Schwelm. Nachdem der wegen Mordes angeklagte 48-Jährige monatelang schwieg, äußerte er sich nun doch. Das ist am 28. Februar aus seiner Sicht geschehen.
Die Geschehnisse des 28. Februars dieses Jahres, die Rechtsanwalt Ihsan Tanyolu schnell und ohne Emotionen runterrasselt, klingen in den Ohren der Zuhörer nach. Eine zufällige Begegnung. Ein Wortwechsel. Geschrei. Schließlich ein Handgemenge. Dann der erste Stich. Mehr als 30 weitere folgen, bis eine 50-jährige Schwelmerin tot auf dem Boden liegt. Ihr mutmaßlicher Mörder: ihr Ex-Mann. Der 48-Jährige, der sich seit Ende August wegen Mordes an seiner Ex-Frau vor dem Hagener Landgericht verantworten muss, brach nun sein monatelanges Schweigen. In einer schriftlichen Einlassung, die er von seinem Anwalt Ihsan Tanyolu vorlesen ließ, schilderte der Angeklagte die Geschehnisse des Tattages aus seiner Sicht. Die überraschende Wendung: Er gesteht die Tötung.
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Doch der Angeklagte holt zunächst aus und berichtet, wie er seine spätere Ehefrau kennenlernte, wie sich das Paar verliebte und schnell zusammenzog. Das Paar bekam einen Sohn, plante, ein Haus zu bauen. „Wir haben uns geliebt und waren ein tolles Team“, lässt der Angeklagte über seinen Anwalt verlesen.
Der gemeinsame Sohn sei der Mittelpunkt der Familie gewesen, doch das Ehepaar habe andere Ansichten über die Erziehung des Kindes gehabt. Gesellschaftliche Werte seien ihm persönlich wichtig gewesen, auch dass schulisch alles bei dem Sohn läuft. Er habe viel mit dem Kind gelernt, sich bei seinen Bemühungen aber von seiner Frau allein gelassen gefühlt. Der Angeklagte gibt an, sehr perfektionistisch zu sein – doch die Vorwürfe, die im Laufe des Prozesses bekannt wurden, dass er seinen Sohn gezwungen habe, bis in die Nacht zu lernen, würden nicht stimmen.
Auch eine im Prozessverlauf geschilderte Situation, bei der er seinem Sohn eine Socke in den Mund gestopft haben soll, schildert der Angeklagte anders. Er habe damals mit seinem Sohn auf dem Bett gesessen und das Kind habe ihm in sein erkranktes Ohr geschrien. Daraufhin habe er seinem Kind den Strumpf vor den Mund gehalten. „Das tat mir leid und ich habe mich direkt dafür entschuldigt“, gibt der Angeklagte seine Erinnerung wieder. Der Vorwurf, er habe Kuscheltiere seines Sohnes aus dem Fenster geworfen, sei hingegen richtig. „Ich war überfordert mit einzelnen Erziehungssituationen“, gibt der 48-Jährige zu.
Keine Gewalt gegen Kind oder Frau
Die Vorwürfe, er sei seinem Kind gegenüber gewalttätig gewesen, weist er entschieden zurück. „Ich habe ihn nicht getreten oder geschlagen.“ Das hätte er nie mit sich vereinbaren können und es tue ihm weh, dass sein Kind so etwas erzählen würde. „Ich kann mir nicht erklären, warum er so etwas behauptet.“
Stattdessen sei aber sein Sohn in der Vergangenheit gegen ihn vorgegangen, genauso wie seine frühere Ehefrau. „Sie hat mich bewusst provoziert“, lässt der 48-Jährige verlesen, der einzelne Verletzungen, die ihm durch seine damalige Frau beigebracht worden seien sollen, dokumentierte. Dass er seine Ex-Frau aber nackt auf den Balkon ließ, ihr Gewalt antat oder stundenlang in den Keller einsperrte – das alles sei nicht wahr.
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Er selbst habe mehrfach über eine Trennung nachgedacht, habe dies aber wegen seines Sohnes nicht in die Tat umgesetzt. Über die Nacht- und Nebel-Aktion, als ein Trupp von Freunden und Arbeitskollegen seiner damaligen Frau dabei half, mit dem Sohn aus der gemeinsamen Wohnung auszuziehen, sagt der Angeklagte, dass das der schlimmste Tag in seinem Leben gewesen sei. Nie zuvor habe er sich so hilflos und überfordert gefühlt. Noch heute bekomme er deshalb Panikattacken und Angstzustände.
Er habe seinem Sohn nicht aufgelauert
Nach dem Auszug seiner damaligen Frau und dem gemeinsamen Kind habe er alles versucht, um Kontakt zum Sohn zu suchen. Die Tatsache, dass die Ehe mit seiner Frau vorbei war, habe er akzeptieren können, aber nicht, dass er nicht mehr am Leben seines Sohnes teilhaben konnte. „Ich wollte wissen, wie er sich entwickelt.“ Der Vorwurf, er habe seinem Kind an dessen Schule aufgelauert, stimme jedoch nicht. „Ich habe mich nicht auf die Lauer gelegt, das war in Situationen, in denen ich eh unterwegs war.“
Schließlich wird der Tag der Tat, der 28. Februar, Thema. Der Angeklagte gibt an, dass er in seiner Wohnung in Schwelm ein paar Sachen für eine weitere Übernachtung im Zuhause seiner Eltern zusammengepackt hätte, nach 15 Uhr sein Wohnhaus verließ und mit dem Fahrrad wegfuhr. An der Kreuzung Wilhelmstraße/Moltkestraße habe er zufällig seine Ex-Frau in deren Auto gesehen. „Wir hatten Blickkontakt.“
Er sei zunächst mit seinem Fahrrad weitergefahren, habe dann aber gedreht, um ein Gespräch mit seiner Ex-Frau zu führen. Sie habe an der Moltkestraße mit ihrem Auto vor dem Rolltor zur Einfahrt in den Hinterhof ihres Wohnhauses gestanden. Als das Hoftor oben war, sei er mit seinem Fahrrad dicht hinter dem Auto durch die Einfahrt gefahren. Dabei habe es zwischen den beiden mehrmals Augenkontakt gegeben.
Angeklagter habe um Gespräch gebeten
Seine Ex-Frau habe ihr Auto im Hof gewendet, um rückwärts in ihre Garage zu fahren. „Ich habe gewartet, bis sie ausgestiegen ist“, erklärt der Angeklagte und gibt an, dabei vor der Garage gestanden zu haben. Er habe seine Ex-Frau schließlich angesprochen, dass er über ihren gemeinsamen Sohn sprechen wolle. Das habe die 50-Jährige direkt abgelehnt und unter anderem gesagt, dass der Sohn ihr gehöre und sie dafür sorgen würde, dass er das Kind nie wiedersehen werde.
Dieser Satz, der früher schon einmal so ähnlich gefallen sein soll, habe ihn getriggert. „Ich habe den Boden unter den Füßen verloren.“ Schließlich sei aber seine Ex-Frau gegen ihn vorgegangen, habe ihn geschlagen und getreten, wovon eine Wunde an seinem Schienbein rühre. Seine Ex-Frau habe dabei geschrien, er sei durch ihren Angriff zu Boden gestürzt.
Messer zur Selbstverteidigung
Dabei seien Gegenstände aus seinem Rucksack herausgefallen, ein Messer und ein Abwehrspray. Beides habe er zur Selbstverteidigung seit Monaten bei sich getragen, weil er sich nach drei Vorfällen unsicher gefühlt habe. Der 48-Jährige nennt den Überfall durch die Freunde seiner Ex-Frau, die ihr beim Auszug halfen, einen Überfall beim Joggen und eine Sprengung seines Briefkastens. Das sei auch der Grund gewesen, warum er zuletzt häufig bei seinen Eltern übernachtete. In seiner eigenen Wohnung habe er regelmäßig Panikattacken bekommen. „Mit dem Messer und dem Spray habe ich mich sicher gefühlt“, gibt der Angeklagte an.
Zurück zum vom Angeklagten geschilderten Tatverlauf: Das Messer habe auf dem Boden gelegen und sowohl er als auch seine Ex-Frau hätten danach gegriffen. Er habe das Messer greifen können, worauf seine Ex-Frau geschrien haben soll: „Willst du mich abstechen?!“ Dann, aus Gründen, die er nicht nennen könne, habe er auf sie eingestochen. Immer wieder.
Seine Ex-Frau habe geschrien, er verlor das Zeitgefühl. „Ich weiß, dass wir beide zu Boden gegangen sind. Ich weiß nicht, wie lange das gedauert hat“, schildert der Angeklagte. Irgendwann habe er von seiner Ex-Frau abgelassen, sei dann in Panik geraten. 34 Messerstiche zählen die Gerichtsmediziner später auf dem Körper seiner 50-jährigen Ex-Frau, die blutüberströmt auf dem Boden liegen blieb.
Messer in einem Acker vergraben
Ohne auf seine Umgebung zu achten, habe er das Messer in die Tasche gesteckt und sei mit dem Fahrrad zur Wupper gefahren. So schildert es der Angeklagte. Am Fluss habe er sich gewaschen und habe seinen Finger versorgt, der verletzt gewesen sei. Da er Wechselkleidung bei sich trug, habe er sich umgezogen und habe sich in Richtung Königsfeld aufgemacht. Auf dem Weg dorthin habe er seine Kleidung entsorgt und mit bloßen Händen auf einem Acker das Messer vergraben.
Schließlich sei er in seine Wohnung zurückgekehrt, nach seiner Aussage mit der Absicht, sich zu stellen. Selbst gestellt hat sich der 48-Jährige jedoch nicht – noch in der Nacht des Tattages verhaftete ihn die Polizei im Umfeld seiner Wohnung.
Prozess wird am 22. November fortgesetzt
Seitdem schwieg er zur Tat. Bis jetzt. „Es gibt keinen Tag, an dem ich das nicht bereue“, lässt der Angeklagte verlesen. Diese Tat sei nie seine Intention gewesen. Er habe nicht nur seiner Ex-Frau das Leben genommen, sondern auch seinem Sohn die Mutter.
Während sein Anwalt die Einlassung verliest, sitzt der Angeklagte zurückgelehnt auf seinem Stuhl, weint still, hält sich ein Taschentuch vors Gesicht. Die Frage der Vorsitzenden Richterin Heike Hartmann-Garschagen, ob der Angeklagte noch Fragen zu den Geschehnissen beantworten würde, verneint sein Anwalt Ihsan Tanyolu. Man werde Fragen entgegen nehmen, aber heute nicht beantworten.
Der Prozess wird nun am Freitag fortgesetzt. Die Juristen werden sich mit Sicherheit mit der Frage beschäftigen, ob nach den Schilderungen des Angeklagten ein Mord oder ein Totschlag vorliegt. Bisher war der Hagener Staatsanwalt Lukas Franke davon ausgegangen, dass Heimtücke und niedere Beweggründe als Mordmerkmale vorliegen.