Essen. Kohle-Comeback verhilft Steag 2022 zu Rekordgewinn. Allein die Dortmunder Stadtwerke erhalten 576 Millionen Euro. Das kriegen die anderen Städte.

Der Essener Stromerzeuger Steag beschert den beteiligten Ruhrgebietsstädten zum Abschied einen unverhofften Geldsegen: Das Unternehmen erzielte 2022 nach Informationen unserer Redaktion einen in dieser Höhe völlig unerwarteten Rekordgewinn von rund 1,9 Milliarden Euro. Damit wird die Steag-Beteiligung der sechs Revierstädte kurz vor dem beabsichtigten Verkauf vom jahrelang verlustträchtigen wohl doch noch zu einem lohnenden Investment. Mehr noch: Die jeweiligen Stadtwerke können wahrscheinlich im kommenden Jahr viele Millionen Euro zusätzlich ausgeben. Das käme für die Wärmewende und den verlustreichen Öffentlichen Nahverkehr gerade recht.

Die Steag bestätigte den Rekordgewinn auf Anfrage nicht und erklärte, ihre Bilanz erst zu veröffentlichen, wenn ein Kaufvertrag unterzeichnet ist, was noch in diesem Sommer geschehen soll. Die Stadtwerke der sechs Ruhrgebietsstädte Dortmund, Essen, Bochum, Duisburg, Oberhausen und Dinslaken, die 2010 den fünftgrößten Stromkonzern Deutschlands für 1,2 Milliarden Euro gekauft haben, wollen ihn nach turbulenten Jahren wieder loswerden.

Rekordgewinn wird fast vollständig an die Kommunen ausgeschüttet

Der Rekordgewinn wird fast vollständig an die Kommunale Beteiligungsgesellschaft KSBG ausgeschüttet. Die Dortmunder Stadtwerke DSW 21 erhalten als größte Anteilseignerin 576 Millionen Euro, wie am Dienstag nach der Absegnung der Bilanz durch den Aufsichtsrat bekannt wurde. Dortmund hält 36 Prozent an der Steag-Mutter KSBG.

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Die anderen Städte können aus dem KSGB-Topf für 2022 nach unseren Berechnungen auf ihre jeweiligen Anteile bezogen mit diesen Summen rechnen, die wir wegen der komplexen Berechnungsweise gerundet haben:

  • Duisburg (19 Prozent): rund 300 Millionen Euro
  • Bochum (18 Prozent): rund 290 Millionen Euro
  • Essen (15 Prozent): rund 240 Millionen Euro
  • Oberhausen (6 Prozent): rund 100 Millionen Euro
  • Dinslaken (6 Prozent): rund 100 Millionen Euro
  • Dortmund (36 Prozent) 576 Millionen Euro

Die Steag betonte auf Anfrage, vom KSGB-Ertrag lasse sich nicht unmittelbar auf den Gewinn der Steag schließen. Aus mehreren Kreisen des Unternehmens wurde unserer Redaktion aber ein Konzernergebnis von rund 1,9 Milliarden Euro bestätigt.

Weil die Steag formal noch in einer Sanierungsphase steckt, in der das Energieunternehmen fit für den Verkauf gemacht werden soll, gilt aktuell noch eine Ausschüttungssperre. Da der Verkaufsprozess läuft und die Steag aktuell rentabel wie nie ist, dürfte sie aber bald fallen. „Sobald das Sanierungsregime beendet ist, gehen DSW21 die liquiden Mittel aus dem anteiligen Steag-Ergebnis zu. Voraussichtlich wird dies Ende 2023 der Fall sein“, sagte Heike Heim, seit Monatsbeginn die neue Vorstandschefin der Dortmunder Stadtwerke. Die Dortmunder verbuchen ihren Anteil zunächst rein bilanziell im Jahresabschluss 2022.

Städte brauchen Geld für Wärmewende und Nahverkehr

Das Geld ist hochwillkommen. Für die Wärme- und Verkehrswende müssen auch die Kommunen große Summen investieren. Etwa um die örtlichen Stromnetze so auszubauen, dass Wärmepumpen und Elektroautos genug Strom aus den Haushaltsanschlüssen kriegen. Weil das bisher oft nicht der Fall ist, klagte vor Wochen etwa der Bochumer Wohnungsriese Vonovia, seine vor allem in Dortmund in einer ersten Offensive eingebauten Wärmepumpen noch nicht anschalten zu können, weil das Netz dafür nicht reiche. Auch im Nahverkehr gibt es für die Städte viel zu tun, um ihre Flotten klimafreundlicher zu machen.

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„Die erfreulichen Botschaften aus Essen“, so Heike Heim, würden den Dortmunder Stadtwerken helfen, „die immensen Herausforderungen, die sich aus der Mobilitätswende und der Transformation des Energiesystems ergeben, zu bewältigen.“ Dazu gehöre der Um- und Ausbau der Strom- und Wärmenetze im Zuge des zu von der Bundesregierung eingeforderten kommunalen Wärmeplans. Und eine „weitere Elektrifizierung der Busflotte“, der Bau neuer und die Erweiterung bestehender Betriebshöfe und ein Ausbau der Hochbahn an der Dortmunder Uni.

Steag-Übernahme drohte für Städte zum Desaster zu werden

Die Übernahme des Essener Energiekonzerns Steag war von Beginn an umstritten und drohte für die Ruhrgebietsstädte tatsächlich zum Desaster zu werden, seit 2018 das Ende der Stromerzeugung mit Kohle eingeläutet wurde. Darunter litten besonders die Steinkohlekraftwerke, von denen die Steag besonders viele betrieb und über die Jahre schon freiwillig eins nach dem anderen stilllegte, weil es nur noch Verluste einbrachte. Der Aufbau grüner Geschäftsfelder, etwa mit Erneuerbaren Energien, konnte die Verluste aus der Kohle nicht auffangen. Auch, weil die Kommunen stets so viel Geld wie möglich aus der Steag zogen, um überhaupt ihre Kredite bedienen zu können. „Wir waren schlechte Eigentürmer“, sagt einer, der jahrelang mitten im Geschehen war.

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Nachdem Städte wie Bochum und Oberhausen bereits Ende des vergangenen Jahrzehnts signalisierten, aussteigen zu wollen und am Ende allein Dortmund an der Steag festhielt, dauerte es bis 2021, einen gemeinsamen Verkaufsprozess zu starten und einen Insolvenzexperten als Treuhänder einzusetzen. Weil zuvor Dortmund, Essen, Dinslaken und Duisburg noch einmal 100 Millionen Euro zuschießen mussten, um den Konzern am Leben zu halten, schien klar, dass nach einem Verkauf unterm Strich ein dickes Minus stehen würde.

Ausgerechnet die Kohlekraftwerke sorgen für gutes Ende

Dass ausgerechnet die Kohlekraftwerke das auf der Zielgeraden noch einmal drehen würden, ist nicht frei von Ironie. Und aus Steag-Sicht letztlich auch Glück im Unglück: Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine und der Zuspitzung der Energiekrise ließ der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck Kohleblöcke länger laufen oder wieder hochfahren, um die Stromversorgung zu sichern. Darunter auch Steag-Kraftwerke an der Saar und in Bergkamen.

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Statt stillgelegt zu werden, laufen sie nun mindestens bis März 2024 – und verdienten 2022 wegen der extrem hohen Strompreise sehr gutes Geld. Bereits zu Jahresbeginn kursierte die Einschätzung, die Essener könnten beim Gewinn die Milliardengrenze knacken. Dass es den Kreisen zufolge 1,9 Milliarden Euro geworden sind, ist ein absolut außerordentliches Ergebnis. Zum Vergleich: Noch 2020 schrieb die Steag einen Verlust von 170 Millionen Euro, 2021 einen Nettogewinn von 307 Millionen Euro.

DSW21 werten Beteiligung an KSBG um 77,5 Millionen Euro auf

Nachdem die Steag von den großen Stromerzeugern mit am meisten unter der Energiewende litt, profitiert sie nun auch mit am meisten vom Kohle-Comeback. Was nicht nur zu hohen Gewinnbeteiligungen der Revierstädte führt, sondern in den Stadtwerke-Büchern nach diversen Abschreibungen auf ihre KSBG-Anteile auch zu Wertkorrekturen nach oben. Die Dortmunder nehmen „aufgrund des überraschend guten Geschäftsverlaufs der Steag“ eine Wertzuschreibung in Höhe von 77,5 Millionen Euro vor.

Und zwei weitere Zahltage stehen ja noch aus: Der erste für das Jahr 2023, das nach Informationen unserer Redaktion für die Steag ähnlich gut läuft. Der zweite, wenn der Steag-Verkauf voraussichtlich 2024 abgeschlossen wird. Nachdem die sechs Kommunen vor 13 Jahren zusammen 1,2 Milliarden Euro für die Steag gezahlt haben, wurden jüngst in Finanzkreisen mögliche Verkaufssummen von bis zu zwei Milliarden Euro genannt.

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DSW21-Finanzchef Jörg Jacoby mag sich aber nicht zu früh freuen: „Dass sich das erfolgreiche Steag-Geschäftsjahr 2022 in der Bilanz schon jetzt und zeitverzögert dann auch auf unsere Liquidität positiv auswirken wird, ist unbestritten. In welcher Größenordnung DSW21 darüber hinaus nach dem Verkauf der Steag Mittel zufließen werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt allerdings rein spekulativ.“