Essen. „Joblinge“ hat im Ruhrgebiet über 1000 Jugendliche in Lehrstellen vermittelt. Aufsichtsratschef Kötter über Ausbildung in der Pandemie.
Abstand halten, Quarantäne, Homeoffice – unter der Corona-Krise leiden auch Auszubildende und Ausbildungsbetriebe gleichermaßen. In der Krise gewinnen deshalb Förderprogramme für junge Schulabgänger an Bedeutung. Eines von ihnen heißt „Joblinge“ und hat seit seiner Gründung im Jahr 2012 weit über 1000 benachteiligte Jugendliche im Ruhrgebiet in Lehrstellen vermittelt.
„In der aktuellen Corona-Krise gilt genau wie bei der damaligen Gründung: Wir dürfen keinen Jugendlichen zurücklassen“, sagt Friedrich P. Kötter. Der Inhaber des Essener Sicherheitsdienstleisters Kötter ist Aufsichtsratsvorsitzender von Joblinge. Seine Unternehmensgruppe gehörte 2012 neben der RAG-Stiftung, der Boston Consulting Group, dem Initiativkreis Ruhr, der Kanzlei CMS und dem Essener Aluminium-Produzenten Trimet zu den Mitgründern. Hintergrund waren damals schon die hohe Jugendarbeitslosigkeit und der grassierende Fachkräftemangel in der Region.
"Arbeitskräfte-Potenzial in der Region nutzen"
„Leitidee für die Initiative ist, dass die hiesigen Unternehmen zunächst das Arbeitskräfte-Potenzial in der Region nutzen, bevor sie Beschäftigte aus anderen Regionen rekrutieren. Und zu diesem Potenzial gehören speziell Jugendliche, die bisher nicht den Sprung in eine Ausbildung geschafft haben“, erklärt Kötter.
Joblinge ist ein bundesweit aufgestelltes Programm mit einer Zentrale in München und neun gemeinnützigen Aktiengesellschaften. Eine von ihnen sitzt in Essen. Der Ruhr-Ableger hat zudem ein Standorte in Gelsenkirchen und Recklinghausen. „Unser vordringliches Ziel mit Joblinge ist es, bei den jungen Leuten, die es schon mehrfach auf anderen Wegen versucht haben, Motivation aufzubauen und hochzuhalten“, sagt Kötter. In etlichen gemeinnützigen Projekten wie dem Bau eines Kinderspielplatzes haben sie die Gelegenheit, sich für das Programm zu bewerben. „In Trainings und Praktika können sie im weiteren Verlauf zusätzliche Erfolgserlebnisse und damit Selbstvertrauen gewinnen“, so der Aufsichtsratsvorsitzende.
Kötter-Gruppe nutzt Programm Joblinge immer stärker
Bei ihrer Qualifizierung unterstützen die Jugendlichen auch Mitarbeiter aus den Mitgliedsfirmen. „Es ist sehr erfreulich, dass sich so viele Mentoren aus unterschiedlichen Unternehmen des Ruhrgebiets bereit erklären, die Joblinge ehrenamtlich und nach Feierabend zu betreuen. Dabei geht das freiwillige Engagement oft auch bis weit in die Lehrzeit und auch schon mal bis in das Privatleben hinein“, erzählt Kötter. Läuft es gut, sollen am Ende der Qualifizierung sowohl die jungen Leute, als auch die unterstützenden Betriebe davon profitieren. „Die Kötter-Unternehmensgruppe nutzt das Joblinge-Programm immer stärker. Momentan haben wir sieben Auszubildende aus der Initiative in unseren Reihen“, berichtet Kötter aus seiner eigenen Firma. Nach seinen Angaben unterstützt Joblinge aktuell mehr als 70 Teilnehmer an den Ruhrgebietsstandorten in Essen, Gelsenkirchen und Recklinghausen.
Nach Kötters Einschätzung wachsen die Chancen der Jugendlichen, nach der Förderung auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. „Der Erfolg gibt uns Recht: 70 Prozent der Joblinge werden in Ausbildungsstellen vermittelt. Von ihnen bleiben dann 90 Prozent an Bord“, sagt der Aufsichtsratsvorsitzende. Die Pandemie hat dem Team um Regionalleiter Raphael Karrasch das Leben nicht gerade erleichtert. Aber man darf den Anschluss nicht verlieren. Daher ist der richtige Mix von Präsenzbetrieb und digitalen Bausteinen so wichtig“, meint Kötter. So sei es gelungen, nach dem Re-Start im Mai, als der erste Shutdown zu Ende gegangen war, für 92 Joblinge Ausbildungsverträge zu schließen. Sieben von Ihnen haben eine Lehrstelle in der Kötter-Gruppe erhalten.
Die Chancen des Dualen Ausbildungssystems
„Im Moment sind wir als Unternehmen froh, wenn uns überhaupt Jugendliche zugeteilt werden. Die Pandemie erschwert vieles“, sagt Kötter. Der Grund: Die Jobcenter, die Kandidaten für das Joblinge-Programm vermitteln, können wegen Corona nur eingeschränkt arbeiten. Der Chef des Familienunternehmens ist davon, überzeugt, dass die Joblinge gute Zukunftschancen haben. Die Kötter-Gruppe hat zuletzt trotz der Pandemie 126 neue Azubis eingestellt. „90 Prozent unserer Nachwuchskräfte schließen ihre Ausbildung erfolgreich ab, über 80 Prozent werden übernommen“, sagt Friedrich P. Kötter.
Und dennoch leidet das Essener Unternehmen wie große Teile der übrigen Wirtschaft auch unter dem Fachkräftemangel. In einer eigenen Akademie bildet die Kötter-Gruppe ihre Neuzugänge weiter. Die Ursachen sind nach Einschätzung des Inhabers im System zu suchen. „Der Nachwuchsmangel trifft nahezu alle Unternehmen. Die Quote der Abiturienten steigt, daher werden Ausbildungsberufe leider immer uninteressanter“, erklärt Kötter. Dabei passt eine Lehre oft viel besser als ein Studium. In den Schulen brauchen wir deshalb mehr Aufklärung über die Chancen des dualen Ausbildungssystems.“