Essen. 260.000 Sicherheitskräfte in immer neuen Bereichen: Nach Angriffen auf Geflüchtete sollte das Bewacherregister den Branchenzutritt regeln.
„Bei meiner ersten und zweiten Runde war alles in Ordnung. Doch als ich zum dritten Mal vorbeikam, sah ich, dass die Tür ramponiert war.“ In der Nacht, als der Einbruch geschah, wachte Carsten Jambroszyk allein über das Firmengebäude. „Mir war das Gefahrenpotenzial immer bewusst,“ sagt der 36-jährige Wachmann bei Kötter in Essen, der sofort nach der Schule im Wachgewerbe anfing – einer Branche, die Milliarden umsetzt und bundesweit mehr als eine Viertel Millionen meist angelernte Sicherheitskräfte beschäftigt, so der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft.
Sicherheitsbranche: Maskenkontrollen federn Umsatzverlust in der Pandemie ab
„Das Sicherheitsbedürfnis bei Privatleuten wie Unternehmen ist über die Jahrzehnte aufgrund der massiv gewachsenen Gefahr von Wirtschaftskriminalität oder auch der weiterhin hohen Schäden durch Einbrüche ganz klar gestiegen,“ sagt Andreas Kaus, Geschäftsführender Direktor in der Kötter Security Gruppe.
Im Zuge der Corona-Krise sind für das Wachgewerbe völlig neue Arbeitsfelder hinzugekommen: Sicherheitskräfte führen Fiebermessungen am Eingang von Behörden durch, helfen Ordnungsämtern bei der Maskenkontrolle im öffentlichen Raum, stehen vor Altenheimen oder Supermärkten. „Doch das darf nicht über die schwierige Gesamtsituation hinwegtäuschen,“ so Kaus.
Zeitgleich mussten in der Pandemie viele Sparten der Sicherheitsbranche wie die Flugsicherheit und der Sport- und Veranstaltungsbereich starke Einschnitte hinnehmen. Produktionsausfälle und Homeoffice in vielen Firmen führten auch zu weniger Aufträgen im Bereich Werksschutz.
Kötter bietet Unternehmen Corona-Testzentren an
Trotzdem konnte die Kötter-Unternehmensgruppe aus dem Jahr 2020 mit einem leichten Umsatzplus von 1,1 Prozent hervorgehen. Und nicht nur das. „Wir haben nun die neue Lösung Kötter Pandemic Solutions entwickelt und bieten Unternehmen auf ihrem Firmengelände Corona-Testzentren, Zutrittskontrollen mittels Videotechnik und Hygienekonzepte an,“ so Kaus.
„Der Klassiker ist ja, dass jemand über den Zaun springt, der da nicht hingehört. Wenn das ein ordentlich muskulöser, aggressiver Typ ist, wird mir schon mulmig. Da ist man froh, wenn man zu zweit ist und die Angelegenheit deeskalierend lösen kann,“ sagt Carsten Jambroszyk.
Als Objektleiter für Kötter unterweist er Wachleute, die nachts Bürogebäude oder Firmengelände bestreifen, technische Anlagen überprüfen, die Augen offen halten und Türen und Fenster auf Einbruchsversuche hin kontrollieren.
Sicherheit in NRW
Laut IT NRW waren 2019 in NRW 1576 Wach-, Sicherheitsdienste und Detekteien niedergelassen.
Die Branche zählt in NRW 48.686 Beschäftigte, darunter 9273 Geringfügig-Beschäftigte.
Der Umsatz im Wachgewerbe lag in NRW bei 2.222.625 Euro.
„Ein Gefühl für Sicherheit“ und Gewissenhaftigkeit sind für den 36-Jährigen das A und O: „Natürlich besteht die Gefahr von Routine und daraus folgende Nachlässigkeit. Und es wird irgendwann der Tag kommen, an dem etwas nicht stimmt.“
„Der Sicherheitsdienst steckt in dieser Schublade und kommt da nicht raus.“
Wenn Janine Geismann von ihrer Firma R&G Security in Herne erzählt, wird sie manchmal gefragt: „Ihr seid doch die Leute mit dem breiten Kreuz und wenig Haaren auf dem Kopf?“ Dann antwortet die Geschäftsführerin: „Wir haben auch Leute mit kleinem Kreuz, Haaren auf dem Kopf und vor allen Dingen was im Kopf!“ (-> Lesen Sie hier: Herner Firma R&G Security zieht in neuen Kubus)
Geismann beklagt den Ruf ihrer Branche: „Der Sicherheitsdienst steckt in dieser Schublade und kommt da nicht raus – wie herablassend manche Menschen unsere Mitarbeiter behandeln.“ In Bewerbungsgesprächen achte die Sicherheitsunternehmerin neben einem einwandfreien Führungszeugnis auf starke Nerven, Freundlichkeit und Redlichkeit.
Dumpinglöhne, Drogenhandel, organisierte Kriminalität: Imageproblem durch schwarze Schafe
Als ihr Mann 1997 R&G Security gründete, sei der Markt noch ein anderer gewesen. „Ich habe den Eindruck, dass das Gewaltpotential zunimmt,“ so die Geschäftsführerin, „Es kommt vor, dass unsere Mitarbeiter bei der Zutrittsregelung vor einer Bank mit Gewalt bedroht werden.“
Vorbestrafte Sicherheitskräfte, Drogenhandel, organisierte Kriminalität – doch schwarze Schafe gebe es nicht nur auf Seiten des Personals. Aufgrund des Preisdrucks zahlten manche Dienste ihren Beschäftigten nur Dumpinglöhne.
„Wir haben in Deutschland 6000 Sicherheitsdienste, die meisten Klein- und Kleinstunternehmen – da herrscht ein sehr harter Konkurrenzkampf,“ sagt Harald Olschok, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Sicherheitswirtschaft. Eine „Riesenherausforderung“ seien die Ausschreibungen der öffentlichen Hand, wo oft die Billigstvergabe herrsche.
Nach Übergriffen auf Geflüchtete verschärfte der Bund die Regeln
Seit fast 30 Jahren arbeitet Olschok in der Branche, in dieser Zeit habe sich der Umsatz verdreifacht. „Das hängt mit der Fremdvergabe der Sicherheit in Deutschland zusammen,“ so Olschok. Das schwer überprüfbare Arbeitsfeld der Türsteher mache lediglich zwei bis drei Prozent aus. Bundesligaspiele, Geldtransporte, selbst vor Jobcentern würde mittlerweile Wachpersonal eingesetzt. „Wir haben auch vom Fluggastverkehr profitiert, der ist beinahe explodiert – bis zum Beginn von Corona,“ sagt der Verbandschef.
Einen besonderen, „ungesunden Umsatzsprung“ von circa 40 Prozent hätte die Branche 2015 und 2016 erlebt, als viele Aufträge zur Überwachung von Geflüchtetenunterkünften hinzukamen. Und damit die Übergriffe von Sicherheitskräften auf Geflüchtete – woraufhin der Bund die Regeln für die Branche verschärfte. (-> Lesen Sie hier: Misshandlungen im Asylheim)
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Am 1. Juni 2019 ging daher das Bewacherregister an den Start, das Daten zu Sicherheitsdiensten und Wachpersonal erfasst. 55.658 Beschäftigte sind aktuell darin erfasst, gibt das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle an. Für die Überprüfungen müssten aber die kommunalen Behörden Sorge tragen.
Securitas-Geschäftsführer: „Es wird höchste Zeit!“
„Es war höchste Zeit! Wir haben lang dafür gekämpft, dass die Zutrittsbarrieren verschärft werden. Das Register könnte eine Qualitätssteigerung für unsere Branche bedeuten,“ sagt Daniel Schleimer, Geschäftsführer bei Securitas Services in Düsseldorf, „Leider laufen die Prozesse mancherorts noch schleppend. Wenn man in der Pandemie kurzfristig zusätzlichen Personalbedarf hat, hat kaum ein Kunde Verständnis dafür, dass der Überprüfungsprozess zwölf Wochen dauert.“ (-> Lesen Sie hier: „Kein Vertrauen“ – Essen kündigt Flüchtlingsheim-Security)
Essen hat seit der Registereinführung 871 Wachpersonen freigegeben und 23 Personen die Registereintragung verwehrt – durchschnittlich benötige die Stadt für den Prüfungsprozess drei bis vier Wochen. Laut einer Stadtsprecherin hängt die Prozessdauer entscheidend davon ab, „ob die zu prüfende Person Eintragungen bei den Strafverfolgungsbehörden hat oder nicht.“
Bewacherregister: Vorbestrafte warten Monate auf Freigabe
Wachleute ohne Vorstrafen würden meist innerhalb von zehn Tagen freigegeben. „Bei Personen mit einer Vielzahl von Eintragungen und dadurch bedingter Anforderung von Strafakten bedarf es eines längeren Prüfzeitraumes, in Einzelfällen (...) sogar mehrere Monate,“ so die Stadt. Eine Beschleunigung sei aufgrund des Mitwirkens Dritter in dem Prozess nicht möglich.
Im Kreis Mettmann sieht man das anders: Die digitale Übersendung von Strafakten könnte Abläufe beschleunigen – Akten kämen aktuell auf dem Postweg. Allein die Antwort des Bundeszentralregisters lasse drei bis sechs Wochen auf sich warten, so ein Landrat-Sprecher. Der Kreis benötige daher für die Prüfung vier bis sechs Wochen. 812 Wachpersonen sind hier bereits angemeldet, überprüft und freigegeben, 36 Personen wurde die Eintragung verwehrt.
Wie Andreas Kaus von Kötter fordert auch Daniel Schleimer von Securitas die Einführung eines Sicherheitsdienstleistungsgesetzes, das dem „Regelwerk einer sicherheitsspendenden Organisation“ gerechter wird und es schwarzen Schafen erschwert, den „Ruf der Branche zu ruinieren“.
Kötter-Mitarbeiter Carsten Jambroszyk weiß, seine Teams im Werksschutz haben sich viel Respekt bei Kunden erarbeitet, die Wachpersonal schätzen, das links und rechts schaut und auf Risiken hinweist, sagt Jambroszyk, „Aber es gibt auch andere Kunden – die Wertschätzung ist nicht immer da.“
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