Schwelm. Der Staatsanwalt spricht ganz klar von Mord, die Strafverteidiger fordern ein anderes Urteil für den Mandanten. Wie sie das begründen.

Nachdem die Staatsanwaltschaft im Schwelmer Mordprozess lebenslange Haft wegen Mordes für den Angeklagten gefordert hat, hielten am Montagvormittag auch die Vertreterin der Nebenklage und die beiden Verteidiger des Beschuldigten ihre Plädoyers vor dem Hagener Landgericht. Während Rechtsanwältin Heike Tahden-Farhat, die den Sohn des Angeklagten und des Opfers vertritt, sich der Staatsanwaltschaft anschloss und ebenfalls auf Mord plädierte, forderte die Verteidigung ein Urteil gemäß Totschlag in minderschwerem Fall und eine Freiheitsstrafe von unter neun Jahren.

Aus Sicht der Anwälte Christoph Wortmann und Ihsan Tanyolu lassen sich die Ausführungen der Staatsanwaltschaft in wesentlichen Teilen nicht belegen. Auch sehen sie die Mordmerkmale der Heimtücke und der niederen Beweggründe nicht bestätigt. Vielmehr bleiben sie beim Bild einer Affekt-Tat, das bereits die Einlassung ihres Mandanten im früheren Verlauf des Prozesses gezeichnet hatte. Das Opfer habe den Angeklagten sehr wohl im Vorfeld der Tat wahrnehmen können und sei nicht arglos gewesen oder habe Angst vor diesem gehabt. Auch habe ihr Mandant die Tat nicht aus Wut über die Trennung seiner Ex-Partnerin geplant, sondern aus der schieren Verzweiflung heraus gehandelt, als diese ihm drohte, er würde den gemeinsamen Sohn nie wieder sehen.

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Damit gehen sie auf zwei wesentliche Punkte ein, auf denen Staatsanwalt Lukas Franke unter anderem sein Plädoyer aufgebaut hatte, da sie nach seiner Auffassung die eingangs erwähnten Mordmerkmale sehr wohl belegen. Er hatte darüber hinaus auch die sogenannte besondere Schwere der Schuld für gegeben gesehen. Das hieße, dass der Beschuldigte - sollte die Kammer der Einschätzung der Staatsanwaltschaft folgen - nach 15 Jahren nicht aus der Haft entlassen werden kann.

Verteidigung: Opfer war nicht arglos

Verteidiger Tanyolu nimmt dabei zunächst auf das Tatgeschehen an sich Bezug. So lasse die Staatsanwaltschaft offen, wie der Angeklagte am 28. Februar 2024 auf den Schwelmer Garagenhof gelangt ist, auf dem es zum Streit und später zum Messerangriff gekommen sein soll. Zur Erinnerung: Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Mann dem Opfer an dessen Wohnadresse aufgelauert und dieses unmittelbar in der Garage, in der es sein Auto geparkt hatte, angegriffen hat.

Der Angeklagte sei mit dem Fahrrad zu seiner Wohnung gefahren, wo ihn Nachbarn auch gesehen hätten, fährt Tanyolu fort. Danach habe er wieder zurück zu seinen Eltern fahren wollen, bei denen er zu dieser Zeit übernachtete. Auf einer Kreuzung in Schwelm nahe der neuen Wohnadresse seiner Ex-Partnerin habe er sie zufällig in ihrem Auto gesehen. Dabei habe es nachweislich keinen festen Rhythmus gegeben, anhand dessen ersichtlich gewesen wäre, wann sie im Homeoffice oder im Büro arbeitet. „Er kann ihr nicht aufgelauert haben“, argumentiert Ihsan Tanyolu.

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Auch habe das Opfer den Angeklagten auf besagter Kreuzung im Vorbeifahren wahrgenommen. Als das automatische Tor zum Garagenhof sich geöffnet habe, habe die Frau ihn weiterhin gesehen. Auf dem Hof selbst habe sie das Auto schließlich gewendet, um rückwärts in die Garage einzuparken. „Dabei muss sie den ganzen Hof gesehen haben“, so Tanyolu, der im Folgenden außerdem das Gutachten des Sachverständigen anspricht, laut dem der Angeklagte perfektionistische Züge habe. „Wenn der Angeklagte so perfektionistisch ist, passt es nicht, dass er die Tat am helllichten Tag in einem gut einsehbaren Hof plant“, schlussfolgert Verteidiger Tanyolu. „Dass er eine Flasche Wasser und eine Jacke am Tatort liegen lässt, passt auch nicht dazu.“

Messer wegen Unsicherheit dabei gehabt?

Die Verteidigung bleibt bei der Darstellung, dass es zum Streit und infolgedessen zu gegenseitigen Verletzungen kam. Dass der Angeklagte ein Messer und ein Tierabwehrspray im Rucksack gehabt habe, liege daran, dass es in der Vergangenheit mehrere Vorfälle gegeben habe, wegen derer sich der Mann nicht mehr sicher fühlte. Als Beispiele führt die Verteidigung den Überfall durch die Freunde seiner Ex-Frau, die ihr beim Auszug halfen, einen Überfall beim Joggen und die Sprengung seines Briefkastens an. Nach der Tat habe der Angeklagte von seinem Opfer abgelassen und den Tatort in Panik verlassen. „Er hatte eindeutig keine Planung, was er nach der Tat macht“, so Ihsan Tanyolu.

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Verteidiger Christoph Wortmann geht anschließend auf die rechtliche Einordnung ein und stellt dafür die Situation um den gemeinsamen Sohn anstelle der Trennung der Partner in den Vordergrund. Es sei dem Angeklagten nicht mehr um die Beziehung zum Opfer gegangen. Die Tat habe 15 Monate nach der Trennung stattgefunden. „Da kann kaum ein Bezug zur Tat hergestellt werden“, so Wortmann. Die Staatsanwaltschaft hatte gesagt, dass die Tat ein Angriff „aus Wut und Hass“ gewesen sei, da der Angeklagte durch die Trennung seine Familie verloren habe. Der Angeklagte habe aus Rache gehandelt.

Laut Verteidiger Wortmann habe seinen Mandanten aber vielmehr der drohende dauerhafte Verlust des Sohnes in eine Situation gebracht, in der er keinen Ausweg mehr gesehen habe. Er und Verteidiger-Kollege Tanyolu gehen letztlich vom eingangs erwähnten minderschweren Fall des Totschlags aus, bei dem der Totschläger per Definition „ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Misshandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden“ ist.

Verweis auf tiefe Reue und Geständnis

Zeugenaussagen bezüglich häuslicher Gewalt in der Beziehung zwischen Angeklagtem und Opfer weisen die Verteidiger als nicht objektiv zurück, da es dafür keine Beweise gebe und alles auf „Hörensagen“ beruhe. Nebenklagevertreterin Heike Tahden-Farhat hatte zuvor in ihrem Plädoyer betont, dass häusliche Gewalt etwas sei, das für Außenstehende oft nicht nachvollziehbar sei. „Nach außen hin kann eine Ehe durchaus positiv behaftet sein, deshalb kann man trotzdem Opfer häuslicher Gewalt werden“, machte sie klar.

Noch vor dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft hatte die Vorsitzende Richterin Heike Hartmann-Garschagen erklärt, dass der Angeklagte bislang keine Vorstrafen habe. Verteidiger Christoph Wortmann erklärt in seinem Plädoyer, dass sein Mandant tiefe Reue gezeigt, gestanden und auch bei den Ermittlungen geholfen habe. Die Verteidigung hält unter dem Strich eine Freiheitsstrafe von unter neun Jahren für angemessen.

Üblicherweise hat am Ende eines Prozesses der Angeklagte selbst das letzte Wort, so auch in dieser Verhandlung. Mit zitternder, leiser Stimme erklärt der 48-Jährige: „Der Vorfall ist ein schlimmes Ereignis. Es tut mir unendlich leid.“ Am Dienstag, 28. Januar, wird die Kammer voraussichtlich ein Urteil fällen und den bis dahin monatelangen Prozess damit abschließen.