Arnsberg. Nach tödlicher weiblicher Genitalbeschneidung ihrer ersten Tochter flieht Aminata Bangoura mit ihrer zweiten Tochter. Sie bricht mit ihrer Heimat

Noch heute spürt sie den Schmerz, wenn sie daran denkt, sagt Aminata Bangoura. Dann sehe sie ihre Oma vor sich - mit dem Messer, wie sie ohne Betäubung und ohne mit der Wimper zu zucken ihre Genitalien beschneidet. „Ich weiß noch ganz genau, was an diesem Tag geschehen ist, obwohl ich erst drei Jahre alt war.“ Es bleibt im Kopf, immer, sagt sie.

Die 32-Jährige ist Opfer einer weiblichen Genitalbeschneidung, wie etwa 200.000 andere Frauen weltweit auch. Denn in 31 afrikanischen Ländern, in einigen Teilen Südostasiens, im Nahen Osten und in der russischen Teilrepublik Dagestan wird diese Praxis oft noch gelebt. Aminata Bangoura kommt aus Guinea. Dort sind rund 95 Prozent der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren betroffen.

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Die weibliche Genitalbeschneidung (auch Genitalverstümmlung genannt) ist ein gewalttätiger Eingriff in den Körper eines Mädchens, der schwerste Schäden hinterlässt und nicht rückgängig gemacht werden kann. Dabei werden den Mädchen der sichtbare Teil der Klitoris und häufig auch die Schamlippen herausgeschnitten. Oftmals nicht in einem Krankenhaus, sondern zu Hause.

„Ich saß auf dem Schoß meiner Mama“, sagt Aminata Bangoura. Sie schluckt. „Meine Oma hat mich dann da heruntergerissen und ist in einen anderen Raum mit mir gegangen.“ Es seien meistens die Großmütter, die die weibliche Genitalbeschneidung an den Mädchen vornähmen. Zuhause, mit einem scharfen Gegenstand. Schon ab drei Monate nach der Geburt. Ohne Betäubung.

Erste Tochter stirbt wegen Genitalverstümmlung

„Afrikanische Männer finden es ekelig, wenn eine Frau nicht beschnitten ist.“ In Guinea sei es fest in den Familien verankert. Die Auswirkungen, die dies auf die Mädchen und Frauen hat, seien von den Männern gewünscht. „Ich spüre nichts – beim Geschlechtsverkehr. Genau das wollen die Männer. Damit die Frauen keine Lust auf andere Männer bekommen.“ Es diene der Unterdrückung der weiblichen Sexualität und der Frau als solche. „Um sie zu kontrollieren, Frauen haben in Afrika nichts zu sagen!“

Als Aminata Bangoura ihre erste Tochter zur Welt bringt, wird diese bereits mit sieben Monaten beschnitten. „Ich wollte es nicht, aber die Familie. Mein Mann, meine Eltern, seine Eltern. Alle. Meine Tochter blutete sehr stark. Es hörte nicht auf. Dann bekam sie eine Blutvergiftung. Sie starb wenige Wochen später.“ Noch heute fühlt sie sich schuldig. „Ich habe meine Tochter nicht beschützt!“ Das nage an ihren Nerven, auch wenn sie praktisch nichts gegen die Macht der Familie hätte machen können. Jährlich werden vier Millionen Mädchen Opfer dieser Gewalt, heißt es auf den Webseiten des Vereins saida international – der Verein setzt sich für entsprechende Mädchen- und Frauenrechte ein. Geschätzt 15 Prozent der Opfer sterben an den direkten Folgen, wie Verbluten oder Infektionen.

„Ich wollte es nicht, aber die Familie. Mein Mann, meine Eltern, seine Eltern. Alle. Meine Tochter blutete sehr stark. Es hörte nicht auf. Dann bekam sie eine Blutvergiftung. Sie starb wenige Wochen später. Ich habe meine Tochter nicht beschützt!“

Aminata Bangoura

Die junge Frau ist gebildet, lernte in der Schule. „Ich hatte Ahnung – und doch habe ich mein Kind nicht beschützt.“ Viele gebildete afrikanische Frauen würden sich gegen diese gefährliche Verstümmlung der weiblichen Genitalien stellen. Notfalls fliehen. Doch das sei nicht so einfach. Als ihre zweite Tochter das Licht der Welt erblickt, will die Familie das Baby bereits im Alter von nur drei Monaten beschneiden. Bangoura wehrt sich; sagt nein. Aber die Tradition entscheidet. „Doch dann wurde meine Tochter krank und musste ins Krankenhaus“, sagt sie, „nach der Behandlung habe ich mir meine Tochter geschnappt und bin geflohen.“

„Mama, ich bin stolz auf dich!“

Die damals 22-Jährige bricht mit ihrem Mann, mit ihren Eltern, Großeltern – und mit ihrer Heimat. Lässt ihr begonnenes Medizin-Studium hinter sich. „Nur so konnte ich meine Tochter retten.“ Sie flieht mit ihrer neun Monate alten Tochter aus Guinea – und lebt seit November 2015 in Arnsberg, Stadtteil Oeventrop. „Meine Tochter und ich wurden ins Krankenhaus gebracht und Frau Doktor hat uns untersucht“, sagt Aminata Bangoura. Dabei sei bestätigt worden, dass sie selbst beschnitten sei, ihre Tochter aber nicht. „Dann haben wir Asyl bekommen.“ Rund ein Jahr später holt sie ihre beiden Söhne aus Guinea nach.

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„Das ist nicht die Regel, dass die Genitalverstümmlung als Asylgrund akzeptiert wird“, sagt Simone Schwarz, Vorsitzende des Vereins Saida international. „Da hat die junge Frau wirklich Glück gehabt, dass sie so viele Unterstützerinnen hinter sich hatte. Viele Frauen müssen lange darum kämpfen.“

Aminata Bangoura beginnt eine Ausbildung zur Altenpflegerin, schließt diese ab. „Ich arbeite gerne in dem Beruf – mit und für Menschen“, sagt sie. Doch oft, des Abends, erinnert sie sich an ihr dreijähriges Ich zurück. „Manchmal weine ich dann auch.“ In Arnsberg ermöglicht sie ihrer mittlerweile zehnjährigen Tochter ein Leben ohne Qual, ein Leben in Sicherheit und Freiheit – ohne eine genitale Beschneidung. Irgendwann habe ihre Tochter mal gefragt, warum sie keinen Kontakt zur afrikanischen Familie habe. „Als ich es ihr erklärte, sagte sie: Mama, ich bin stolz auf dich!“ Ihre Tochter geht nun in die fünfte Klasse eines Gymnasiums und möchte Rechtsanwältin werden.