Hüsten. Investor aus Soest kauft Hüstener Mietshäuser: Komplettsanierung geplant, Mieter müssen ausziehen. Jetzt drehte sogar Sat 1 NRW vor Ort.

Es dauerte nur wenige Stunden nach der Veröffentlichung dieser Zeitung, dass die Menschen mit Handicaps ihre Wohnungen in zwei Mietshäusern in Hüsten zwecks Kernsanierung verlassen müssen, bis der Fernsehsender Sat1 1 NRW auf Ute Dobbert und ihre Nachbarn zukam. „Wir waren selbst total überrascht“, so Dobbert. Schon am nächsten Tag dreht ein mobiles Team vor Ort. Wann der Beitrag ausgestrahlt werde, könne noch nicht gesagt werden. Geplant war zunächst der Beginn dieser Woche.

Was davor geschah: „Ich will hier nicht weg“

„Ich will hier nicht weg“, sagt Nadine Wojcikowski, „hier ist unser Zuhause!“ Der 42-Jährigen fließt eine Träne über die Wange. „Mein Mann hat einen Hirntumor - er ist kaum noch in der Lage, sich alleine draußen zu orientieren. Diese Umgebung kennt er zumindest.“ Ute Dobbert (55), Nachbarin und enge Freundin, tröstet sie. „Man lernt sich kennen, wächst zusammen und unterstützt sich gegenseitig“, sagt sie, „das hier ist nicht nur Wohnen, sondern Gemeinschaft!“

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Doch das soll schon bald der Vergangenheit angehören. Denn die beiden nebeneinander stehenden Wohnhäuser auf den Straßen Althüsten und Ludgeristraße in Hüsten mit aktuell neun Wohnparteien sind an einen Soester Investor verkauft worden. „Und dieser will uns nun hier raus haben, um Luxussanierungen durchzuführen“, sagt Dobbert.

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„Notwendige energitsche Sanierung“

„Es ist richtig, dass die KD Bauträger GmbH & Co. KG die genannten Mehrfamilienhäuser in Hüsten erworben hat“, teilt Olaf Klüsener als Kommanditist der Gesellschaft mit. „Diese werden im Rahmen einer notwendigen energetischen Sanierung komplett kernsaniert inkl. Wärmepumpe, Solaranlagen, Dämmmaßnahmen und einer entsprechenden Verkabelung und so weiter.“ Auf die Frage, in welchem Zeitabschnitt dies geschehen soll, reagieren er und sein Geschäftspartner Jochen E. Dohle nicht. Auch nicht darauf, dass die aktuellen Mieterinnen und Mieter ihre Wohnungen dafür verlassen müssen.

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Ute Dobbert lebt seit etwa neun Jahren in einem der beiden Häuser, die nun saniert werden sollen - gemeinsam mit ihrem Mann Jan auf 40 Quadratmetern, mit Balkon 55. „Ich habe eine Gehbehinderung“, so die Rollstuhlfahrerin, die nur kurze Strecken am Gehstock schafft. Auch psychisch sei das Paar angeschlagen. Schon des Öfteren sei ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen worden - sie beide seien Traumapatienten. „Wir haben bereits einige Schicksalsschläge gemeinsam durchlebt“, sagt Ute Dobbert.

Für die miteinander befreundeten Nachbarn ist es mehr als nur das Wohnen - sie haben Angst, ihre Gemeinschaft zu verlieren.
Für die miteinander befreundeten Nachbarn ist es mehr als nur das Wohnen - sie haben Angst, ihre Gemeinschaft zu verlieren. © WP | Thora Meißner

Mit „uns“ meint sie nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Nachbarin Nadine Wojcikowski sowie Nursen und Günal Sentürk, Nachbarn aus dem ersten Stock. Beide taubstumm. Unter anderem lebe auch noch eine 83-jährige Frau dort, die unter der Krankheit MS (eine autoimmune, chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems) leide.

„Wo sollen wir hin?“

Mitte Juli dieses Jahres erhalten die Mieter der beiden Häuser ein Schreiben ihres bis dahin zuständigen Vermieters. „Zum Stichtag 18.06.2024 haben wir die Immobilien an die KD Bauträger GmbH & Co. KG veräußert“, heißt es darin. Ebenfalls enthalten die neue Bankverbindung für die Mietzahlungen sowie die Kontaktdaten „für Angelegenheiten des Käufers“.

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Direkt greift Ute Dobbert zum Telefon - ruft den im Schreiben genannten Jochen Dohle an. „Er war ehrlich“, sagt sie, „für ihn ist das ein Investitionsprojekt. Er sagte mir, dass er uns allen - sobald er im Grundbuch eingetragen ist - die Kündigung der Mietwohnungen zukommen lassen würde. Wir sollten jetzt schon einmal nach einer neuen Bleibe suchen.“ Auch er selbst, so erzählt Ute Dobbert weiter, habe sich schon mit unterschiedlichen Immobilienmaklern und Wohnungsgesellschaften in Verbindung gesetzt, um „Ersatzwohnungen“ zu vermitteln. „Aber so einfach ist das nicht - wir stocken unsere Frührente mit Bürgergeld auf, müssen uns also an die Miethöhenvorgaben halten“, so Dobbert, „und wir haben einen Hund.“ Zwei der von ihr angerufenen Wohnungsgesellschaften hätten beim Thema Hund schon direkt abgewinkt.

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Ein weiteres Problem seien die negativen Schufa-Einträge, die das Paar aufgrund alter Schulden noch habe. „Da wurde mir am Telefon direkt gesagt, dass man uns mit negativem Eintrag nicht nehme. Wo sollen wir hin?“ Ganz zu schweigen davon, dass sie selbst den Umzug gar nicht managen könnten. „Wir haben niemanden! Außer unsere Nachbarn.“ Familie Sentürk habe sich ihre Wohnung teuer renoviert und eingerichtet, lebe seit 22 Jahren in dem Haus - und nun sollten sie raus?

Das alles habe sie auch dem Investor gesagt - ohne Erfolg. „Als ich ihm sagte, dass wir uns dann einen Rechtsanwalt nehmen würden, meinte er, dann wisse er ja, woran er bei uns sei“, so Dobbert, „Und: Einen Rechtsanwalt könnten wir uns ja eh nicht leisten.“

Mitten in Hüsten - gut vernetzt, gute Infrastruktur

Die Straßen Althüsten und Ludgeristraße befinden sich im Zentrum Hüstens - fußläufig erreichbar sind Bushaltestellen, Lebensmittelläden und auch Arztpraxen. Genau das ist es, was das Paar Dobbert seit 25 Jahren - seidem es in Hüsten wohnt- prägt. „Es ist alles ebenerdig, ich komme auch mit dem Rollstuhl problemlos überall hin. Wir leben hier mitten im Geschehen - und nicht irgendwo abseits. Und jetzt sollen wir irgendwo in Alt-Arnsberg auf den Berg ziehen?“, fragt Ute Dobbert.

Das macht den drei Hüstener Mietparteien Angst. Denn auch, wenn sie eine neunmonatige Kündigungsfrist haben, sehen sie keine Chance auf eine adäquate Ersatzwohnung. „Die nehmen uns unser Zuhause weg“, sagt Nadine Wojcikowski, „diese freundschaftliche Verbindung, die sich zwischen uns als Nachbarn aufgebaut hat, werden wir anderswo niemals haben.“