Menden. Am Amtsgericht Menden werden erstmals die Tücken des neuen Cannabisgesetzes deutlich. Das führt zu juristischen Auslegungsdiskussionen.
Gut eine Woche ist Cannabis inzwischen legal. Für Strafverfolgungsbehörden und Gerichte beginnt nun buchstäblich eine neue Zeitrechnung. Am Amtsgericht Menden führt das zu interessanten juristischen Debatten - und der Verurteilung eines 30-Jährigen, die noch vor einem halben Jahr gänzlich anders ausgegangenen wäre. Die Hintergründe.
Encrochat bringt Mendener in Bedrängnis
Es ist einer der ersten Prozesse am Amtsgericht Menden nach der Legalisierung von Cannabis: Ein 30-Jähriger Mendener soll in seiner Wohnung knapp 140 Gramm Marihuana und Haschisch, 20g Amphetamine und drei Ecstasytabletten gebunkert und damit gedealt haben. So zumindest lautet der Anklagevorwurf. Dass er die Drogen besessen hat, räumt der Mendener zwar ein - allerdings alles zum Eigenbedarf.
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Auf die Schliche waren Ermittler ihm im Zusammenhang mit weitaus größeren Geschäften gekommen und Auswertungen von Encrochat-Verläufen. Das Programm, das in den vergangenen Jahren vor allem von der organisierten Kriminalität genutzt wurde, wurde seinerzeit von Europol infiltriert. Seither laufen europaweit Ermittlungsverfahren gegen Nutzer. So auch gegen einen 26-jährigen Mendener, der im vergangenen Jahr am Landgericht Dortmund verurteilt wurde. Dabei ging es unter anderem um 16 Kilogramm Marihuana und mehrere dutzend Ecstasypillen. Im Zuge der Ermittlungen stießen die Beamten dann auch auf Unterhaltungen des 26-Jährigen Großhändlers mit dem 30-jährigen Mendener.
Eben jener Großhändler soll am Dienstagmorgen auch am Amtsgericht Menden gegen seinen mutmaßlichen Kunden auspacken. Doch daraus wird nichts. Weil sich der junge Mann, der derzeit in Warstein in einer LWL-Entzugsklinik untergebracht ist, möglicherweise neuer Straftaten ausgesetzt sieht, verweigert er die Aussage. Im Kern geht es dabei vor allem um die Encrochat-Verläufe. Denn die deuten durchaus darauf hin, dass reger Handel zwischen beiden Mendenern bestanden haben könnte: Ecstasytabletten im Tausch gegen Marihuana. Ein „Satz neuer Reifen“ sei laut Ermittlern das Codewort für frische Ware; „grüne Weihnachtsmänner“ hochdosierte Ecstasypillen. Dass sich der 26-jährige Großhändler mittlerweile in Behandlung befindet, wertet Amtsrichter Jung als gutes Zeichen: „Das ist eine gute Sache für sie und die Gesellschaft.“
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Alles eine Sache der Auslegung
Bei der Hausdurchsuchung im Mai 2023 fanden die Ermittler beim Angeklagten neben den Drogen auch allerhand Utensilien: Kunststofftütchen, Einschweißgerät, Feinwaage. „Die Differenzierung zwischen Eigenbedarf und Handeltreiben ist schwierig“, stellt Jung dazu jedoch fest. Ebenso schwierig scheint die allgemeine Bewertung der Rechtslage. „Ich werde noch nicht ganz schlau aus dem neuen Gesetz“, gibt selbst der Staatsanwalt im Gespräch mit Jung zu. Denn: Im Vorstrafenregister des 30-Jährigen findet sich bereits eine Verurteilung wegen des Besitzes von Cannabis. Gleichwohl: Eben jene Verurteilung könnte auf Antrag ab dem 1. Januar 2025 aus dem Vorstrafenregister gelöscht werden, so sieht es die Amnestieregelung des Cannabisgesetzes vor. Doch einen Haken gibt‘s dabei: Cannabis wie auch Konsumutensilien seien damals im Huckenohlstadion sichergestellt worden; fällt das Delikt in die Konsumverbotszone, könnte es eng werden mit der Amnestie. Es ist beinahe so etwas wie eine Auslegungsdebatte zwischen Richter und Staatsanwalt, die im Zuge des Prozesses aufkommt: Was ist erlaubt? Was ist nicht erlaubt? Was ist heutzutage als geringe Menge einzustufen? Wann sind Blüten tatsächlich getrocknet? Wie viel konsumreifes Cannabis werfen drei Pflanzen in den eigenen vier Wänden schlussendlich ab? Die Verhandlung zeigt rechtliche Grauzonen und Auslegungsmöglichkeiten auf. „Es gibt viele ungelöste Fragen“, konstatiert der Staatsanwalt.
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Dass 130 Gramm Cannabis früher juristisch als nicht geringe Menge gehandelt wurden, ist mittlerweile gänzlich anders. Angesichts der nun zulässigen Menge, die Erwachsene in den eigenen vier Wänden besitzen dürfen (60 Gramm straffrei) und des THC-Gehalts von gerade einmal acht Prozent steht für Richter wie Staatsanwalt fest: Nach dem neuen Cannabisgesetz ist so aus einer Straftat ein Vergehen geworden - und aus einer nicht geringen Menge eine geringe. Amphetamine und Ecstasypillen hingegen bleiben illegale Drogen.
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Während die Staatsanwaltschaft für den Angeklagten eine Freiheitsstrafe von acht Monaten samt 200 Sozialstunden fordert, bleibt die Verteidigung in ihrem Plädoyer deutlich drunter und hofft lediglich auf eine Geldstrafe. Doch daraus wird schlussendlich nichts. Mit dem Urteil - sechs Monate Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung sowie 100 Sozialstunden - bleibt Amtsrichter Martin Jung knapp unter der Forderung der Staatsanwaltschaft. „Die 20 Gramm Amphetamine liegen außerhalb der Bagatellzone des Betäubungsmittelgesetzes“, erklärt Jung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.