Dorsten. „Jeder kann ins Visier von Love Scammern geraten“, warnt Detektiv Jochen Meismann aus Dorsten. Sein krassester Fall – und wie man sich schützt.

Sie lernen sich im Internet kennen, schreiben jeden Tag. Treffen können sie sich nicht, weil er zu weit weg wohnt. Trotzdem fühlt sie sich von ihm verstanden, wie sonst von kaum jemandem. Bald gestehen sie sich ihre Liebe. Als er in Not gerät, ist für sie klar: Sie muss ihm helfen – und schickt ihm Geld. Dann hört sie nie wieder etwas von ihm. „Love Scamming“ nennt man diese Betrugsmasche, die immer häufiger vorkommt. Jochen Meismann und sein Team der „Detektei A Plus“ aus Dorsten helfen Betroffenen. Wie die Betrüger arbeiten und was das mit den Verliebten macht, hat er Leon Pollok im Interview erklärt.

Herr Meismann, Sie haben schon viele Menschen betreut, die Opfer von Love Scamming wurden. Welcher Fall ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Jochen Meismann: Das war der einer Frau aus der Schweiz. Ihr verstorbener Mann hatte ihr die Firma vererbt. Diese hat sie für zwei Millionen Schweizer Franken verkauft – und diese zwei Millionen komplett an einen afrikanischen Liebesbetrüger geschickt. Ihr ganzes Geld ist weg.

Wie groß ist das Problem des „Love Scamming“ weltweit?

Es hat enorme Ausmaße angenommen. Die Schäden, die jedes Jahr entstehen, gehen in die Milliarden. Die Betroffenen verlieren, wenn sie Pech haben, alles, was sie gespart haben, was sie sich ihr Leben lang erarbeitet haben. Sie leiden aber nicht nur finanziell, sondern auch emotional.

Gibt es bestimmte Menschen, die besonders oft auf die Betrugsmasche hereinfallen?

Es betrifft tatsächlich alle Bevölkerungsschichten, vom Professor bis zur Putzfrau. Jeder kann ins Visier von Love Scammern geraten. Tatsächlich sind ältere Menschen aber besonders gefährdet. Sie sind tendenziell noch nicht so vertraut mit den modernen Medien. Und ab einem gewissen Alter haben viele Menschen auch genug Geld, um besonders interessant für die Scammer zu werden. Aber selbst Jugendliche werden schon zu Opfern. Sie sollen dann pro Monat 100, 200 Euro ihres Taschengelds schicken.

Mehr zur Betrugsmasche der „Love Scammer“ lesen Sie hier:

Wie versuchen Sie, den Betroffenen zu helfen?

Am besten ist es natürlich, wenn die Menschen direkt zu uns kommen, wenn sie erste Zweifel haben – und nicht erst, wenn es schon zu spät ist. Wenn sie jemanden im Internet kennengelernt haben, dann können wir überprüfen, ob die Person echt ist.

Wie gehen Sie dabei vor?

Die Betrüger geben sich selten als Deutsche aus, sondern als Amerikaner, Briten oder Franzosen. Oft nutzen sie gefälschte Ausweise. Wir prüfen Datenbanken, die vermeintlichen Adressen. Wenn wir feststellen: Diese Person gibt es nicht, dann müssen wir den Betroffenen beibringen, dass sie hinters Licht geführt worden sind.

Keine leichte Situation. 

Nein. Da brechen Welten zusammen, viele weinen. Und nicht alle wollen den Betrug wahrhaben. Das Rückfallrisiko ist sehr hoch. Wir hatten zum Beispiel einen Klienten, der weit über 100.000 Euro an Love Scammer verloren hat. Er kam zu uns, weil wir eine Frau, die er online kennengelernt hatte, überprüfen sollten. Wir haben festgestellt: Die Frau gibt es nicht. Das haben wir ihm erklärt, mit all unseren Beweismitteln. Ein halbes Jahr später rief dieser Mann wieder bei mir an und sagte: „Ich habe der Frau doch nochmal Geld geschickt.“

>>> Diese Recherche ist zusammen mit Radio K.W., Radio Mülheim, Radio Oberhausen und Radio Emscher Lippe entstanden. Mehr zum Thema zu hören und zu lesen gibt es hier

Die emotionale Abhängigkeit war so groß, dass Sie nicht mehr helfen konnten. Was macht die Betrugsmasche so perfide?

Die Love Scammer bohren sich ins Gehirn ihres Gegenübers und machen sich selbst zu einem festen Bestandteil des täglichen Lebens. Morgens bekommen die Opfer schon eine Nachricht: „Wie geht es dir, hast du gut geschlafen? Was machst du heute?“ Mittags schreiben sie: „Was isst du gerade?“ Und abends dann: „Wie war dein Tag?“

Das heißt, man chattet eigentlich den ganzen Tag nur noch mit den Betrügern.

Genau. Die Täter versuchen, ihre Opfer von ihrem sozialen Umfeld abzukoppeln. Um dann ihr perfides Spiel zu spielen. Das läuft eigentlich immer gleich ab: „Ich bin derjenige, mit dem du den Rest deines Lebens verbringen wirst“, versprechen sie. Dann kommt der Haken: „Du musst nur noch ein bisschen auf mich warten, dann bin ich bei dir. Aber damit ich jetzt bald kommen kann, schicke mir doch ein bisschen Geld.“

Was wissen Sie über die Täter?

Da stecken unserer Erfahrung nach in neun von zehn Fällen afrikanische Banden hinter. Die anderen zehn Prozent sind unseres Wissens nach Betrügerbanden vor allem aus Malaysia, der Türkei und Russland. Der Betrug läuft weltweit, 24 Stunden, rund um die Uhr. Mit Mitarbeitern im Schichtdienst. Das ist ein ganz normales Business. Es gibt Büros, in denen 30 bis 40 Scammer sitzen.

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Und die können sie von Dorsten aus stellen?

Nein, an die tatsächlichen Hintermänner kommen auch wir nicht heran. In den Ländern, in denen die Betrüger leben, haben sie quasi eine Art „Gottstatus“. Sie haben viel Geld, geben anderen Menschen Jobs. Love Scamming ist ein richtiges Geschäft. Dagegen sind auch wir ein Stück weit machtlos. Wir freuen uns zwar, wenn wir potenzielle Opfer vor Schäden bewahren können. Aber das ist bloß ein Tropfen auf den heißen Stein. Für den einen Scammer ist es bitter, dass er dann in dem Moment keine Kohle kassiert. Aber für die ganze Bande fällt das überhaupt nicht ins Gewicht.

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