Essen. Was als Romanze beginnt, wird für Johann Meyer zum Albtraum: Er wurde Opfer von Betrügern. Mit welcher „genialen“ Masche er hereingelegt wurde.
„Love Scamming“ ist die moderne Form des Heiratsschwindels. Betrügerinnen und Betrüger erstellen auf Social-Media-Plattformen oder Dating-Portalen gefälschte Profile und spielen ihrem Gegenüber die große Liebe vor. Am Ende verfolgen sie jedoch nur ein Ziel: Sie wollen an das Geld ihrer Opfer gelangen. Hier erzählt Johann Meyer (72, Name geändert) aus Nordrhein-Westfalen, mit welcher „genialen Geschichte“ er hereingelegt wurde:
„Das wird mir nie passieren, davon war ich immer überzeugt. Doch am Ende habe ich am eigenen Leib erfahren müssen, dass es jeden treffen kann. Ich habe auf der Dating-Plattform ,gayParship‘ nach einem Partner gesucht. Das war sehr frustrierend: Ich habe mit vielen Männern geschrieben, aber keiner hat wirklich zu mir gepasst.
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Bis ich Dima kennengelernt habe. Er lebte in St. Petersburg, war jung und attraktiv. Wir beide haben uns für Kultur und Musik begeistert. Er arbeitete als Toningenieur, hat mir viele Fotos von sich im Studio geschickt. Wir haben zwei Monate lang jeden Tag geschrieben. Einmal haben wir auch versucht, ein Videotelefonat zu führen. Ich habe eine schemenhafte Gestalt sehen können und noch gehört, wie jemand ,Guten Abend‘ sagte. Aber dann brach Dimas Internetverbindung nach wenigen Sekunden ab. Also blieb es von da an bei den langen Mails, die wir uns täglich hin und her schickten.
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Bis Dima eines Tages sagte, dass er mich gerne in Deutschland besuchen wolle. Er konnte sich die Kosten für die Flüge und das Visum nicht leisten. Also habe ich ihm 1000 Euro überwiesen. Ich hatte schon ein komisches Gefühl dabei, aber ich habe mir gedacht: Das ist es wert, wenn ich diesen netten Mann in echt treffen kann. Er hat sich so gefreut. Sogar seine Mutter, schrieb er, wäre aufgeregt und hätte ein Geschenk für mich vorbereitet.
Opfer von Love Scammern: „Sie gehen raffiniert vor, haben geniale Ideen“
Dima sollte an einem Montagmorgen in Düsseldorf landen. Doch um 5.30 Uhr bekam ich eine Nachricht: ,Ich sitze in St. Petersburg am Flughafen, im Gefängnis des Zolls. Ich kann dich nicht besuchen.‘ Ich war total schockiert und habe natürlich erstmal gefragt, was los sei.
Da schrieb er: ,Meine Mutter hatte mir als Gastgeschenk eine Ikone mitgegeben. Der Zoll hat gesagt, dass die Statue 10.000 Euro wert ist und ich sie nicht außer Landes führen darf. Jetzt sitze ich hier und soll eingesperrt werden. Bitte überweis mir 10.000 Euro, dann darf ich zu dir kommen. Die Ikone kannst du dann ja für das Mehrfache in Deutschland weiter verkaufen.‘
10 Prozent von mir sagten: ,Ach, überweis das Geld. Die Ikone bekommst du bestimmt gut verkauft.‘ Aber zum Glück waren da die 90 Prozent, die sagten: ,Jetzt ist Schluss. Das kann nicht wahr sein.‘ Im Rückblick habe ich erkannt: Das ganz tiefe Bedürfnis nach Liebe lähmt einen darin, rational zu denken. Und genau das nutzen die Betrüger aus. Sie gehen sehr raffiniert vor, haben geniale Ideen, wie sie an das Geld herankommen.
„Mein Anwalt hat nur gelacht und gesagt: ,Sie sind auf einen Scammer hereingefallen‘“
Als ich nicht mehr geantwortet habe, haben sie versucht, ihr Spiel mit noch mehr Dramatik weiterzuspielen. Plötzlich bekam ich eine Mail von einem angeblichen russischen Zollbeamten. In seinem Gefängnis säße Dima, er würde weinen. Und in seinem Büro säße Dimas Mutter, auch sie würde weinen.
Ich könne ihnen nur helfen, wenn ich die 10.000 Euro überweise. Ich antwortete nicht. Dann kam die nächste Mail: Wenn ich das Geld nicht überweise, würde er mich bei Interpol melden und ich dürfte dann gar nicht mehr international verreisen, weil ich verbotenerweise mit einem homosexuellen Russen eine Geschäftsbeziehung gehabt hätte. Das kam mir absurd vor. Trotzdem habe ich mich sehr unter Druck gesetzt gefühlt. Also bin ich zu einem Rechtsanwalt gegangen. Er hat nur gelacht und gesagt: ,Sie sind auf einen Scammer hereingefallen.‘
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Einerseits war ich erleichtert, weil ich wusste, dass niemand meinetwegen im Gefängnis sitzt. Andererseits habe ich mich natürlich sehr geschämt. Bis heute habe mich nur wenigen Leuten anvertraut. Zum Glück habe ich so viel innere Stabilität, dass mich der Betrug nicht ganz aus der Bahn geworfen hat. Und trotzdem ist da immer noch ein kleiner Teil in mir, der der Illusion von Dima hinterher trauert.“
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