Schwelm. Der 48-Jährige hat seine Frau brutal hingerichtet. Nach einem Mammut-Prozess hat das Hagener Schwurgericht sein Urteil gesprochen.
Freunde, Bekannte und Arbeitskollegen der Ermordeten sitzen dicht an dicht im Schwurgerichtssaal und es ist mucksmäuschenstill, als Richterin Heike Hartmann-Garschagen das Urteil gegen den 48-jährigen Schwelmer verkündet: lebenslange Haft wegen heimtückischen Mordes an seiner Ehefrau und Mutter des gemeinsamen Kindes. Der Schlusspunkt eines Mammut-Prozesses mit mehr 30 Verhandlungstagen - zumindest vorläufig. Denn: die Verteidiger des Verurteilten haben direkt im Anschluss an das Urteil angekündigt, dagegen Revision einzulegen.
Die Tat am 28. Februar des vergangenen Jahres hatte die Menschen in der Stadt Schwelm und weit darüber hinaus erschüttert. Der Schwelmer hatte an diesem Tag seine Ehefrau, die sich etwa ein Jahr zuvor von ihm getrennt hatte, auf brutalste Weise in ihrer Garage auf einem Hinterhof an der Moltkestraße in Schwelm hingerichtet. 34 Mal stach er auf sie ein, beziehungsweise fügte er ihr Schnittverletzungen zu. Unter anderem durchschnitt er der Mutter des gemeinsamen 15-jährigen Sohnes die Kehle. Davon ist zumindest die Kammer überzeugt, die fast 45 Minuten das Urteil begründete.
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Das war das Ergebnis einer Beweisaufnahme, die sich über fast ein halbes Jahr erstreckte und in deren Rahmen sich mehr als 120 Zeugen den Fragen der Juristen stellten, um zu ergründen, was genau aus welchen Gründen zu der blutigen Tat durch den 48-Jährigen geführt hatte.
Der verlebte eine unspektakuläre Kindheit, beendete die Realschule, arbeitete viele Jahre bei Dorma. Im Jahr 2001 lernte er die Finanzbeamtin kennen, sie verliebten sich ineinander, heirateten vier Jahre später; im Jahr 2009 schließlich erblickte der Sohn das Licht der Welt. Doch damit legte sich ein Schatten über die Familie, denn während die Mutter das Kind liebe- und rücksichtsvoll erzog, war ihr späterer Mörder streng und unnachgiebig. Nach einer Tinnitusbehandlung entwickelte er zudem Angst- und Zwangsstörungen. „Er übernahm die Gewaltkontrolle über Frau und Sohn“, sagte die Richterin. Er kontrollierte unter anderem das Gewicht seiner Frau, machte ihr strenge Vorgaben, der Sohn musste bis in die tiefe Nacht lernen. „Und er drohte seiner Frau bereits, sie zu töten, wenn sie ihn verlässt“, sagte Heike Hartmann-Garschagen.
Doch die unternahm im Jahr 2019 trotz dieser Drohung den ersten Versuch, aus der gemeinsamen Eigentumswohnung in Schwelm auszuziehen. Er kam dahinter, sie blieb doch; bis sie es drei Jahre später nicht mehr aushielt. Sie öffnete sich Bekannten und Arbeitskollegen, die sie in einer geplanten Aktion an einem Samstag aus der Wohnung holten. Sie verschwieg ihrem Peiniger ihre neue Adresse, bis die Schule des Sohnes eine Einwilligung von beiden Eltern wegen einer Klassenfahrt benötigte und dem Vater die Adresse der Mutter mitteilte. „Mutter und Sohn blühten sichtlich auf, genossen ihr neues Leben“, sagte die Vorsitzende Richterin. Auf der anderen Seite war da aber nun der verlassene Ehemann, der immer öfter vor der Tür und auch an der Schule des Sohnes auftauchte.
Irrglaube ist das Mordmotiv
Parallel dazu lief die Kommunikation zur Scheidung und zum Umgang mit dem Kind über die Anwälte. Bald machte der Sohn jedoch unmissverständlich klar, dass er keinerlei Kontakt zu seinem Vater mehr will. Der - davon ist das Gericht überzeugt - ging davon aus, dass die Mutter den Sohn dazu gebracht habe, nichts mehr mit seinem Vater zu tun haben zu wollen. Doch die Gerichtsverhandlung zeigte, dass die Frau zu keinem Zeitpunkt dem Sohn die eigene Entscheidung abgenommen hat. Aus Sicht der Hagener Richterinnen und Schöffen ist dies das Mordmotiv.
Damit, die 50-Jährige zu töten, hat sich der Schwelmer nach Überzeugung des Gerichts bereits seit dem September vor der Tat beschäftigt. Sein Suchverlauf bei Google hatte bereits seit dieser Zeit ergeben, dass er sich beispielsweise über Folgen von Schwerstkriminalität und mit der Lage der menschlichen Organe im Körper beschäftigte.
Am Tattag selbst soll er zwischen 14 und 16 Uhr zur Wohnanschrift seiner Ex gekommen sein - nach Auffassung des Gerichts vorbereitet und mit dem klaren Plan, diese zu töten. Er habe sie vollkommen überrascht mit seinem heimtückischen Angriff, davon ist die Kammer überzeugt. Nach nur einem Schrei habe er ihre Kehle durchgeschnitten und immer wieder mit heftiger Wucht auf sie eingestochen. Schließlich verblutete sein Opfer. Er flüchtete mit dem Fahrrad, zog sich um, versenkte das Rad in der Wupper, vergrub die Tatkleidung und die Mordwaffe.
Er selbst hatte in seinem Geständnis hingegen davon gesprochen, dass es auf dem Garagenhof zu einem Streit mit seiner Ex gekommen sei, beide hätten gerungen, das Messer sei aus seinem Rucksack gefallen, um sich zu wehren, habe er zugestochen. Doch bis auf das Geständnis der Tat an sich schenkte die Kammer seinen Ausführungen keinen Glauben. „Sie kommen zufällig mit einem Messer bei ihrer Frau vorbei, das Messer fällt zufällig auf den Boden und zufällig haben Sie auch noch alles dabei, um die Tat zu vertuschen - das ist mindestens ein Zufall zu viel“, machte die Richterin deutlich.
Neben der vollen Schuldfähigkeit, die der Sachverständige Dr. Nikolaus Grünherz dem Schwelmer bescheinigte, sah das Gericht bis auf die heftigste Gewalt bei der Tat selbst, keinerlei weitere Anzeichen für einen Affekt. All dies floss schließlich zu dem Urteil zusammen, das den 48-Jährige den Rest seines Lebens ins Gefängnis bringt.
Verteidigung kündigt Revision an
Lange hatte der Schwelmer, der noch in der Nacht nach der Tat verhaftet wurde und seitdem in Haft ist, zu den Geschehnissen geschwiegen, im Laufe des Verfahrens über seine Verteidiger Ihsan Tanyolu und Christoph Wortmann jedoch das Geständnis abgelegt. Die beiden Verteidiger kündigten direkt im Anschluss an das Verfahren an, umgehend in Revision zu gehen. Sie sehen einige Dinge vom Gericht nicht korrekt gewürdigt. Mit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes, ob der Fall noch einmal neu verhandelt wird, ist aber wohl frühestens in einem Jahr zu rechnen.
Im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft, die in ihrem Plädoyer klare Belege für einen Mord sah, plädierten die Anwälte des 48-Jährigen, der seine Frau einen Tag nach seinem Geburtstag getötet hatte, auf Totschlag und forderten ein mildes Urteil. Die nun verhängte lebenslange Haftstrafe habe sein Mandant „gefasst aufgenommen“, sagt Ihsan Tanyolu im Gespräch mit der Redaktion.
Zufrieden mit dem Urteil ist hingegen Rechtsanwältin Heike Tahden-Farhat, die den Sohn als Nebenkläger vertrat. Der befindet sich weiterhin in einer Einrichtung, in der er nun aufwächst. „Nichts kann wieder gutmachen, was ihm widerfahren ist. Aber dies ist wenigstens ein erster Abschluss, sodass nun die Trauer und Aufarbeitung beginnen können“, sagte seine Rechtsanwältin nach dem Hagener Urteil, während die vielen Freunde, Bekannten und Arbeitskollegen des Mordopfers schweigend den Gerichtssaal wieder verlassen.
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