Dortmund/Fröndenberg. Ein 27-Jähriger soll zwei Männer mit einem Messer in der Ruhrstadt überfallen haben. Doch der Angeklagte stellt es gänzlich anders dar.
Glaubt man dem 27 Jahre alten Fröndenberger, dann holt ihn an diesem Montag im April 2024 am Landgericht Dortmund seine eigene Vergangenheit ein: Im Januar 2019 und im August 2020 soll er nacheinander zwei Fröndenberger mit einem Messer bedroht und ihnen Geld abgenommen haben. Doch in der Anklage werde ein völlig falsches Bild gezeichnet. Die Hintergründe.
Zwei Taten, ähnliches Muster
Es sind zwei Fälle klassischer Straßenkriminalität. Ein Szenario, das in Polizeistatistiken oft als die Horrorvorstellung ahnungsloser Bürger benannt wird: ein abendlicher Überfall mit einem Messer. Tenor: Gib mir dein Geld, oder du wirst es bereuen. So ähnlich schildert es auch die Anklage für einen 27-jährigen Fröndenberger.
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Zunächst soll es am 31. Januar 2019 auf dem Parkplatz an der Fröndenberger Sparkasse zu einem Zwischenfall gekommen sein: Das Opfer wartete in seinem Auto, als der Angeklagte plötzlich ins Fahrzeug stieg, ein Messer zückte und Geld forderte. Dabei habe er Sonnenblende, Handschuhfach und Kofferraum nach weiteren Wertsachen durchsucht. Anschließend sollte es mit dem Opfer zu dessen Wohnung gehen, damit die Beute höher ausfällt als die laut Anklage 80 Euro. Doch so weit kommt es schlussendlich nicht. Auf dem Weg in Richtung Stiftskirche kracht der Wagen in ein Taxi, „um auf die Tat aufmerksam zu machen“, wie es in der Anklage heißt. Der 27-Jährige flüchtet nach dem Unfall.
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Gut eineinhalb Jahre später, am 12. August 2020, soll es ähnlich abgelaufen sein. Auch dabei habe der Angeklagte mit einem Klappmesser Geld von einem anderen Fröndenberger gefordert – und auch bekommen. Knapp 200 Euro.
Sind die Opfer eigentlich Dealer?
Dass der 27-jährige Angeklagte kein unbeschriebenes Blatt ist, das macht er selbst schnell deutlich am ersten Prozesstag am Landgericht Dortmund. Falsche Freunde, Verantwortungs- und Perspektivlosigkeit hätten ihn in jungen Jahren bereits in den Jugendknast gebracht. Und auch nach seiner Entlassung habe er nicht direkt Fuß fassen können in der Gesellschaft. „Dann bin ich wieder in die Drogen abgerutscht“, gibt er zu. Mittlerweile sei er „clean“. Bei den beiden Opfern handle es sich aber in Wahrheit um seine früheren Dealer. Überfallen – erst Recht mit einem Messer – habe er keinen von beiden.
„Fröndenberg ist ein Dorf. Da kennt jeder jeden.“ So hat im Grunde alles angefangen 2019 kurz vor der ersten Tat. Weil er seine Drogensucht nicht in Gänze finanzieren konnte, habe der Fröndenberger angefangen, Stoff auf Pump zu kaufen. Irgendwann aber habe sein Dealer dann tatsächlich Geld sehen wollen; wohl rund 200 Euro. Das Treffen auf dem Parkplatz der Sparkasse habe eine Geldübergabe sein sollen, die allerdings aus dem Ruder lief. „Er hat gesagt: Wenn du nicht zahlen kannst, dann fahr nach Holland und hol‘ Gras rüber“, erklärt der Angeklagte. Doch das habe er aufgrund seiner Drogenvergangenheit mitsamt Jugendknast prompt abgelehnt. Am Ende sei es zum Streit im Wagen gekommen, ehe sein mutmaßlicher Dealer das Taxi rammte. „Danach bin ich dann abgehauen.“ Wenig später aber greift ihn eine Polizeistreife auf und nimmt ihn vorübergehend fest.
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Und auch im zweiten Fall räuberischer Erpressung soll es im August 2020 um Drogen gegangen sein. Über Wochen kaufte der 27-Jährige – wieder zum Teil auf Pump – Marihuana bei einem anderen Fröndenberger ein. Doch der Konsum eskaliert; der Angeklagte kaufte nicht nur Gras, sondern auch Amphetamine. Eine, wie er sagt, schlechte Kombination, die abermals für gut 200 Euro Drogenschulden sorgen. Mehrfach habe er danach Forderungen, „den Deckel zu bezahlen“ seines Dealers ignoriert. „Ein paar Tage später haben vier bis fünf Beamte mein Zimmer durchsucht.“ Als sie ihm den Grund dafür nennen, sei er fassungslos gewesen. Ein Treffen, erst recht mit Messer, habe es nie gegeben.
Vorfall größtenteils ausgeblendet
Am Landgericht Dortmund stellt sich die Erinnerung des Opfers indes als etwas lückenhaft heraus. „Das ist lange her, ich habe nicht damit gerechnet, dass da noch was kommt“, sagt der 23-jährige Unnaer. Alles, woran er sich knapp vier Jahre später noch erinnert, ist, dass an der Sparkasse jemand auf ihn schnurstracks zugegangen sei und mit einem Messer bedrohte. Seither habe er den Vorfall größtenteils ausgeblendet – auch weil dabei bis auf einen vorübergehenden Schock nicht viel passiert sei. Dass der 23-Jährige ein gehörnter Dealer sein soll, macht ihn vor Gericht allerdings fassungslos. „Ist das ein schlechter Scherz?“, fragt der junge Mann in die Runde. Dass er den Angeklagten dabei direkt per Du anspricht, verwundert zumindest den vorsitzenden Richter. Mit Drogen habe der Unnaer nichts am Hut, beteuert er.
Ähnlich verzwickt stellt sich das, was nach der Tat passiert, mittlerweile für einen Polizeibeamten dar. „An was ich mich noch genau erinnern kann, ist die Durchsuchung“, sagt der 45-Jährige. Gemeinsam mit zwei Kollegen habe er nach der Tat eine kommunale Flüchtlingsunterkunft durchsucht – und ein Hemd sichergestellt, das der Angeklagte bei dem Überfall getragen haben soll. Eine Tatwaffe fanden die Beamten nicht. Gleichwohl: Ein Kuriosum sei dann doch noch hängen geblieben. Nach dem Überfall soll das Opfer dem mutmaßlichen Räuber sogar noch hinterher gefahren sein, statt sofort die Polizei zu rufen.
Weitere Zeugenaussagen sind für den nächsten Prozesstag am 8. Mai geplant.