Medebach. Vater und Sohn versetzen Dreislar in Angst. Vor Gericht offenbart sich ein Familiendrama. Es bleiben Fragen ungeklärt, aber es gibt ein Urteil.

Sie versetzten ein Dorf im Sauerland tagelang in Schrecken: Ein Vater (51) und sein Sohn (20) müssen sich vor Gericht für mehrere Brandstiftungen und Sachbeschädigungen in und um Medebach verantworten (wir berichteten). Nach dem ersten Verhandlungstag geht es nun um nicht weniger als die Entscheidung, ob die beiden für ihre Taten ins Gefängnis müssen.

Brandstiftungen bei Medebach: Verteidiger legt aufwühlenden Brief vor

Nachdem Richter Schwens am ersten Verhandlungstag Ordnung in das Chaos von 15 Anklagepunkten - darunter Brandstiftungen in einem Bürogebäude, auf einem Feld sowie an zwei Autos und Sachbeschädigungen in Form von Spray-Parolen - bringen musste, stehen am zweiten Verhandlungstag die Zeugenaussage des zweiten Sohnes des Angeklagten, das Brandgutachten sowie ein Gutachten der Jugendgerichtshilfe an. Zuvor aber wendet sich der Verteidiger des Vaters, Rechtsanwalt Oliver Brock, mit einem Brief an den Richter mit der Bitte, ihn als Beweismittel aufzunehmen. Den Brief schrieb der Angeklagte an seinen Vater, während beide in U-Haft saßen. Richter Schwens liest ihn komplett vor.

„„Ich will hier nicht mehr sein. Es tut mir alles so leid, ich liebe dich. [...] Ich hoffe, egal was ist, wir halten zusammen.““

Angeklagter (20)
im Brief an seinen Vater

Immer wieder schreibt der Angeklagte aus Medebach: „Ich liebe dich!“

Der 20-Jährige schreibt: „Es tut mir leid, das alles so ist, wie es ist. Ich vermisse dich.“ Er schreibt, dass er fürchtet, dass seine Freundin enttäuscht sei, dass er nie gedacht habe, dass ihm jemals so etwas passieren würde. „Ich will hier nicht mehr sein. Es tut mir alles so leid, ich liebe dich. [...] Ich hoffe, egal was ist, wir halten zusammen.“ Dann zitiert er aus dem Lied einer Band: „Die schönsten Tage waren die Nächte, nichts konnte uns stoppen.“ Er schildert seinem Vater in dem Brief, wie er die U-Haft empfindet. Immer wieder unterbricht er seine Erzählung, um ihm zu sagen wie sehr er ihn liebe, dass er der beste Papa der Welt sei, dass er ihn vermisse. Jeden Abend stelle er sich ans Fenster um ihm zu erzählen, wie sein Tag gewesen sei. „Ihr seid das erste und letzte, woran ich denke.“ Er beendet seinen Brief mit einer langen Aufzählung von Eigenschaften und Gründen, wieso sein Vater der beste Vater der Welt sei. Während der Brief vorgelesen wird, massiert der Angeklagte sich die Nasenwurzel, legt das Gesicht in die Hände. Seinen Vater schaut er nicht an, während dieser minütlich zu seinem Sohn hinüber blickt.

Die beiden Angeklagten mit dem Verteidiger des Vaters, Oliver Brock (3. von links)
Die beiden Angeklagten mit dem Verteidiger des Vaters, Oliver Brock (3. von links) © WP | Benedikt Schülter

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Medebach: Brandstiftung nur aus Angst vor dem Vater?

Brock ist sicher: So einen Brief schreibe der junge Mann nicht, wenn er Angst vor seinem Vater habe. Am ersten Verhandlungstag argumentierte der 20-Jährige noch, er sei in den Nächten nur mitgegangen, weil er Angst vor seinem Vater gehabt habe. Davor, geschlagen zu werden.

Kriminelle Serie in Dreislar
Im vergangenen Jahr ist in Dreislar ein Auto angesteckt worden, weiter wurden zwei Wände und zwei Kreuze mit rechten und linken Parolen beschmiert. © Rita Maurer | Rita Maurer

Sein Bruder, 22 Jahre alt, bestreitet auf Nachfragen des Gerichts im Zeugenstand, dass der Vater jemals eines der Kinder geschlagen habe. Auch auf den Hinweis des Angeklagten hin, dass der Vater in einer Nacht die gemeinsame Schwester - zu der eigentlich ein Kontaktverbot mit dem Vater besteht - mit einem Schlagstock geschlagen und diese daraufhin durch die Polizei in einer Notunterkunft untergebracht worden sei, schüttelt er den Kopf. „Er hat uns nie ansatzweise geschlagen.“ Bei den Brandstiftungen sei er nie dabei gewesen, habe nur wenig mitbekommen, sagt der Bruder. Mal sei mitten in der Nacht sein Bruder mit einer Sturmmaske in sein Zimmer im gemeinsamen Haus in Dreislar gekommen, habe ihm von dem brennenden Ford Fusion berichtet. Einmal seien sowohl sein Bruder als auch sein Vater mitten in der Nacht hereingekommen. „Ich sagte: Bist du nicht ganz dicht? Das kann für mich Probleme geben.“ Weiter sei Zuhause nicht über die Taten gesprochen worden. Nur in einer Nacht ist er mit seinem Bruder unterwegs gewesen, als dieser Parolen an eine Kirche gesprüht hat. Er bestreitet, dass er die Sprühflasche benutzt habe, um einen Penis an die Kirchenwand zu sprühen, er habe nur daneben gestanden. Ansonsten habe man aneinander vorbeigelebt.

„Dann begann die Abwärtsspirale, er hatte keinen festen Wohnsitz mehr, war haltlos, arbeitslos.““

Jugendhilfe
über den Mitarbeiter

Jugendhilfe berichtet über Angeklagten aus Medebach: Traurige Kindheit

Die Jugendhilfe zeichnet ein trauriges Bild über die Kindheit des 20-Jährigen Angeklagten. Nach der Trennung der Eltern lebte er bei seiner Mutter, bis der neue Lebensgefährte gewalttätig wurde. Aufgrund dessen und einer Unterversorgung der Kinder wurden alle vier Geschwister aus der Familie genommen. Bis er 16 Jahre alt ist, lebt der Angeklagte in einer Wohngruppe bei Hagen, macht den Hauptschulabschluss. Sein Vormund berichtet von einer positiven Entwicklung. Dann wünscht sich der Angeklagte, bei seiner Mutter zu leben. Doch es kommt zum Streit, die Kinder seien nicht mehr im Haushalt der Mutter erwünscht gewesen. „Dann begann die Abwärtsspirale, er hatte keinen festen Wohnsitz mehr, war haltlos, arbeitslos“, so die Jugendhilfemitarbeiterin. Sie attestiert ihm aufgrund seiner Gewalterfahrung und der vielen familiären Brüche eine Reifeverzögerung. In dieser „absoluten Lebenskrise“ habe er sich bei seinem Vater gemeldet, sei nach Dreislar zu ihm und den Großeltern gezogen. Die Kontaktaufnahme zum Vater habe beiden nicht gut getan. Dieser sei aufgrund von Alkohol- und Drogenkonsum beim Jugendamt bekannt. Auch eine „gewisse Grenzenlosigkeit“ sei aufgefallen. Der 51-Jährige stammt selbst aus schwierigen Familienverhältnissen. Seine Eltern trennten sich früh, seinen leiblichen Vater nennt er nur „Erzeuger“. Er arbeitete lange als KFZ-Mechaniker, war bei der Bundeswehr. Nach der Trennung von der Mutter der vier gemeinsamen Kinder geht es für ihn bergab. Seit 2002 hat er zahlreiche Vorstrafen, meist wegen Trunkenheit im Verkehr, Betrugs oder Schwarzfahrens.

Kriminelle Serie in Dreislar
In der Nacht von Donnerstag auf Freitag ist in Dreislar erneut ein Auto angesteckt worden, weiter wurden zwei Wände und zwei Kreuze mit rechten und linken Parolen beschmiert. © Rita Maurer | Rita Maurer

Warum Brände bei Medebach gelegt: Ging es um ein Zugehörigkeitsgefühl?

Bevor die Staatsanwaltschaft die Anklage verliest, wendet sich Richter Schwens an den Angeklagten. „Warum haben Sie die Brände gelegt?“, fragt er. Der 20-Jährige zuckt die Achseln. Sein Bruder meldet sich für ihn. Er glaubt, Auslöser seien die Trennung von der Freundin und der Tod des Opas gewesen. Bei diesen Worten schluchzt der Angeklagte. Mehrere Minuten weint er lautlos, seine Schultern zucken. Sein Vater sieht ihn immer wieder an, unruhig. In seinem Blick liegt Mitleid. „Meine Freundin war das einzige, das mich gehalten hat. Sie war mein Rückzugsort“, sagt der 20-Jährige nur.

Urteile im Falle der Brandstiftungen Medebach fallen milde aus

Hans-Werner Schwens
Hans-Werner Schwens führt den Vorsitz beim Brandstifter-Prozess im Amtsgericht in Brilon.   © WP | Benedikt Schülter

Oberstaatsanwalt Thomas Poggel argumentiert in seiner Anklage mit der Schwere der Schuld. So sei bei dem Büro-Brand ein Schaden von rund 210.000 Euro entstanden, die brennenden Silos hätten einen weitaus größeren Schaden anrichten können. Strafmildernd für den 20-Jährigen wirkt sich seine Reifeverzögerung und sein Geständnis vor Gericht aus. Die Staatsanwaltschaft fordert für ihn 1 Jahr und 6 Monate Jugendstrafe ausgesetzt auf Bewährung. Der 51-Jährige kommt bei Poggel nicht gut weg, er ist überzeugt, dass der Vater in zwei Nächsten ebenfalls an den Brandstiftungen beteiligt gewesen sei, auch wenn dieser alles abstreitet. Er fordert - aufgrund der Vorstrafen - eine Haftstrafe von 2 Jahren und 4 Monaten. Oliver Brock fordert für seinen Mandanten einen Freispruch, dass der Vater in den Nächten dabei gewesen sei, sei nicht nachweisbar. Verteidiger Thorsten Reimer schließt sich der Forderung der Staatsanwaltschaft für seinen Mandanten an.

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Vater und Sohn aus Medebach kommen mit Bewährung davon

Anderthalb Stunden nach den Plädoyers ist klar: Keiner der beiden Angeklagten muss ins Gefängnis. Der 20-Jährige bekommt die geforderte Jugendstrafe auf Bewährung und muss 200 Sozialstunden ableisten. Sein Geständnis und seine Reifeverzögerung hätten bei der Urteilsfindung eine wichtige Rolle gespielt. Außerdem habe er nun einen festen Wohnsitz und eine Ausbildung in Aussicht, das zeige seinen Willen, Struktur in sein Leben zu bringen. Die Erfahrung der U-Haft habe ihn so nachhaltig geprägt, dass nicht davon auszugehen sei, dass er so bald wieder straffällig werde. Sein Vater bekommt eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren, ausgesetzt zur Bewährung sowie 150 Sozialstunden. Man gehe davon aus, auch durch verschiedene Whatsapp-Nachrichten, dass der Vater an den Silobränden und an dem brennenden VW-Caddy beteiligt gewesen sei. Man wolle aber die beiden Angeklagten nicht unfair behandeln und da die Vorstrafen des Vaters auf einem anderen Gebiet bestünden, sei eine Bewährungsstrafe „vertretbar“ gewesen. Das Urteil über den 20-Jährigen ist rechtskräftig, während die Staatsanwaltschaft andeutete, dass man über den Fall des Vaters noch einmal nachdenken werde.

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