Brilon. Traurige Rekorde im HSK. Inobhutnahmen von Kindern durch das Jugendamt hoch wie seit Jahren nicht mehr. Die Ursachen und Abläufe.

Ein Kind, das verzweifelt Hilfe sucht, ein Jugendlicher, der selbst zum Telefon greift, weil niemand seine Not sieht – solche Schicksale stehen hinter den Zahlen, die IT.NRW veröffentlicht hat. 156 Mal mussten die Jugendämter des HSK im vergangenen Jahr Kinder und Jugendliche in Obhut nehmen – so oft wie seit 2016 nicht mehr. Hinter jeder Zahl steckt ein Einzelschicksal: Situationen, in denen das Zuhause nicht mehr sicher war, die Eltern ausfielen oder Einrichtungen plötzlich Hilfe einstellten. Besonders tragisch sind die Fälle, in denen junge Menschen selbst die Initiative ergriffen, weil sie keinen anderen Ausweg sahen.

Mehr Zahlen aus dem Hochsauerlandkreis

Eine Anfrage beim Hochsauerlandkreis liefert weitere Einblicke: Martin Reuther, Sprecher des HSK, weist zunächst darauf hin, dass sich die Zahlen von IT.NRW auf alle Jugendämter beziehen - die von ihm genannten Zahlen jedoch nur auf das Jugendamt des Kreises. Die Gemeinden Arnsberg, Sundern und Schmallenberg haben eigene Jugendämter. Daher dürften die Gesamtzahlen für den Kreis noch höher liegen.

Im Jahr 2024 gab es bisher 51 Inobhutnahmen durch das Jugendamt des HSK. In 24 dieser Fälle handelte es sich um unbegleitete minderjährige Ausländer. Darüber hinaus erhielt das Jugendamt des HSK 2024 bereits 366 Mitteilungen über mögliche Kindeswohlgefährdungen – ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren, in denen die Zahl unter 300 lag. Reuther erklärt: „Es ist zu beachten, dass von einer Mitteilung mehrere junge Menschen betroffen sein können.“ In fünf der Fälle von 2024 waren es die jungen Menschen selbst, die auf die Missstände hinwiesen. Kinder oder Jugendliche, die so frustriert und verzweifelt waren, dass sie selbst handeln mussten, weil niemand sonst ihre Probleme wahrnahm.

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Wenn ein Kind oder Jugendlicher eine Inobhutnahme beantragt, muss diesem Wunsch gesetzlich entsprochen werden. Reuther ergänzt: „Das Jugendamt des Hochsauerlandkreises bietet in allen Kommunen Sprechstunden an.“ Zugänge zum Jugendamt könnten aber auch über Schulen, Kitas, Jugendzentren oder Vertrauenspersonen erfolgen. Generell werde der Kinderschutz stetig verbessert. Regelmäßige Arbeitsgemeinschaften mit Schulen und Kitas sollen die Zusammenarbeit stärken.

Ursachen für Inobhutnahmen

Der Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren lässt sich auf verschiedene gesellschaftliche Veränderungen zurückführen. Reuther sagt, dass die Übernahme der Sorge nicht ausschließlich auf Kindeswohlgefährdungen zurückzuführen sind: „Eine häufige Ursache für Inobhutnahmen sind seit geraumer Zeit auch plötzliche Hilfebeendigungen durch Einrichtungen der Jugend- oder Eingliederungshilfe, Pflegefamilien oder einen Behandlungsabbruch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie.“ Auch psychiatrische Probleme, Überforderung oder krankheitsbedingter Ausfall der Eltern können zu einer Situation führen, die den Einsatz des Jugendamtes notwendig macht. Dabei könnte es sich zum Beispiel auch um Autounfälle handeln, bei denen Eltern verunglücken und die Kinder vorübergehend versorgt werden müssen.

Ablauf einer Inobhutnahme

Der Prozess einer Inobhutnahme beginne in der Regel mit einer Vorsprache beim Jugendamt. In einem Gespräch werde die Situation gemeinsam mit den jungen Menschen und ihren Eltern besprochen. In nicht akuten Fällen reichen Beratungsangebote oder andere Hilfsmaßnahmen oft aus. Grundsätzlich werde versucht, mit den Sorgeberechtigten eine Lösung zu finden – sofern dies den Schutz des Kindes oder Jugendlichen nicht gefährdet. Wie zum Beispiel, wenn Eltern gewalttätig gegenüber ihren Kindern wären.

Kinder und Jugendliche werden altersgerecht in den Prozess eingebunden, erklärt Reuther. Zwei Fachkräfte verschaffen sich einen persönlichen Eindruck von der Situation. Erst wenn diese Maßnahme als geeignet betrachtet werde, um die Krise zu bewältigen, erfolgt die Übernahme der Sorge. Sollte eine solche Maßnahme ohne das Einverständnis der Sorgeberechtigten durchgeführt werden, wird der Fall vor das Familiengericht gebracht. Dort werde geprüft, ob eine Entziehung des Sorgerechts notwendig ist. Diese Entscheidung obliege allein dem Familiengericht.

Es ist stets das Ziel, eine Inobhutnahme schnellstmöglich zu beenden. Sie ist nur vorübergehend angelegt. Sobald die innerfamiliäre Situation es zulässt, sollte das Kind wieder nach Hause zurückkehren. Kann die Konfliktsituation jedoch nicht gelöst werden, wird ein neues Zuhause für das Kind gesucht, damit es endlich wieder glücklich sein kann.