleißige Leute.“

Dala Singh ist heute 63 Jahre alt. 1985 verließ er seine Heimat Indien und kam nach Deutschland.
Dala Singh ist heute 63 Jahre alt. 1985 verließ er seine Heimat Indien und kam nach Deutschland. © Mike Fiebig | Mike Fiebig

Fleiß als großes Lebensthema

Fleiß, das ist ein Thema, das sich durch den gesamten Lebensweg von Dala Singh zieht. „Ich arbeite, seit ich 12 Jahre alt bin. Mein Vater ist 105 geworden und hat immer noch auf seinem Feld gearbeitet. Du kannst ein Geschäft nur aufbauen, wenn du fleißig bist und dran bleibst.“ Von seinen Söhnen erwartet er nicht zwingend, dass sie die Pizzeria weiterführen. Wobei einer von ihnen wohl Interesse bekundet. Den Pizzapreis hat er über die Jahre unverändert gelassen. „Du brauchst hier nichts draufpacken. Wenn man Erfolg haben will, muss man gute Qualität zu guten Preisen haben. Und wir sind hier in Vorhalle. Meine Preise passen hier hin. Mein Lebensmotto ist ,Leben und leben lassen‘ - bislang hat das gut geklappt.“ Vor einigen Jahren eröffnete er noch eine kleine Restaurantfläche nebenan.

„Wir bleiben hier“, sagt Dala Singh. Eine Rückkehr nach Indien wird es nicht geben. Der 63-Jährige hat Wurzeln geschlagen. „Meine Familie ist eh über die ganze Welt verteilt“, sagt er. Amerika, Australien - und er eben in Vorhalle. „Ja, ist doch eine tolle Geschichte.“