Dortmund. Eine eingemauerte Leiche, unterirdische Gänge und Nazi-Verbrechen: Krimi-Autorin Heike Wulf führt True-Crime-Fans zu Dortmunds Schattenseiten.

„Wenn Sie abreißen Haus worin Diskothek ist, Helle Straße Numero neun, Sie finden Überraschung große in Wände“: Als dieses anonyme Schreiben beim Dortmunder Polizeipräsidium eingeht, können die Beamtinnen und Beamten noch nicht wissen, dass sie dadurch einen der skurrilsten Fälle der Stadt aufdecken werden.

Als die Spürhunde kurze Zeit später den besagten Club, das „Spirit“, durchsuchen, machen sie in dessen Keller eine schreckliche Entdeckung. „In den Wänden wurde eine Leiche eingemauert. Und zwar die vom Geldverleiher Jupp“, sagt Stadtführerin Heike Wulf, als sie vor dem Gebäude stehen bleibt.

Eingemauerte Leiche im ehemaligen Dortmunder Club „Spirit“

Kriminalfälle wie diesen kennt Wulf etliche. Auf ihrer Führung nimmt die Krimi-Autorin ihre Gäste mit auf eine Reise zu den Schattenseiten der Stadt. „In der Zeit, in der viele Gastarbeiter nach Dortmund kamen, war man froh, dass es Geldverleiher wie Jupp gab. Er hat vielen Menschen Geld gegeben, auch den Betreibern eines griechischen Restaurants“, erzählt sie.

Doch die Restaurant-Inhaber konnten ihre Schulden nicht begleichen – und erschossen den Geldverleiher. „Sie haben die Leiche mit einem Lieferwagen hierhergebracht und im Keller eingemauert. Seitdem hieß es, dass man im Spirit auf einer Leiche getanzt hat.“

Dortmunder Tatort feiert 2022 sein zehntes Jubiläum

Ob Mord, Drogenhandel, Zwangsprostitution, Waffenhandel, unterirdische Gänge, Schutzgelderpressungen, ausländische Clans oder Nazis: Die Verbrechen in der Stadt könnten zahlreiche True-Crime-Podcast-Folgen füllen und liefern ausreichend Inspiration für den beliebten Dortmunder Tatort, der in diesem Jahr sein 10. Jubiläum feiert und dessen Drehorte Wulf auf ihrem Rundgang vorstellt.

Hauptschauplatz des Verbrechens: die Nordstadt. Der Bezirk mit seinen knapp 60.000 Einwohnern ist für einige gar zur No-go-Area geworden, sagt Wulf: „Es gibt hier regelmäßig Revierkämpfe, bei denen sich bewaffnete Leute Straßenschlachten liefern. Man fühlt sich in der Nordstadt manchmal wie im Wilden Westen.“

Steinwache in Dortmund als „die Hölle von Westfalen“

Ein wichtiger Ort im Viertel: die Steinwache, auch bekannt als „die Hölle von Westfalen“. Ab 1933 nutzte die Gestapo die Polizeiwache als Gefängnis. 30.000 Verfolgte des Naziregimes wurden dort verhört und misshandelt, viele von ihnen sogar ermordet.

„Ihr Leiden mahnt uns, Menschenwürde und Freiheit zu verteidigen“, heißt es auf einer Tafel, die am alten Gemäuer angebracht ist. Heute ist die Steinwache eine Gedenkstätte, die Ausstellung und die ehemaligen Gefängniszellen können kostenlos besichtigt werden.

Die Steinwache erinnert in Dortmund an die Verbrechen des Nazi-Regimes.
Die Steinwache erinnert in Dortmund an die Verbrechen des Nazi-Regimes. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann Funke Foto Services

Denkmal erinnert in Dortmund an NSU-Mordopfer

Vor dem Eingang zum Museum erinnert seit 2013 ein Denkmal an ein weiteres Verbrechen, die Botschaft dahinter ebenfalls: „Nie wieder!“ Wulf fährt mit ihren Fingern langsam über die Namen, die in eine graue Steintafel eingraviert sind – und stoppt bei Nummer Sieben: Mehmet Kubaşık.

Der 39-Jährige wurde am 4. April 2006 in seinem Kiosk vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) ermordet. „Es war ein Zufallsopfer. Er hatte türkische Wurzeln, das hat gereicht. Sie sind einfach in seinen Kiosk rein und haben ihn erschossen. Es wurde sogar jemand mit Springerstiefeln gesehen“, erinnert sich Wulf.

Rechtsradikale fühlen sich in Dortmund zu Hause

Dass Dortmund ein großes Problem mit Anhängern der rechtsradikalen Szene hat, ist bundesweit bekannt. Ein weiterer trauriger Höhepunkt: der Ostermontag im Jahr 2005. Thomas Schulz, genannt „Schmuddel“ war an diesem Abend mit seinen Freunden auf dem Weg zur linken Szenekneipe „Hirsch-Q“.

In der U-Bahn­station Kampstraße, die Wulf auf ihrer Tour ansteuert, traf er auf den damals 17-jährigen Neonazi Sven Kahlin. Zwischen den beiden entwickelte sich ein Streit, Kahlin zückte ein Messer und stach auf Schulz ein, der wenig später seinen Verletzungen erlag.

Krimi-Autorin Wulf: „In Dortmund war der Hotspot der Nazis“

Kahlin wurde zum Helden der Szene, „1:0 für Dortmund“ oder „In Dortmund lebt man auf Messers Schneide“ lauteten nach der Tat die Parolen der Rechtsradikalen. Zu Hochzeiten sollen bis zu 120 Menschen im sogenannten Nazi-Kiez im Stadtteil Dorstfeld gelebt haben.

Heute seien es noch an die 90, sagt Wulf: „In Dortmund war der Hotspot der Nazis oder er ist es wahrscheinlich leider immer noch. Aber es ist mittlerweile ruhiger geworden. Einige Nazis haben sogar gesagt, Dortmund ist verloren.“

Linker Szenetreff in Dortmund: „Hirsch-Q“.
Linker Szenetreff in Dortmund: „Hirsch-Q“. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann Funke Foto Services

Bürger leisten in Dortmund Widerstand gegen Nazis

Zu verdanken sei das vor allem der Bevölkerung, die enormen Widerstand gegen die rechte Szene leiste. „Immer, wenn die Nazis aufmarschiert sind, sind mehr als dreimal so viele Menschen dagegen auf die Straßen gegangen. Sie wollten zeigen: So ist Dortmund nicht.

Dass man die Stadt nicht auf ihre Kriminellen und deren Verbrechen reduzieren sollte, macht Wulf auch während ihrer Führung deutlich. Schließlich liebt sie ihre Wahlheimat mindestens genauso sehr wie den Dortmunder Tatort.

Weitere Infos zur Tour

Heike Wulf bietet ihre zweistündige „Mord und Totschlag“-Tour an mehreren Terminen an. Weitere Infos unter www.stadt-litera-tour.de.